Weidenmeditation und Fingertraining

Über die Sommerzeit hat die Volkshochschule einige kreative Kurse im Programm. Bei Lore Wild hieß es, sich ins Flechten einzufuchsen. In ihrem Seminar fand sich auch das VHS-Team ein, um gemeinsam die Kunst des Weidenwebens kennenzulernen.

Konzentriertes Arbeiten: Michaela Millenet, Jutta Brasch, Birgit Wolf, Kirstin Krack und Ingrid Hohn (von links) an ihren Werkstücken.

Konzentriertes Arbeiten: Michaela Millenet, Jutta Brasch, Birgit Wolf, Kirstin Krack und Ingrid Hohn (von links) an ihren Werkstücken.

Von Christine Schick

MURRHARDT. Wie lässt sich in Pandemiezeiten eine anregende gemeinsame Zeit für ein Arbeitsteam gestalten? Für Volkshochschulleiterin Birgit Wolf und die Mitarbeiterinnen war klar, dass ein gemeinsamer Betriebsausflug keine allzu gute Option sein würde. Da über die Sommerferien aber ein Angebot verschiedener kreativer Workshops im Murrhardter Grabenschulhaus läuft, warum sich nicht auch selbst in einem spannenden Kurs einreihen und sich zwischendurch austauschen? „Flechten mit Korbweiden für den Garten“ bot da die besten Voraussetzungen.

Gemeinsam mit weiteren Teilnehmerinnen heißt es also an einem Samstag: „Den elementaren Umgang mit Weiden als Material und einfache Flechtweisen, die ähnlich wie Weben funktionieren, kennenzulernen“, erklärt Dozentin Lore Wild. Die Flechtwerkgestalterin und Künstlerin hat ihre Werkstatt in Oberriexingen im Kreis Ludwigsburg, ist aber auch auf dem Januariusmarkt in Murrhardt vertreten, worüber der Kontakt zustande kam. Ihr Schaffen bewegt sich zwischen größeren Flecht-Dekorationsobjekten für Ausstellungen, Landart und Projekten am Bau, die in Gruppenarbeit entstehen, bis hin zu hochwertigen Gebrauchskörben oder künstlerischen Objekten in der Innenarchitektur. Das Projekt im Kurs: ein Flechtwerk in Form eines großen Blattes, das im Freien seinen Platz finden kann.

Die Teilnehmerinnen sitzen vor ihrem Werkstück und haben schon ihre ersten Flechtschritte gemacht. Mehrere dickere Weiden stecken in den Hohlräumen eines schweren Backsteins. Sie stellen die Längsstränge dar, entlang derer nun mit etwas dünneren Ruten in Linien gewebt wird. Der Beginn ist engmaschig, allmählich weitet sich die Fläche, sodass das Legen der Weiden allmählich leichter wird. Lore Wild möchte, dass die Teilnehmerinnen die Technik spielerisch kennenlernen können. Ihr Material hat sie von Weidenanbauern aus der Pfalz mitgebracht. „Die Weide hat im Inneren ein Mark, ist biegsam und langfaserig“, sagt sie. Nach der Ernte werden die Ruten getrocknet und später wieder ins Wasser gelegt, bevor sie dann in der Flechtwerkstatt zum Einsatz kommen.

Michaela Millenet gefällt das Hell-Dunkel-Muster, das beim Weben ihres Blatts entsteht. „Wenn eine einzelne Rute verarbeitet ist, einfach stehen lassen, das können wir später abschneiden“, sagt Lore Wild. Sie legt den neuen Materialstrang so an, dass er möglichst auf gleicher Höhe anschließt.

„Das ist nichts für zarte Hausfrauenhände, da braucht es ziemlich Kraft in den Fingern“, lautet ein erster Eindruck aus den Reihen der Teilnehmerinnen. Michaela Rannaud stellt fest, dass die Teilnehmerinnen aber aus anderem, sprich robusterem Holz geschnitzt sind. Daumen und Zeigefinger werden allerdings wirklich beansprucht, räumt die Dozentin ein. Geht es an Bauflechterei und richtig große Objekte, können dann auch mal die Oberarme deutlicher zu spüren sein. „Das Korbflechten begleitet die Menschheit schon immer.“ Die Technik fände sich auch in der Natur, sagt sie, und verweist auf die Struktur des Spinnennetzes. Kirstin Krack nickt und meint, die Arbeit habe etwas Archaisches. Die Dozentin regt an, bei der Technik weg von der Bewegung des Nähens hin zum Weben zu kommen. Das Zupackende aber bleibt. Nicht nur das Biegen der Stränge erfordert Kraft, ab und zu müssen die entstandenen Webreihen verdichtet werden. Jutta Brasch nimmt ein Schlageisen und klopft sie nach unten.

„In der Römerzeit war das ein angesehener Beruf“, erzählt Lore Wild, der Status eines Korbflechters sei vielleicht mit dem eines baden-württembergischen Autobauers vergleichbar. In den Werkstätten entstanden Körbe, Möbel, Erntegeräte wie Dreschwannen bis hin zu Schilden und Schanzkörben zur Verteidigung. Auch in anderen Ländern und Kontinenten hat sich das Flechten als Kulturtechnik entwickelt.

Die Teilnehmerinnen sind vom Material begeistert. Es lässt sich – mit dem entsprechenden Einsatz – gut in Form bringen und wirkt plastisch. Das Gewachsene der Weiden bedeutet auch, „da ist immer was los“, sagt die Dozentin mit einem Lächeln. Und jeder macht sein Unikat, das hat seinen Charme, stellt Michaela Rannaud fest.

Der Austausch im großen Saal mit geöffneten Fenstern und viel Abstand zwischen den Arbeitsplätzen kommt nicht zu kurz, allmählich nimmt das Arbeiten auch ruhigere, meditative Züge an. Die Fläche des Blattes wächst. Wer eine rundere, breitere Form angelegt hat, muss noch etwas fleißiger flechten, die filigraneren Konstruktionen wiederum haben sich mit den engmaschigeren Abständen auseinanderzusetzen, die beim Endspurt aber für alle noch mal Thema werden. Hat Lore Wild den Flechtheldinnen anfangs geholfen, Längsstränge neu zu integrieren, zeigt sie nun, wie sich diese zusammenführen und später auch durch ein Abschneiden wieder reduzieren lassen.

Neuer Tenor in der Gruppe: Die Ansprüche passen sich den Fingerschmerzen an. Silke Müller gibt richtig Gas, entwickelt sich zur Flecht-Mittelstreckenläuferin. Birgit Wolf wünscht sich, schneller voranzukommen. Lore Wild macht ihr klar, dass genau das mit der Form, die nun zur Blattspitze zusammenläuft, praktisch automatisch passiert.

Kleine Verflechter werden mit der Aussicht relativiert, bald im Garten mit einer Tasse Kaffee zu sitzen – vor dem eigenen Werkstück. Eine Vision, die aufgeht. Am Ende des Workshoptages haben alle ihre Arbeit fertiggestellt und der kommende Fingermuskelkater ist erst mal vergessen.

Parade der fertigen Werkstücke. Die unterschiedliche Färbung der Weiden gibt den Dekorationsblättern ein abwechslungsreiches Muster. Fotos: C. Schick (2)/privat (1)

Parade der fertigen Werkstücke. Die unterschiedliche Färbung der Weiden gibt den Dekorationsblättern ein abwechslungsreiches Muster. Fotos: C. Schick (2)/privat (1)

Lore Wild (links) gibt immer wieder Tipps und zeigt, worauf es ankommt.

Lore Wild (links) gibt immer wieder Tipps und zeigt, worauf es ankommt.

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Erstellt:
3. September 2020, 06:00 Uhr

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