Wenn die Musik zur Miterzählerin wird
Premiere beim Internationalen Orgelzyklus: Tobias Wolbers stimmiges Klangmosaik zu Buster Keatons Stummfilm „Der General“ auf der Mühleisen-Orgel sorgt für große Begeisterung beim Publikum in der Murrhardter Stadtkirche.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Viele Interessierte erlebten eine faszinierende Premiere im Rahmen des Internationalen Orgelzyklus. Erstmals setzte der erfahrene Stummfilmorganist und Musiklehrer Tobias Wolber aus Crailsheim die überaus reiche Klangfarben- und Effektpalette der Mühleisen-Orgel in der Stadtkirche fantasievoll und virtuos für Filmmusik ein. Er schuf zu Buster Keatons 1926 gedrehter Filmkomödie „Der General“, deren Ablauf er auf einem Bildschirm über den Manualen verfolgte, eine überaus vielschichtige, klangmalerische Improvisation, die bestens mit den sehr unterschiedlichen Szenen und Stimmungen harmonierte.
Die Töne malen die Bilder weiter aus
„Ein Film wirkt völlig anders mit Musik, die einen großen Einfluss auf die Wahrnehmung hat, wobei es zwei verschiedene Arten von Filmmusik gibt“, erklärte Wolber in einer kurzen Einführung. Bei der für Tonfilme üblichen, meist komponierten Form werden die Aktionen und Stimmungen im Verlauf der Handlung in Töne und Klänge umgesetzt, dargestellt und verstärkt. „Stummfilmspezifisch ist die sogenannte kommentierende Musik mithilfe der Improvisation: Dabei wird das, was im Film geschieht, gleichsam eins zu eins spontan aus dem Moment heraus musikalisch abgebildet, sodass die Musik die Bilder kommentiert.“ Dies verdeutlichte der Organist mit kurzen Klangbeispielen: Die Registervielfalt der Mühleisen-Orgel bietet alle Schattierungen von weichen, romantisch-idyllischen Nuancen bis zu harten, martialischen Fanfaren. Sie ermöglicht auch außergewöhnliche Kombinationen, die zur Handlung passen, sodass der Organist für jede Szene die richtigen Töne traf und so ein überaus stimmiges, bunt schillerndes und sinfonisches Klangkunstwerk kreierte.
Der Film spielt während des Amerikanischen Bürgerkriegs und basiert auf dem historisch verbürgten Andrews-Überfall vom 12. April 1862. Der Lokomotivführer Johnnie Gray (Buster Keaton) darf nicht als Soldat der Südstaatenarmee am Konflikt teilnehmen, weil er einen kriegswichtigen Beruf hat. Seine Braut Annabelle Lee (Marion Mack) glaubt aber, er habe sich aus Feigheit nicht gemeldet, und wendet sich enttäuscht von ihm ab. Als plötzlich ein Trupp von Spionen der Nordstaatenarmee Johnnies Dampflok „General“ mitsamt Annabelle im Gepäckwagen entführt, nimmt er die Verfolgung auf. Clever und geschickt befreit er seine im Offiziersquartier der Nordstaatenarmee gefangene Braut, wobei er von einem geplanten Überraschungsangriff erfährt.
Zu Fuß und mit diversen Gefährten jagt Johnnie hartnäckig den Feinden hinterher und kann handwerklich-technisch erfindungsreich seine Dampflok zurückerobern. Nach einer wilden Verfolgungsjagd gelingt es ihm sogar, die Südstaatenarmee vor dem Überraschungsangriff zu warnen, sodass sie in einer chaotischen Schlacht, die 500 Statisten der Nationalgarde spielten, die Nordstaatenarmee besiegt. Als Kriegsheld wird Johnnie zum Leutnant ernannt, bekommt die ersehnte Uniform und schließt überglücklich seine begeisterte Annabelle in die Arme. Der Film war eine der teuersten Stummfilmkomödien: Buster Keaton ergänzte die auf William Pittingers Roman „Die große Lokomotivenjagd“ basierende Geschichte um allerlei Gags, Slapsticks und waghalsige Stunts, die er alle selbst bestritt. Spektakulärer Höhepunkt war der Absturz einer echten alten Dampflok von einer brennenden Brücke in einen Fluss.
Tobias Wolber gestaltete die Improvisation überaus abwechslungsreich und setzte auch charakteristische Filmmusikelemente ein. Heitere Scherzomotive begleiteten Gags, gebrochene Akkorde und schnelle Tonwiederholungen unterlegten spannende Sequenzen, düstere, bedrohlich wirkende Klänge dramatische Ereignisse, Militärmarschfanfaren Szenen mit Soldaten. Hinzu kamen motorische, zur fahrenden Eisenbahn passende Figuren, heiter swingende, typisch amerikanische Harmonieelemente sowie Zitate aus bekannten Melodien.
Märchenoper und Glenn Miller
So erklang nach Annabelles Befreiung, als Johnnie sich mit ihr im Wald versteckte und dort die Nacht verbrachte, die Melodie des Abendsegens aus Engelbert Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel“. Während einer ruhigen Lokomotivfahrt gab’s den Eisenbahn-Swingklassiker „Chattanooga Choo Choo“ von Glenn Miller zu hören und zu Bildern des Flusses das Leitmotiv von Bedřich Smetanas sinfonischer Dichtung „Die Moldau“. Trotz des ernsten Themas und einiger Gewalt- und Kriegsszenen gab es fürs Publikum dank Buster Keatons auflockernden Gags und Slapsticks viel zum Schmunzeln und Lachen. Mit Jubelapplaus und Bravorufen dankte es Wolber für seine grandiose Improvisationsfilmmusik.