Make-up der Linken-Politikerinnen
Was bedeutet es, wenn Frauen rote Lippen tragen?
Eine Frau mit roten Lippen sendet immer auch die Botschaft: Hier bin ich. Jüngst zu beobachten bei den Linken-Politikerinnen Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek. Dabei war der weibliche Mund in Signalfarbe nicht immer gut gelitten.

© dpa/Jens Büttner
Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek von der Linken am Tag nach der Wahl.
Von Lisa Welzhofer
Das Äußere von Politikerinnen in den Blick zu nehmen, ist immer brandgefährlich. Schnell kommt der Vorwurf, man reduziere Frauen einmal mehr auf Haare, Kleidung, gar körperliche (Geschlechts-)Merkmale. Und überhaupt: „Bei Männern würde man das ja auch nie tun!“ Oh doch, würde man sogar sehr gern! Nur kommen die halt mehrheitlich so wahnsinnig langweilig und uniformiert daher, sodass sich die Betrachterin des Wahlnachberichterstattungstsunamis schon über einen Markus Söder im Rollkragenpulli (dafür plötzlich wieder ohne Bart) freut.
Was aus der blau-grauen Anzug- und Kostümomatreihe tanzt, ist halt wie ein kleiner Widerhaken, an dem man sich nur allzu gern optisch und gedanklich festklammert als kleines Wählerlein – zumal in diesen stürmischen Politikzeiten.
Mehr als linke Farbsymbolik?
Und so leuchteten denn auch die blutroten Lippen der Linkenpolitikerinnen – sowohl am Wahlabend wie auch am Tag danach – wie kleine Signalfeuer im Meer der allgemeinen Ernüchterung. Parteivorsitzende Ines Schwerdtner und Heidi Reichinnek, die der Linken-Gruppe im Bundestag vorsteht, hatten dick aufgetragen, was vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz einen fast schon komplementären Kontrast ergab. Sodass man sich fragte: Steckt mehr dahinter, als der Versuch, Frische in ein müdes Gesicht nach durchfeierter Wahlnacht zu malen, oder der Verweis auf die traditionelle Farbsymbolik des linken Parteienspektrums?
Tatsächlich waren solch betonte Lippen bei Politikerinnen lange kaum zu sehen. Wenn es überhaupt Frauen in den Bundestag schafften, traten diese kleidungstechnisch in Männer mimikrierender Zurückhaltung auf. Sprich: In Blazern, Hosen, knielangen Röcken, nur nicht zu hohen Pumps – die Gesichter dezent geschminkt.
Bewusste Abkehr vom Make-up
Es waren vor allem grüne Frauen, die in den 80er Jahren bewusst ohne Make-up und damit frei von patriarchalen Schönheitsvorgaben, deutliche Zeichen absetzten. Oder aber – wie etwa Claudia Roth – mit wechselnden Haarfarben und –formen, expressionistischen Wallegewändern und eben auch farbigen Lippen zeigten, dass Frauen im parlamentarischen Gefüge Raum für ihr Empfinden von Ästhetik beanspruchen, in dem sich ja immer auch (Politik-)Stil und -Charakter spiegeln.
Vor allem der Lippenstift, dessen Vorläufer wohl schon vor 5000 Jahren entstanden, ist ein zutiefst politisiertes Zierwerk. Im alten Ägypten noch Ausdruck von Wohlstand (für 50 Gramm karminroten Farbstoffs mussten etwa 100000 Schildläuse zerquetscht werden), galt ein leuchtender Mund im Mittelalter teils als Teufels- oder Hexenzeug. Was durchaus im Kontext seiner eben immer auch verführerischen Wirkung zu interpretieren ist. Eine Frau mit betonten Lippen fällt auf, allein schon wegen des Signal- und Warncharakters roter Farbe. So ergab eine Studie der Universität Manchester, dass, wer roten Lippenstift aufträgt, 7,3 Sekunden mehr Aufmerksamkeit bekommt als eine oder einer ohne Farbe im Gesicht.
Nur folgerichtig also, dass sich im frühen 20. Jahrhundert die New Yorker Suffragetten auf ihren Protestmärschen öffentlich die Lippen schminkten. Oder Engländerinnen und Amerikanerinnen während des Zweiten Weltkriegs Lippenstifte mit Namen wie „Victory Red“ oder „Patriot Red“ verwendeten – während die deutsche Frau nach nationalsozialistischer Vorstellung möglichst natürlich zu sein hatte.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an Ein Beitrag geteilt von Stuttgarter Zeitung (StZ) (@stuttgarterzeitung)
Die Liste rotlippiger Ikonen der Emanzipation ist lang und reicht von Simone de Beauvoir über Frida Kahlo bis hin zu Isabella Rossellini. Unter dem Label Lipstick Feminism firmiert gar jene Ausprägung des Feminismus, die Weiblichkeit und Emanzipation nicht als Gegensätze sieht.
Heute sind rote Lippen längst omnipräsent, nicht selten als kosmetischer Selbstzweck, Teil eines urbanen Hipsterstils. Sie werden im Büroalltag getragen, Nachmittags auf dem Spielplatz oder abends in der Bar. Die ukrainische Hochspringerin Jaroslawa Mahutschich zieht damit beim Sport ebenso Blicke auf sich, wie Sängerin Gwen Stefani auf der Bühne oder die demokratische US-Politikerin Alexandria Ocasio-Ortez im Repräsentantenhaus.
Dennoch: Ob nun als politisches Statement verstanden oder nicht, sendet die Trägerin eines solch flammenden Mundes immer die starke Botschaft aus: Hier bin ich. Das ist in Zeiten, in denen der Frauenanteil im Bundestag wieder sinkt, und mit der CDU eine in ihren Spitzen fast frauenfreie Partei stärkste Kraft wurde, schon ein Wert an sich.