Ein Jahr im Amt

Was Argentiniens Präsident bewirkt hat

Die Kettensägen-Politik von Javier Milei zeitigt Erfolge – allerdings zu einem hohen Preis: Seine Reformpolitik hat viele in die Armut getrieben.

Javier Mileis Kettensägen-Politik hat für viele Menschen gravierende Folgen.

© dpa/Natacha Pisarenko

Javier Mileis Kettensägen-Politik hat für viele Menschen gravierende Folgen.

Von Tobias Käufer

Inzwischen sind die drei legendären Worte auf T-Shirts gedruckt, auf Kappen verewigt und auf Häuserwände gesprüht: „No hay plata“ (Es gibt kein Geld). Ausgesprochen von Javier Milei am 10. Dezember 2023 bei seinem Amtsantritt in Buenos Aires. Ein Haushalts-Konzept, das auf jeden Bierdeckel passen würde, aber doch einen radikalen Kurswechsel ausführlich genug beschreibt. Der libertäre Präsident mit der Lederjacke, Rocker-Attitüde und Wuschelfrisur hat sein Heimatland auf Entzug gesetzt.

Jahrzehntelang haben linksperonistische Regierungen auf die Methode „Geld drucken“ gesetzt und damit in eine katastrophale Abwärtsspirale geschickt. Und damit eine Inflation erzeugt, die die Menschen schier erdrückte. Wer keine Dollars hatte, um sie auf dem Schwarzmarkt gegen billige Pesos einzutauschen, der war verloren. Dann hat Milei den Argentiniern den „Stoff“ entzogen, die Gelddruckmaschine einfach abgestellt. Wie eine Vollbremsung auf der Autobahn: „Es gibt kein Geld“. Es wurden die Hälfte der Ministerien geschlossen, Subventionen gestrichen, Zehntausende aus einem aufgeblähten Staatsapparat entlassen. Von nun an gilt: Es wird nicht mehr ausgegeben als eingenommen.

Die „Cambio, Cambio“-Rufe schallen zwar noch immer durch die Einkaufsstraße „Florida“, doch wo sich früher Schlangen in den Wechselstuben bildeten, herrscht nun gähnende Leere. Auf den Bildschirmen flackern immer noch die Wechselkurse, doch kaum jemand schaut mehr hin. Tatsächlich ist der „Dollar Blue“ wie der Schwarzmarktdollar heißt, mit dem offiziellen Wechselkurs gleichgezogen. Das bedeutet, dass es für Dollarbesitzer nun erst mal keinen Sinn mehr macht, das Geld inoffiziell zu tauschen. Bleibt das so, würde das bedeuten, dass die Zeit der Parallelwährung vorbei wäre.

Doch die meisten Argentinier sind abwartend, zu frisch sind die Nachrichten, zu fragil das Vertrauen in die zarten Pflänzchen des wirtschaftlichen Erholung. Kurze Zeiten des Aufschwungs haben die Argentinier immer wieder mal erlebt. Die spannende Frage ist, wie nachhaltig die von Milei angestoßene Entwicklung ist. „Die Rezession ist vorbei“ sagt Milei. „Jetzt beginnt die Zeit der Erholung.“ Das sagen auch die Marktbeobachter der Investmentbank JPMorgan, aber behalten sie auch Recht, fragen sich die Menschen.

Die ökonomischen Kennziffern sind bemerkenswert: Innerhalb des ersten Amtsjahres hat Milei die Inflation von 25 Prozent auf 2,9 Prozent gesenkt, elf Monate Haushaltsüberschüsse in Folge erwirtschaftet und eine „Energiewende“ hingelegt: Erstmals steht am Ende des Jahres ein Überschuss von 4,3 Milliarden US-Dollar in der Energie-Handelsbilanz. Bis 2030 könnten es sogar 30 Milliarden sein. Ein „Gamechanger“, bei dem Mileis Vorgänger Alberto Fernandez mit dem Bau einer Pipeline vom Förderfeld Vaca Muerta nicht unbeteiligt war. Argentinien muss jetzt nicht mehr importieren, sondern kann sogar bald exportieren.

Demgegenüber stehen die Verlierer des knallharten Sparkurses. Zu denen gehören die Rentner, die indirekt Kürzungen hinnehmen mussten. „Es reicht einfach nicht mehr, alles ist viel teurer geworden. Wir wissen nicht, wie wir den Monat überstehen sollen“, sagen Fernanda und Araceli, zwei Rentnerinnen, die vor dem Kongress gegen die Kürzungspolitik demonstrieren. Immer Mittwochs um 15 Uhr. Aber es sind weniger Demonstranten geworden als noch vor ein paar Wochen. Immer wieder mal gibt es Proteste und Aufrufe zu Generalstreiks, aber die einst so mächtigen Gewerkschaften spüren den Machtverlust, liefern sich interne Grabenkämpfe, genau wie die Opposition.

Die Kettensägen-Methode birgt Konfliktpotenzial

Die Kritiker fordern von Milei, dessen Markenzeichen, die symbolische „Kettensäge“, nicht bei den Sozialleistungen anzusetzen. „Er hat versprochen, es treffe nur die Kaste, nicht die einfachen Menschen“, sagen die beiden Rentnerinnen. Tatsächlich hatte Milei vor gut einem Jahr noch angekündigt, es werde vor allem die politischen Kräfte und ihre Unterstützer treffen, die für das argentinische Schuldendesaster verantwortlich seien. Die nennt er „Kaste“. Doch die tatsächlichen Auswirkungen der Kürzungspolitik spüren entgegen aller Versprechen die Armen und die Mittelschicht. Mittlerweile lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Das sind die Kollateralschäden der Kettensägen-Methode und auch ein enormes Konfliktpotenzial, sollte der versprochene Aufschwung nicht kommen.

In der Wirtschaft aber ist Aufbruchstimmung zu spüren: „Die Inflation ist gefühlt zu Ende. Die Wirtschaftsmaßnahmen, darunter die Aufhebung von unnötigen Regulierungen, beginnen zu greifen und die Wirtschaft kommt ins Rollen. Viele Firmen stellen neue Fachkräfte ein und mieten neue Büros und Arbeitsflächen an. Wir selbst vermieten Büroflächen in Mendoza und haben jeden Tag Anfragen von potenziellen Mietern“, sagt Andreas Vollmer, der seit 25 Jahren in der Weinmetropole Mendoza lebt, und Deutschland zudem als Honorarkonsul vertritt, im Gespräch mit dieser Zeitung.

Bringt die FDP den Milei-Kurs nach Berlin?

„Als Zwischenbilanz nach einem Jahr Präsidentschaft Javier Milei können wir wichtige Erfolge bei der wirtschaftlichen Stabilisierung feststellen, insbesondere bei der Bekämpfung der Inflation und Verschuldung. Entscheidend wird jetzt sein, durch eine Liberalisierung der Außenwirtschaft ausländische Investitionen zu erleichtern, damit sich die wirtschaftliche Lage verbessert. Hierauf sollte der Fokus der Arbeit der Regierung liegen“, sagt Hans-Dieter Holtzmann von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in Buenos Aires.

Eben diese deutsche FDP ringt mit sich, ob sie den Milei-Kurs über den Atlantik nach Berlin transportieren soll, um aus der Krise zu kommen. Es gibt Überschneidungen, aber auch deutliche Unterschiede. Der libertäre Milei will so wenig Staat und Regulierungen wie möglich, sagt aber auch Nein zu Gender-Politik und Schwangerschaftsabbrüchen. „Der Kulturkampf auf internationaler und nationaler Ebene kostet nur unnötig politische Energie und erschwert gerade auch für Investitionen erforderliches Vertrauen im Ausland“, sagt Holtzmann. „Im Hinblick auf die Kongresswahlen Ende 2025 ist eine ausreichende Unterstützung in der argentinischen Gesellschaft eine essenzielle Voraussetzung für den weiteren Reformkurs. Dieser ist nach dem desaströsen Erbe der Vorgängerregierungen grundsätzlich richtig und erforderlich, damit Argentinien nicht nur großes Potenzial hat, sondern auch nutzen kann.“

Anfang Dezember veröffentlichte die größte Zeitung des Landes, die konservativ ausgerichtete „Clarin“, allerdings eine Umfrage, deren Ergebnis sie selbst „unerwartet“ nennt. Demnach liegt Mileis libertäre „La Libertad Avanza“ deutlich vor allen anderen Parteien, die tektonische Verschiebung der politischen Kräfte ist in vollem Gange. Von einem Vorsprung von bis zu 30 Prozent ist da die Rede.

Mileis Anfangserfolge auf dem Feld der Wirtschaftspolitik sind eine Sache, der angesprochene Kulturkampf eine andere. Vor allem die Studenten wehren sich gegen die Kürzungen im Bildungswesen. Entlang der großen Universitäten sind Graffitis aufgesprüht und Plakate aufgeklebt. „Fuera Milei“ (Milei raus) steht darauf zu lesen. „Rettet die Universitäten“. Argentiniens Universitäten sind kostenfrei, auch für Ausländer. Das will Milei ändern. Ausländische Studenten sollen künftig zahlen. Viele befürchten, dadurch werde das Studium mittelfristig zu einem Privileg für die Besserverdienenden. „Wer den Universitäten das Geld wegnimmt, zerstört die Zukunft“, steht auf den Häuserwänden in den Studentenvierteln.

„Im Grunde ist Milei einer von uns“

Doch auch hier gibt es Überraschungen. Wie in der „Galerias Bond Street“, eine Art Einkaufszentrum für die alternative Szene: Lederjacken, Marihuana-Equipment und Gothic-Style. Nichts deutet hier daraufhin, dass die junge Underground-Kundschaft mit dem libertären Präsidenten sympathisieren könnte. Und doch. Auch hier gibt es Milei-Unterstützer, auch wenn sie sich nicht aus der Deckung wagen.

„Wissen Sie, wenn ich dazu etwas sage, könnte ich einen Teil meiner Kunden verärgern“, sagt ein Ladenbesitzer. Um dann doch mit Blick auf die Lederjacken- und Rockstar-Attitüde des Präsidenten zu sagen: „Im Grunde, ist der doch einer von uns.“ Gegenüber hat einer den Leitspruch von Javier Milei samt Foto des Präsidenten an die Ladentür geklebt: „No hay plata – Die günstigsten Preise gibt es hier“.

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Erstellt:
9. Dezember 2024, 17:38 Uhr
Aktualisiert:
9. Dezember 2024, 17:44 Uhr

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