Internationaler Männertag 2024
Wann ist ein Mann ein Mann?
„Echte“ Männer in der Sinnkrise? Das traditionelle Rollenbild des Mannes als Beschützer und Ernährer der Familie bröckelt. Die Freiheit, neue Rollen zu wählen, sowie die weibliche Konkurrenz überfordern viele Männer. Ein Zwischenruf zum Stand der Maskulinität.
Von Markus Brauer
„Männer haben’s schwer, nehmen’s leicht. Außen hart und innen ganz weich. Werden als Kind schon auf Mann geeicht. Wann ist ein Mann ein Mann?“
Mit „Männer“ hatte Herbert Grönemeyer im Jahr 1984 seinen Durchbruch als Musiker. Der als erste Single aus dem Album „4630 Bochum“ ausgekoppelte Rocksong ist bis heute ein Klassiker deutschsprachiger Rock- und Popmusik.
Welchen positiven Wert hat Mannsein heute ?
40 Jahre ist das her. Und schon damals galten „echte Männer“ als nicht mehr zeitgemäß. Echte Männer? Wer sind die? Was heißt das überhaupt, männlich zu sein? Was muss der „echte“ Mann: mitfühlend oder machohaft, liebevoll oder hart? Braucht das „starke Geschlecht“ heute Mutmacher?
Am 19. November ist es wieder so weit: Dann feiert Man(n) weltweit International Men’s Day 2024 – den Internationalen Männertag 2024. Doch was wird eigentlich gefeiert?
Natürlich der „positive Wert, den Männer für die Welt, ihre Familien und Gemeinschaften haben“, heißt auf dem „Männergesundheitsportal“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). „Es sollen positive Rollenmodelle hervorgehoben werden und das Bewusstsein für das Wohlergehen von Männern geschärft werden.“
International Men's Day is observed annually on November 19, and this year it falls on Tuesday. The 2024 theme, "Positive Male Role Models," highlights the importance of fostering open conversations about men's mental health & creating supportive environments where men can thrive pic.twitter.com/NS8m9bd6Hh — Dr.A.Pandurangan (@Dr_Pandu) November 18, 2024
Steckt das starke Geschlecht in der Sinnkrise?
Das (vermeintlich) starke Geschlecht hat Revitalisierungskuren offenkundig bitter nötig, denn es steckt in einer tiefen Sinnkrise. Frauenbewegung und Emanzipation haben seine traditionelle Rolle als Brötchenverdiener und „Pater familias“ ins Wanken gebracht. „Männer sind quasi die sozialpsychologische Problemzone des 21. Jahrhunderts“, stellt der Trendforscher Eike Wenzel, Gründer des Instituts für Trend- und Zukunftsforschung (ITZ) in Heidelberg, fest.
Das Männerbild hat sich stark gewandelt – und manchen Mann verunsichert das. Viele Männer seien in der Krise, meint auch der Literaturwissenschaftler Toni Tholen, der an der Universität Hildesheim zum Thema Männlichkeit forscht. „Sie hören, sie sollen dies und das nicht sein, und fragen: Was sonst?“
Ist Männlichkeit wirklich toxisch?
Amerikanische Psychologen sprechen in der Forschung zum Rollenbild des Mannes von „toxischer“ und „schädlicher Männlichkeit“. Wenn kleine Jungen mit einem Ideal aufwachsen, das von ihnen verlange, Emotionen zu unterdrücken und dominant und aggressiv aufzutreten, sei Gewalt programmiert, heißt es seitens des US-Fachverbands für Psychologie (APA). Manche Männer reagierten mit Gewalt, wenn sie in einer Beziehung ihre idealisierte männliche Identität bedroht sähen.
Ende der 1960er-Jahre entstand in den USA die Männerbewegung. Mitte der 1970er-Jahre schwappte sie auch nach Deutschland in die studentische Sponti-Szene über. Damals redete man viel über Sexismus und Geschlechterrollen. Seitdem sind vielfältige Formen männlicher Selbstverwirklichung entstanden: Männerzentren, Männerberatungsstellen, Männertherapien, Männerforen, Väter-Gruppen und Männer-in-Kitas-Initiativen etc..
Müssen Männer sich vom Helden-Image verabschieden?
Die Vorstellung von Männern als Helden und Krieger habe zwar ausgedient, aber ein Vakuum hinterlassen, meint Tholen. In der Lücke seien heute andere Leute präsent. „Alphatierchen wie Trump, Putin und Erdoğan erobern die Definitionsmacht, was männlich ist. Je rechter, desto mehr traditionelle Rollenglorifizierung.
Seit der Steinzeit war die Rollenverteilung der Geschlechter buchstäblich in Stein gemeißelt: Ich – Mann, Du – Frau. Ich – Jäger, Du – Mutter und Haushalt. Der Mann war ein wilder Kämpfer, der für die Jagd und den Schutz vor wilden Tieren und Feinden zuständig war. Die Frau hütete die Kinder und sammelte Pflanzen zur Nahrungsergänzung.
Dieses Bild der Urzeitmenschen wird oft herangezogen, um bis heute anti-emanzipatorische Rollenklischees und Familienmodelle zu rechtfertigen. Auch viele heutige Naturvölker praktizieren diese archaische Arbeitsteilung unter den Geschlechtern.
Ist Ordnung männlich und Chaos weiblich?
Verunsicherten will der kanadische Psychiater Jordan Peterson helfen. Er propagiert in seinem Bestseller „12 Rules For Life: An Antidote to Chaos“ (deutsche Ausgabe: „Ordnung und Struktur in einer chaotischen Welt“) Thesen über ein naturgegebenes Patriarchat oder Konzepte wie „Ordnung ist männlich, Chaos ist weiblich“.
Warum bleiben nicht mehr Männer zu Hause und lassen die Frauen Karriere machen? „Ich glaube nicht, dass das funktioniert“, sagt Peterson. „Insbesondere, weil Frauen den niedrigeren Status ihrer Männer nicht tolerieren können, der damit verbunden ist.“ Frauen werfen dem Psychiater vor, er festige bei verunsicherten Männern reaktionäre Geschlechtermodelle.
Wird Männlichkeit abgewertet?
Eine „Abwertung der Männlichkeit in der Gesellschaft“ will auch der Psychologe und Männer-Coach Bjørn Thorsten Leimbach ausgemacht haben. Der Mann müsse „von weiblichen Normen, Regeln und Verhaltensweisen“ befreit werden, „damit die maskuline Seele des Mannes (wieder) fliegen lernt“, heißt es auf seiner Webseite. Wie aus Männern „Herzenskrieger“ werden, zeigt Leimbach ihnen in Seminaren.
„Ich habe Sorge, dass sich Werte durchsetzen, mit denen wir ins Mittelalter zurückstürzen“, betont Tholen. Er findet, es müssten viel mehr alternative Geschlechtervorstellungen entwickelt werden – „solche, die herrschafts- und gewaltfreier sind“.