Gespräch mit Politikwissenschaftler Kai Hafez
Warum sich deutsche Medien mit Kritik an Israel schwer tun
Nach dem terroristischen Anschlag der Hamas startete die israelische Armee eine Offensive in Gaza. Kritiker bemängeln, dass Deutschland das Leid der Palästinenser nicht ausreichend thematisiert. Kai Hafez spricht über die deutsche Berichterstattung.
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© dpa/Abed Rahim Khatib
Palästinensische Kinder stehen vor einem zerstörten Gebäude in Chan Junis. (Archivfoto).
Von Gülay Alparslan
Was geschieht eigentlich gerade in Deutschland? In akademischen Bereichen scheint es zunehmend Einschränkungen in der öffentlichen Debatte und der Meinungsfreiheit zu geben. In jüngster Zeit wurden wiederholt Veranstaltungen mit namhaften Intellektuellen und Wissenschaftlern auf politischen Druck hin abgesagt oder Vorträge in den Räumlichkeiten von Universitäten untersagt.
Betroffen waren unter anderem die amerikanische Philosophin Nancy Fraser, der amerikanische Politikwissenschaftler Norman Finkelstein, der israelische Historiker Ilan Pappé, der israelisch-palästinensische Politikwissenschaftler Alon Ben-Meir und zuletzt, wie in München und Berlin geschehen, Francesca Albanese, die UN-Sonderberichterstatterin für Palästina.
Was diese Personen eint, ist eine kritische Haltung gegenüber der Politik Israels. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie weit die deutsche Staatsräson gehen soll. Wie kann die deutsche Presse den Staat Israel kritisieren, ohne den Vorwurf des Antisemitismus auf sich zu ziehen?
Legitime Kritik an der israelischen Regierung ist nicht antisemitisch
Der Politik- und Medienwissenschaftler Kai Hafez ist Inhaber des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Erfurt. Der 61-Jährige ist einer der führenden Experten für die Medienlandschaft im Nahen Osten und in der arabischen Welt. Wir sprachen mit ihm über die Berichterstattung über den israelisch-palästinensischen Konflikt.
Legitime Kritik an der israelischen Regierung sei keineswegs gleichbedeutend mit Antisemitismus. „Man kritisiert ja nicht die gesamte Bevölkerung, sondern das Handeln der Regierung“, erklärt Kai Hafez und fügt hinzu: „Man ist ja auch nicht automatisch islamfeindlich, wenn man den türkischen Präsidenten Erdogan kritisiert.“
Das Hauptproblem sei aber nicht die Kritik an sich, sondern „emotionale Befindlichkeiten, die es in Deutschland zu geben scheint und die mit der deutschen Geschichte zu tun haben“. Es sei ein großer Fehler, humanitäre Probleme, die gerade durch das Handeln der israelischen Regierung verursacht werden, nicht zu kritisieren, um eine historische Schuld abzuarbeiten. Deutschland mache sich schuldig, indem es „dem massenhaften Sterben von Palästinensern zuschaue“.
Medien Teil größeren Problems der Kritiklosigkeit gegenüber Israel
Es gebe zwar eine kritische Öffentlichkeit in Deutschland, diese spiele sich aber weitgehend außerhalb der Massenmedien ab und die Kritik bleibe weitgehend ungehört. Der allgemeine Trend in den deutschen Medien sei im weltweiten Vergleich sehr ungewöhnlich: nämlich sehr wenig Kritik an Israel zu üben. Dies liege auch an der aktuellen politischen Ausrichtung Deutschlands. „Die jetzige Regierung ist extrem israelfreundlich“, so der Experte. „Auch in den intellektuellen und wissenschaftlichen Kreisen Deutschlands sehe ich zu viel Zurückhaltung.“ Die Mainstream-Medien seien ein Teil eines größeren Problems der Kritiklosigkeit gegenüber Israel. Das sei in anderen europäischen Ländern ganz anders. „Dafür werden wir übrigens weltweit kritisiert“, sagt Kai Hafez.
Eine Ausnahme bildeten in diesem Zusammenhang einige linke Zeitungen wie die TAZ, das Neue Deutschland oder die Junge Welt. Ihre Auflagen sind jedoch verschwindend gering und erreichen nicht die Leserzahlen der großen Zeitungen.
In den deutschen Mainstream-Medien gebe es ganz klare Grenzen der Kritik, die nicht überschritten würden. Zum Beispiel werde Israel immer dann grundsätzlich für seine Kriegsführung kritisiert, wenn es um die Vereinten Nationen gehe, wie etwa als es Angriffe auf die Blauhelmtruppen gab. „Das heißt, die palästinensischen Opfer allein reichen nicht aus für eine grundsätzliche Kritik an der israelischen Kriegsführung“, so Kai Hafez.
Deutschland international isoliert – New York Times deutlich kritischer
Ein anderes Beispiel sei das Internierungslager Sde Teiman in der Negev-Wüste. „Dort werden Palästinenser gefoltert, offensichtlich auch Jugendliche“, sagt der Medienexperte. Der Spiegel habe dies zwar in einem Artikel aufgegriffen. Aber darüber hinaus würde das Thema in den deutschen Medien nicht diskutiert und sei keine Titelgeschichte wert. Eine Kommentierung oder moralische Verurteilung gebe es nicht. „Wenn wir das mit der Debatte um das Straflager Guantanamo vergleichen, die wir vor 20 Jahren hatten – Guantanamo war damals ein großes Thema in Deutschland“, erklärt Kai Hafez.
Das Vorgehen Israels gegen die palästinensische Bevölkerung grenze an Staatsterrorismus, so der Experte.
Wenn sich in den Mainstream-Medien nichts ändere, werde sich auch an der deutschen Haltung nichts ändern. „Damit sind wir international weitgehend isoliert“, sagt Kai Hafez. Deutlich kritischer sei die New York Times. Dort scheue man sich nicht, Israel sehr direkt zu kritisieren und Titelgeschichten zu bringen, die der israelischen Regierung oft mangelnde Beweise für ihre Behauptungen vorwerfen.
Deutschland verliert im globalen Süden massiv an Ansehen
CNN habe bereits vor einem Jahr ein Interview mit dem US-Senator Bernie Sanders geführt, in dem dieser offen ein Ende der Waffenlieferungen an Israel gefordert habe. „Solche Stimmen fehlen in Deutschland auch völlig“, so Kai Hafez.
In der Vergangenheit habe es Situationen gegeben, in denen die Medien eine humanitäre Kritik auch gegen die politische Klasse etabliert hätten. Dies sei beispielsweise 2015 während der Flüchtlingskrise der Fall gewesen. „Damals haben die Süddeutsche Zeitung oder der Spiegel die Bundesregierung massiv kritisiert, dass sie nichts gegen das Sterben der Menschen im Mittelmeer unternimmt, sodass kurz darauf Angela Merkel ihre Politik geändert hat.“ Damals bezogen die deutschen Medien Stellung gegen das politische Establishment. „Im Israel-Gaza-Konflikt sehe ich das eigentlich gar nicht“, so Kai Hafez. Im Übrigen tue man mit dieser Haltung auch den kritischen Teilen Israels keinen Gefallen. Denn Deutschland stärke im Grunde eine rechtsextreme Regierung.
Im globalen Süden verliere Deutschland mit dieser Zurückhaltung derzeit massiv an Ansehen. „Wir sind nicht das, was wir immer vorgeben zu sein, nämlich eine moralische Gesellschaft“, sagt Kai Hafez und hat dabei die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar im Hinterkopf. Damals war die Berichterstattung sehr kritisch gegenüber den Kataris und Katar wurde in vielen Sendungen thematisiert.
Leid der Palästinenser in den Medien deutlicher zeigen
Ein wichtiger Schritt wäre aus Sicht von Kai Hafez, das Leid der Palästinenser in den Medien ebenso deutlich zu zeigen, wie das Leid, das durch das Terrorattentat der Hamas entstanden ist: zum Beispiel abends in der Tagesschau und auch entsprechend zu kommentieren. Die Katastrophe, die sich dort gerade abspielt, müsse dazu führen, dass auch Journalisten in Deutschland sagten: Es reicht. „Wir können zu solchen Katastrophen, wo zehntausende Menschen vor unseren Augen und mit unserer Unterstützung sterben, nicht einfach schweigen.“
Darüber hinaus sollten deutsche Medien nach Ansicht des Experten quellenkritischer mit Israel umgehen. Wie die Hamas oder jede andere Regierung manipuliere auch die israelische in Kriegszeiten. In der angloamerikanischen Presse würde das deutlich kritisiert. In Deutschland hingegen, so Kai Hafez, würden die Informationen des israelischen Staates weitergegeben, ohne sie kritisch einzuordnen. Das habe mit einer professionellen Haltung nichts zu tun. Eine professionelle Einstellung wäre offen für verschiedene Quellen und würde diese dann kritisch bewerten.
Was vielen offenbar nicht bewusst zu sein scheine, sei, dass die aktuelle israelische Regierung Teil einer weltweiten rechten Allianz sei. Die jetzige Regierung arbeite sehr eng mit der argentinischen Regierung und mit Donald Trump zusammen. „Das sollte man sich vielleicht auch einmal bewusst machen“, so Kai Hafez.