Österreich
Was wird jetzt aus der Zuckerl-Koalition?
Politisches Beben in der Steiermark: Die FPÖ verdoppelt ihr Wahlergebnis und wird stärkste Kraft im zweitgrößten Bundesland Österreichs. Wer darf jetzt regieren, und was passiert auf Bundesebene? Die ÖVP steckt in einem Dilemma.
Von Michael Maier
Die Landtagswahl in der Steiermark am Sonntag, 24. November, hat die politische Landschaft Österreichs erschüttert. Mit einem Erdrutschsieg von über 34,8 Prozent der Stimmen konnte die FPÖ unter Spitzenkandidat Mario Kunasek ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Wahl verdoppeln. Damit ist die rechtspopulistische Partei zum ersten Mal in der Geschichte der Zweiten Republik stärkste Kraft in der Steiermark.
Die etablierten Parteien erlitten dagegen massive Verluste. Die ÖVP unter Landeshauptmann Christopher Drexler stürzte auf 26,8 Prozent ab, die SPÖ erreichte nur noch 21,4 Prozent. Die bisherige schwarz-rote Koalition verlor damit ihre Mehrheit im Landtag. Die Grünen halbierten sich auf 6,2 Prozent.
Zuckerl-Koalition für Österreich?
Das Wahlergebnis hat weitreichende Auswirkungen auf die Bundespolitik. Nach der Nationalratswahl vom September 2024, bei der die FPÖ unter Herbert Kickl ebenfalls stärkste Kraft wurde, hatte Bundespräsident Alexander Van der Bellen nicht die FPÖ, sondern die zweitplatzierte ÖVP mit der Regierungsbildung beauftragt. ÖVP-Chef Karl Nehammer verhandelt seither mit SPÖ und den Liberalen von NEOS über eine „Zuckerl-Koalition“, um eine Regierung mit FPÖ-Politiker Herbert Kickl als Bundeskanzler zu verhindern.
Der steirische Landeshauptmann Christopher Drexler, der sich als einer der wenigen ÖVP-Politiker für Koalitionsverhandlungen mit der FPÖ ausgesprochen hatte, macht die Bundespolitik für die Niederlage verantwortlich. Er fühle sich wie „das Bauernopfer der Republik“. FPÖ-Chef Kickl sieht im Wahlergebnis hingegen einen „Ordnungsruf“ nach Wien.
FPÖ Steiermark hat Regierungsauftrag
In der Steiermark bekommt die FPÖ als stimmenstärkste Partei laut Landesverfassung automatisch den Auftrag, über eine Regierungsbildung zu verhandeln. Gelingen könnte das zum Beispiel mit der ÖVP, in der viele gegen eine Zusammenarbeit mit Linken und Liberalen sind. Eine ÖVP-FPÖ-Koalition gibt es seit Kurzem auch im Bundesland Vorarlberg mit Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP).
Eine solche Koalition von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) und Jörg Haider (FPÖ/BZÖ) hatte in Österreich auf Bundesebene schon von 2000 bis 2007 bestanden. Ebenso mit ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz von 2017 bis 2019, bis das Bündnis über die „Ibiza-Affäre“ FPÖ-Vizekanzler Christian Strache stürzte.
Alternativ wäre auch in der Steiermark eine „Zuckerl-Koalition“ aus ÖVP, SPÖ und den Liberalen von NEOS möglich – Ergebnis völlig offen. Das bisherige Bündnis aus ÖVP und SPÖ hat jedenfalls keine Mehrheit mehr.
Wien beharrt auf Zuckerl-Koalition
Trotz des blauen Erdrutschsiegs in Graz wollen die Koalitionsverhandler in Wien an ihren Plänen für den Bund festhalten. ÖVP-Generalsekretär Stocker und SPÖ-Bundesgeschäftsführer Seltenheim betonen, dass es sich um ein „steirisches Ergebnis“ handle, das keine Auswirkungen auf den Bund habe. Sie verweisen auf einen internationalen Trend, bei dem Regierungsparteien derzeit an Vertrauen verlieren.
Klar scheint darüber hinaus zu sein, dass Grüne in letzter Zeit immer unbeliebter werden und Rechtspopulisten europaweit an Einfluss gewinnen – egal, ob mit Regierungsbeteiligung oder nicht. So hängt die bürgerliche Regierung von Michel Barnier in Frankreich zum Beispiel indirekt von einer Tolerierung von Marine Le Pen ab, meinen Beobachter. Auch in der Steiermark und in ganz Österreich könnten Konservative und Rechtspopulisten womöglich verstärkt über Bande zusammen spielen wollen.
Landtagswahl in der Steiermark
- FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs): 34,76 Prozent
- ÖVP (Österreichische Volkspartei): 26,81 Prozent
- SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs): 21,36 Prozent
- Grüne: 6,17 Prozent
- NEOS: 6,00 Prozent
- KPÖ: 4,47 Prozent
Die „Zuckerlkoalition“ hat zwar rechnerisch eine Mehrheit auf allen Ebenen, doch der Rechtsruck in der Steiermark könnte die ÖVP unter Umständen noch zum Umdenken bewegen. Ein Bündnis zwischen ÖVP und FPÖ wäre theoretisch ebenfalls möglich, würde aber vermutlich das Ende von Karl Nehammer als Bundeskanzler bedeuten, denn Herbert Kickl beharrt für den Fall einer blau-schwarzen Koalition auf der Kanzlerschaft. Und in der Steiermark könnte Mario Kunasek FPÖ-Landeshauptmann werden. Daher schrecken die Konservativen bislang davor zurück.