Wohnarmut
Wenn hohe Wohnkosten Mieter in die Armut treiben
Die hohen Mieten lassen mehr Menschen in Armut leben, als die offizielle Statistik erkennen lässt. Das zeigt eine neue Auswertung und beschreibt, wer davon besonders häufig betroffen sind.
Von Markus Brauer/dpa
Wegen hoher Wohnkosten sind in Berlin und Brandenburg laut einer Studie mehr Menschen von Armut betroffen als bisher angenommen. Nach Abzug von Miete, Nebenkosten, Kreditzinsen und anderem bleibe vielen Menschen nur noch ein verfügbares Einkommen im Armutsbereich. Zu diesem Ergebnis kommt die Forschungsstelle des Paritätischen Gesamtverbands bei einer Auswertung von Daten des Statistischen Bundesamts.
️ Unsere neue Studie belegt: Wohnen macht arm! Deutlich mehr Menschen als bisher angenommen leben in Armut, wenn die Wohnkosten berücksichtigt werden. Die steigenden Mieten belasten vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen überproportional.#wohnen#mietenpolitik#armut 1/2 pic.twitter.com/7BV55pB3Ri — Der Paritätische (@Paritaet) December 13, 2024
Einkommen im Armutsbereich
Während die Armutsquote in Berlin nach konventioneller Berechnung 13,7 Prozent betrage, steige diese bei Berücksichtigung der Wohnkosten auf 20,8 Prozent. In Brandenburg sieht es ähnlich aus: Nach konventioneller Berechnung liege die Armutsquote bei 14,8 Prozent. Werden die Wohnkosten berücksichtigt, steige die Quote auf 20,3 Prozent.
Berlin belege bei beiden Werte bundesweit Platz elf. Brandenburg liegt bei der konventionell berechneten Armut auf Platz acht und bei der von Wohnkosten bereinigten Rechnung auf Platz zwölf. Deutschlandweit betragen die beiden Quoten 14,4 und 21,2 Prozent.
Als arm gelten Menschen, die monatlich weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens zur Verfügung haben. Das Medianeinkommen ist das Einkommen, bei dem genau die Hälfte der Bevölkerung ein höheres und die andere Hälfte ein niedrigeres Einkommen hat.
Ausmaß von Armut wird übersehen
Bei der üblichen Armutsstatistik blieben Millionen Menschen unsichtbar, weil ihre Wohnkosten nicht berücksichtigt würden, kritisiert der Verband. „Wer nur Einkommen betrachtet, nicht aber, dass Menschen immer weniger Geld zur Verfügung haben, weil sie hohe Wohnkosten aufbringen müssen, übersieht das Ausmaß von Armut in Deutschland“, heißt es in der Auswertung.
Tatsächlich leben in Deutschland demnach 5,4 Millionen mehr Menschen unter der Armutsgrenze als bislang angenommen. Um die Wohnkosten bereinigt gelte mehr als ein Fünftel der Bevölkerung als arm. Der Schwellenwert liegt nach diesen Berechnungen für einen Ein-Personen-Haushalt bei 1016 Euro frei verfügbares Einkommen im Monat.
Hamburg, Bremen und Sachsen-Anhalt besonders betroffen
Stark betroffen von sogenannter Wohnarmut sind der Auswertung zufolge junge Erwachsene unter 25 - darunter viele Studenten – sowie Ältere über 65 Jahre. Alleinlebende trifft es eher als Paare, weil sie in der Regel höhere Wohnkosten pro Person haben. Am schlimmsten sei die Situation für alleinstehende Menschen im Rentenalter.
Auch regional gibt es Unterschiede: In Bremen, Sachsen-Anhalt und Hamburg sei „Wohnarmut“ am stärksten verbreitet, am wenigsten stark in Baden-Württemberg und Bayern. Der Unterschied zwischen der konventionellen und der um Wohnkosten bereinigten Armutsquote sei in Hamburg und Schleswig-Holstein besonders hoch.
Der Paritätische Gesamtverband ruft die künftige Bundesregierung auf, neue und dauerhaft sozial gebundene Wohnungen zu schaffen.
Fast jeder Dritte lebt in einem Gebiet mit Mietpreisbremse
Knapp ein Drittel der deutschen Bevölkerung wohnt in Gebieten, in denen die Mietpreisbremse gilt. Das zeigt eine Auswertung von Daten durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Demnach gilt das 2015 eingeführte Instrument für den Mieterschutz bundesweit in 415 Gemeinden mit insgesamt 26,2 Millionen Einwohnern.
Dort, wo die Mietpreisbremse gilt, darf die Miete bei der Wiedervermietung von Bestandswohnungen höchstens auf das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete zuzüglich zehn Prozent erhöht werden. Grundlage dafür ist ein Bundesgesetz, das die Landesregierungen ermächtigt, Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten auszuweisen, in denen die Mietpreisbindung gilt.
Neubauten ab dem 1. Oktober 2014 sind jedoch von der Mietpreisbindung ausgenommen, ebenso wie die erste Vermietung einer Wohnung nach einer umfassenden Modernisierung.
Auch Erhöhung im laufenden Mietvertrag wird stärker begrenzt
Wie das Bundesamt mitteilt, gilt in allen Gemeinden mit Mietpreisbremse – mit Ausnahme der Stadt Trier – auch eine abgesenkte Kappungsgrenze. Das bedeutet, dass Vermieter bei bereits bestehenden Mietverhältnissen innerhalb von drei Jahren eine Erhöhung um maximal 15 Prozent fordern dürfen.
In Gemeinden, wo die normale Kappungsgrenze gilt, ist eine Erhöhung der Bestandsmieten um bis zu 20 Prozent der ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt. Den Angaben zufolge gibt es bundesweit 87 Gemeinen mit abgesenkter Kappungsgrenze ohne Mietpreisbremse.
Wenn der Bundestag die Regelung zur Mietpreisbremse nicht per Gesetz verlängert, läuft sie Ende 2025 aus. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch (11. Dezember) zwar eine Verlängerung der Regelung bis Ende 2029 beschlossen und dies mit einer Änderung zu der Ausnahmeregelung für neu gebaute oder grundlegend modernisierte Wohnungen verbunden. Das Vorhaben dürfte allerdings vor der für den 23. Februar geplanten Neuwahl keine Mehrheit im Bundestag finden.
Bayern und Baden-Württemberg vorn
In Deutschland leben etwas mehr als die Hälfte der Menschen in Mietwohnungen. Die Wohneigentumsquote ist damit im EU-Vergleich sehr niedrig.
Die Daten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung zeigen, dass die Mietpreisbremse vor allem in Bayern, wo sie in 208 Gemeinden gilt, stark genutzt wird. In Baden-Württemberg gibt es in 89 Gemeinden eine Mietpreisbremse. Auf Platz drei liegt den Angaben zufolge Hessen (49 Gemeinden).
Von den 82 deutschen Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern nutzen der Behörde zufolge aktuell 44 Städte die Mietpreisbremse, um den Anstieg der Mieten bei Neuvermietung zu begrenzen.