Weitgespannte Lebenslinien
Folkart Schweizer feiert heute seinen 80. Geburtstag. Seine jungen Jahre sind noch vom Krieg geprägt, als er das Unternehmen des Vaters weiterführt, erlebt er eine zunehmend globale Welt, die nun von der Pandemie geprägt ist. Der Blick sollte weit bleiben, findet er.
Von Christine Schick
MURRHARDT. „Doch, ich schaue auch mal gerne zurück“, sagt Folkart Schweizer mit Blick auf seinen 80. Geburtstag. Angesichts der persönlich genauso wie zeitgeschichtlich beachtlichen Strecke gibt es viele Wegmarken. Da sind die Erinnerungen an die Bombardements Ende des Zweiten Weltkriegs in Backnang, wobei keiner der Familie sein Leben lassen musste, sowie an einen Spielplatz, der praktisch das ganze Lederfabrikgelände in Murrhardt umfasste und den der Jubilar mit einem Hauch von Freiheit beschreibt. „Spielsachen gab es nicht. Wir haben Autos aus Lehm geformt. Später sind wir auf dem Dach in vielleicht 20 Meter Höhe unterwegs gewesen.“
Als sehr prägend hat Folkart Schweizer seine zweieinhalb Jahre in Bolivien in Erinnerung. Vor dem Hintergrund des Koreakriegs beschlossen seine Eltern, auszuwandern. Die Angst vor einem erneuten Krieg bewog sie zu einem Neustart sozusagen auf der anderen Seite der Erdkugel. Auch wenn sich dieser Schritt als nicht ungefährlich erweisen sollte, weil in dem südamerikanischen Land gewaltsame Machtwechsel an der Tagesordnung waren, bedeutete er für den jungen Folkart Schweizer einen Blick weit über seine bisherige Lebenswelt hinaus – inklusive Spanisch als zweite Muttersprache, einem Leben in 2700 Meter Höhe und dem Erleben der politischen Kämpfe, die die Familie bis in die Wohnzimmerstube verfolgten („Kugeln, die einem um die Ohren flogen“). Ebenfalls wichtig – zurück in Deutschland: Die Phase im Internat, in der Folkart Schweizer lernte, „sich ohne Eltern zu behaupten“ und die er später mit seiner Frau Rosely teilt – auch sie verbrachte einige Zeit außerhalb der Familie.
Sprachlernaufenthalte in England und Frankreich gehörten genauso dazu wie das Wirtschaftsstudium („Da lernte ich meine Frau kennen!“) und ein Auslandsaufenthalt in den USA. Damit war auch die Basis für eine berufliche Laufbahn gelegt, die sich in den 1970er- und 1980er-Jahren für Folkart Schweizer immer mehr zu einem Managerleben auf internationalem Parkett entwickelte.
„Mein Vater ist früh gestorben und ich habe das Unternehmen mit 29 Jahren übernommen“, erzählt er. Er habe diese Herausforderung bewusst angenommen und die Lederproduktion mit einem Exportanteil von fünf auf 80 Prozent erhöht. Das Unternehmen lieferte die Tierhäute unter anderem nach Asien und in die USA. Für diese Handelspartner eine Option, weil sie wiederum Möbel oder Textilien in Europa verkaufen wollten.
„Ich wollte aber auch etwas aufbauen, was noch nicht da war“, erzählt Folkart Schweizer. Das zweite Standbein wurde das Unternehmen Schweizer+Weichand (später Schweizer Group), das als Druckgusshersteller und Automobilzulieferer reüssierte. „Wir hatten einen guten Ruf, haben technisch schwierig herzustellende Teile aus Aluminium und Magnesium gefertigt“, stellt der Jubilar fest. Er hatte das Unternehmen nach seinem Ausscheiden aus dem Geschäftsleben verkauft und sagt angesichts der zweiten Insolvenz und bevorstehenden Schließung: „Das macht mich sehr traurig. Ich kann gar nicht glauben, dass es niemand gibt, der den Betrieb übernehmen will.“ In der omnipräsenten Kritik gegenüber der Automobilindustrie sieht er einen der Hintergründe, das Konzept der E-Mobilität überzeugt ihn wenig. Und die mit der Coronapandemie verbundenen wirtschaftlichen Verwerfungen inklusive Kurzarbeit haben auch ihren Teil zur schlechten Lage des Murrhardter Standorts beigetragen, bilanziert Schweizer. „Autozulieferer gehören zurzeit nicht zu den heißesten Adressen“, stellt er trocken fest. Er räumt ein, dass er schon lange Zeit nicht mehr im Geschäft sei, aber die Entwicklungen mit Sorge betrachtet. Mit Blick auf die Chancen für eine mittelständische Wirtschaft sagt er: „Man muss aufpassen, dass sich der Staat nicht zu sehr einmischt und die Verantwortung bei der Wirtschaft bleibt.“
Schweizer hat Bedenken, dass nach den Stützungen ein Insolvenz-Tsunami folgen könnte.
Problematisch findet Schweizer die Bürokratisierung und Überregulierung von Prozessen. „Ich weiß nicht, ob ich heute noch Unternehmer sein könnte. Schon wenn man eine Maschine im Betrieb umstellen will, braucht es einen Antrag beim Landratsamt.“ Wenn früher beispielsweise sonntags eine Sonderschicht gefahren werden sollte, habe es genügt, sich mit dem Betriebsrat abzustimmen. Dahinter stehe das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft.
Für ihn ist letztlich auch die aktuelle Stützung im Kontext von Corona ein Eingriff. „Es wird jetzt viel Geld in die Hand genommen, aber das kann auch eine Verführung sein, weil kein Konzept dahinter steht, es ist kein Konjunktur-, eher ein Überlebensprogramm“, sagt er. Die Probleme seien nur verschoben und er habe Bedenken, dass danach ein wahrer Insolvenz-Tsunami auf uns zukommen könnte. Bei vielen Branchen brauche es einfach auch einen großen Vorlauf, und nicht alle könnten die lange Strecke durchhalten.
Wenn Folkart Schweizer sich in wirtschaftlichen Diskussionen ins Zeug legt, vermutet man nicht unbedingt, dass er dies auch auf einem ganz anderen Gebiet ebenso tut. Ein ziemlich besonderes Erlebnis hat ihm die Begegnung mit einem Tigerhai beschert, der ihn ins Maul genommen und ordentlich durchgeschüttelt, dann aber wieder von ihm abgelassen hat. Dies nimmt er nicht nur völlig auf seine Kappe wegen seines damals unerfahrenen Verhaltens, sondern setzt sich seitdem auch in einem Verein für die Tiere ein. „Haie sind für das ökologische Gleichgewicht der Meere wichtig.“ Obwohl die Tiere überhaupt nichts von Menschen wollten, werden sie grausam gejagt und getötet. Zwar hat Folkart Schweizer mit seiner Vereinsarbeit erreicht, dass nicht mehr so negativ über Haie berichtet wird, aber noch wichtiger sei ein Verbot der Haifischflossensuppe in China, erklärt er.
Mit Blick auf die Ökologie unterscheidet der Jubilar zwischen Umweltschutz und Klimaschutz. „Meine Einstellung ist immer gewesen, dass vermeiden besser als reparieren ist.“ Insofern habe er in der Lederfabrik 1978 eine biologische Kläranlage eingebaut. Auch einen Klimawandel lässt er gelten, Zweifel hat er aber an der Rolle und des Gewichts einer menschengemachten Veränderung des Klimas. Inwieweit ihn als langjähriges CDU-Mitglied diese Diskussionen nach der nächsten Bundestagswahl noch einmal beschäftigen werden, muss offen bleiben, aber es könnte durchaus sein. Der Jubilar setzt nämlich auf Friedrich Merz als CDU-Parteivorsitzenden und dieser wiederum hatte bei seinem Besuch in Murrhardt den Grünen einige Komplimente gemacht. Wichtig ist Schweizer, dass Merz aus seiner Sicht ein strategisches Gesamtkonzept hat, bei dem er vor allem in europäischen Dimensionen denkt, um entsprechenden politischen Einfluss zu haben.
Bei CDU und Grünen sieht Schweizer durchaus Schnittmengen. „Auch die Grünen sind Europäer“, sagt er, und sie hätten ein marktwissenschaftliches Verständnis, wüssten, dass das Geld erst verdient werden müsse, bevor es verteilt werden könne. Beim Gespräch über weitere Zukunftsaufgaben steht die Digitalisierung bei Folkart Schweizer hoch im Kurs und es wird klar, wie stark sich die Entwicklung in den vergangenen Jahren beschleunigt hat. „Als bei uns im Unternehmen die ersten Computer eingeführt wurden, waren die so groß wie eine Kommode.“ Heute passen Geräte mit einer viel größeren Leistung in eine Hosentasche.
Apropos Zukunft: „Meine Enkel machen mir große Freude, sie entwickeln sich alle gut, und so sieht man auch, dass es weitergeht“, sagt Folkart Schweizer. Manchmal wird ihm dann bewusst, was die acht kleinen Menschen noch alles lernen und was sie noch alles bestehen müssen. Und was er ihnen unbedingt ersparen möchte, ist, einen Krieg zu erleben. Das Wichtigste überhaupt sei Freiheit, auch im Sinne der entscheidenden Voraussetzung für Demokratie.