Warum nicht jeder Straftäter gehen muss
Schneller Abschieben, vor allem Straftäter. Diese Forderung wird oft gestellt, doch die Schwierigkeiten sind mannigfach. Nach der Messerattacke von vergangener Woche auf der Königstraße geben wir Antworten auf die drängendsten Fragen.
Von Christian Gottschalk
Stuttgart - Der 17-Jährige Syrer, der in der vergangenen Woche mehrere Menschen mit einem Messer in der Stuttgarter Innenstadt zum Teil schwer verletzt hat, sitzt nun erst einmal in Untersuchungshaft. Wie geht es weiter mit dem jungen Mann, der nicht zum ersten mal strafrechtlich auffällig geworden ist? Da gibt es viele Unwägbarkeiten. Ein grundsätzlicher Überblick über den möglichen Gang der Dinge.
Der Fall Am Dienstagabend vor einer Woche war es zu einer Messerstecherei auf der Königstraße gekommen. Der 17-Jährige soll zusammen mit seinen beiden 22 und 26 Jahre alten Brüdern drei Männer angegriffen und teils lebensgefährlich verletzt haben. Die beiden Gruppen waren sich zuvor im Zuschauerraum bei einem Prozess am Landgericht begegnet. Dort wurde eine weitere Messerstecherei verhandelt, die sich am 17. November 2023 vor der Stadtbibliothek zugetragen hatte. Vier junge Beschuldigte, ebenfalls Flüchtlinge aus arabischen Konflikt- und Krisengebieten, sind deshalb wegen versuchten Totschlags angeklagt. Der 17-jährige Syrer ist bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt. Er hat nach Informationen unserer Zeitung polizeiliche Einträge zu mehreren Dutzend Straftaten – darunter einschlägige Gewaltdelikte, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder Betrug.
Der Strafprozess Alle Menschen, die in Deutschland leben, sind an die hiesigen Gesetze gebunden. Deutsche wie Flüchtlinge werden vor Gericht gestellt, wenn ihnen eine Straftat zu Last gelegt wird – und verurteilt, sollte sie ihnen nachgewiesen werden. Bei Menschen ohne deutschen Pass gibt es zudem die Möglichkeit, dass sie das Land wieder verlassen müssen. Auch wenn sich viele Konstellationen zu ähneln scheinen, muss dabei zwischen verschiedenen Fallgestaltungen unterschieden werden – mit dann zum Teil auch unterschiedlichen Ergebnissen.
Grund der Flucht Von entscheidender Bedeutung ist unter anderem der Grund der Anwesenheit in Deutschland. Es gibt Menschen die sich hier aufhalten, weil sie in ihren Heimatländern verfolgt werden. Zum Beispiel Frauen, die diskriminiert werden oder Richter, die sich für Menschenrechte eingesetzt haben. Menschen, denen Verfolgung droht, dürfen nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden. Für Menschen, die aus anderen Gründen gekommen sind, gelten weniger strenge Regeln – eine Abschiebung ist grundsätzlich möglich.
Abschiebung von Straftätern Straftaten können der Anlass dafür sein, dass ein hier lebender Ausländer das Recht verliert, sich weiterhin in Deutschland aufzuhalten. Das Aufenthaltsgesetz nennt zahlreiche Gründe, die für ein öffentliches Ausweisungsinteresse sprechen. Einer der wichtigsten ist die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren. Allerdings gelten für straffällige Ausländer grundsätzlich die gleichen juristischen Abschiebehindernisse wie für rechtstreue.
Politik und Recht Die Politik engagiert sich seit einiger Zeit sehr viel stärker, um diese Situation zu ändern. Forderungen, straffällige Ausländer abzuschieben, erklingen parteiübergreifend. Die finale Entscheidung, ob eine Abschiebung rechtlich möglich ist, liegt jedoch bei den Gerichten. Zudem sind die praktischen Möglichkeiten oft beschränkt. Mal ist die Identität der Person unklar, mal verweigert ein Land deren Rücknahme, mal wird in die entsprechenden Länder nicht abgeschoben. In Baden-Württemberg gibt es seit 2018 einen Sonderstab, der sich um die Abschiebung von hoch gefährlichen Ausländern kümmert. Das ist oft Sisyphos-Arbeit. Mehr als 400 gefährliche Straftäter sind in dieser Zeit abgeschoben worden, rund 250 strittige Identitäten wurden geklärt.
Unsichere Herkunftsländer Länder wie Syrien oder Afghanistan gelten als so gefährlich, dass derzeit überhaupt nicht dorthin abgeschoben wird. Das gerät zunehmend in die Kritik – nach der Messerattacke von Mannheim hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) für Änderungen ausgesprochen. Regierung und Verwaltung müssen nun zunächst die Gerichte davon überzeugen, dass diese Länder zumindest teilweise sicher sind. Dann müssen praktische Dinge geregelt werden, zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Assad-Regime oder den Taliban.
Abschiebung von Jugendlichen Die Abschiebung Jugendlicher ist nur in extremen Ausnahmefällen möglich. Wahrscheinlich hat es in Deutschland kein krimineller Jugendlicher je zu solch einer Bekanntheit gebracht wie Mehmet. Noch vor dem Erreichen der Strafmündigkeit hatte der Junge mehr als 60 Straftaten begangen, auch schwere. Nach seinem 14. Geburtstag wurde er 1999 in die Türkei abgeschoben. Es war das erste mal, dass ein Kind von rechtmäßig in Deutschland lebenden Ausländern allein zurück in deren angestammte Heimat abgeschoben wurde. Die Abschiebung wurde später vom Bundesverwaltungsgericht als rechtswidrig bewertet.
Die Stuttgarter Krawallnacht Wer in Stuttgart über jugendliche Straftäter spricht, der kommt an der Stuttgarter Krawallnacht nicht vorbei. Rund 500 Randalierer zogen im Juni 2020 durch die Innenstadt, griffen die Polizei an, zerstörten und plünderten Geschäfte. Das Ganze war allerdings kein Aufstand von Flüchtlingen. Die Szene war bunt gemischt, Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, Ausländer mit und ohne Bleiberecht. Es gab zahlreiche Gerichtsurteile mit zum Teil hohen Haftstrafen, die noch nicht alle rechtskräftig sind. Über Abschiebungen in diesem Zusammenhang ist nichts bekannt.