Ausgrenzung in der eigenen Familie

Wer hat Angst vorm schwarzen Schaf?

Der Weg vom Außenseiter zum schwarzen Schaf der Familie ist nicht weit. Doch Eltern können einiges tun, damit es gar nicht erst dazu kommt.

Eigentlich süß, so ein schwarzes Schaf. Es sei denn, man wird zum schwarzen Schaf der Familie gemacht. Das ist lästig.

© imago/Panthermedia/NormanKrauss

Eigentlich süß, so ein schwarzes Schaf. Es sei denn, man wird zum schwarzen Schaf der Familie gemacht. Das ist lästig.

Von Tanja Capuana

Kreativer Künstler unter Konservativen, ausgefallener Kleidungsstil oder anderweitig abweichende Lebensentwürfe: Wer sich von anderen unterscheidet, wird für das Herausstechen nicht selten negativ betrachtet. „In fast jeder Familie gibt es ein sogenanntes schwarzes Schaf“, sagt Diplom-Psychologin Sonja Tolevski.

Häufig geht es von den Eltern aus, die von ihrem Nachwuchs enttäuscht sind, weil der Sohn oder die Tochter bestimmte Erwartungen nicht erfüllt. Manche vergleichen auch ihre Kinder untereinander – und eines zieht dabei den Kürzeren. In die Außenseiterrolle gedrängt werden vor allem die Familienmitglieder, die unabhängiger und freigeistiger sind. „Entweder derjenige, der komplett anders denkt, oder derjenige, der eben schwer zu lenken oder unbestechlich ist“, erklärt die Mannheimerin.

Ein schleichender Prozess

Doch niemand wird von heute auf morgen zum schwarzen Schaf. „Das ist ein schleichender Prozess, der sich immer mehr festigt“, erklärt Tolevski. Man stelle etwa fest, dass eine Person in der Familie immer durch Antihaltung auffalle, immer dagegen ist – irgendwann muss die Person gar nichts Gravierendes mehr tun.

„Die Wahrnehmungen der anderen sind diesem Menschen gegenüber nicht mehr neutral“, sagt die Diplom-Psychologin. „Bei ihren anderen Kindern würden sie vielleicht ein Auge zudrücken.“ Nicht aber bei der Person, die sie schon die ganze Zeit gestresst hat. Und ist man erst einmal in der Rolle des schwarzen Schafes, sei man häufig auch gleich der Sündenbock im Verbund.

So manche Eltern haben sich die Erziehung des Nachwuchses komplett anders vorgestellt und lehnen es ab, wenn das Kind Widerrede leistet oder andere Ideen verfolgen möchte. „Das Kind kriegt häufig Ärger und mit der Zeit kommt es auf die Idee, dem Stress einfach auszuweichen“, sagt Tolevski. Es beginnt sich rauszureden und zu lügen, um etwaigen Vorwürfen zu entgehen. Viele Eltern erkennen in solchen Situationen nicht, dass ihr Kind zu Lügen greift, um keinen Ärger zu bekommen.

Wenn das Kind nie gut genug ist

„Das weitet sich auch auf die Schule aus“, weiß Tolevski. Wenn das Schulkind etwa merke, dass sich über die erbrachten Leistungen sowieso keiner freue. Etwa wenn es die Note 2 nach Hause bringt und die Eltern meckern: „Es hätte ja auch eine 1 sein können.“ Manches Kind hört dann auf, sich anzustrengen und fängt an, (schlechte) Noten zu unterschlagen. Bis dann schließlich das Zeugnis die Wahrheit ans Licht bringt.

Das Problem: „Bis das Kind erwachsen ist, hat es schon so oft mitbekommen, dass es, so wie es ist, nicht okay ist.“ Die durchgängige Maßregelung der Kinder verschlimmere die Situation häufig noch. „Da wird dann immer mehr auf die Kinder eingehackt, sodass sie ihren Selbstwert verlieren“, sagt die Expertin. „Manche Eltern glauben, je lauter sie schreien, desto mehr können sie das Kind beeinflussen. Sie erkennen nicht, dass dieses Kind sich immer weiter zurückzieht.“

Dies könne in Gleichgültigkeit münden, weil man sich ja sowieso anstrengen könne, wie man will, und es am Ende ja doch nie gut genug ist. Keine Chance, den Ruf abzuschütteln. Viele akzeptieren dann, dass sie nicht zur Familie dazugehören. Sie lernen, dass Zuneigung oder elterlicher Zuspruch an vorgegebene Bedingungen gekoppelt ist.

Durch die ständige Kritik der Eltern kapseln sich Kinder immer weiter von ihnen ab, suchen sich stattdessen Unterstützung in ihrem Freundeskreis, besonders in der Pubertät. „Interessanterweise ist es wirklich so: Schwarze Schafe kennen schwarze Schafe. Sie finden sich und bilden untereinander oft eine Ersatzfamilie“, sagt Tolevski.

Manche Außenseiter resignieren auch irgendwann oder stürzen ab, andere flüchten sich extrem ins Lernen, in der Hoffnung, dass sie durch mehr Leistung und Erfolg die Anerkennung ihrer Eltern gewinnen können. Manche Kinder werden zu Strebern, manche Erwachsene zu Workaholics.

Die erhoffte Bestätigung bleibe dennoch meistens aus. „Sie könnten den Nobelpreis bekommen, aber Eltern, die davon überzeugt sind, dass ihr Kind das schwarze Schaf ist, würden eher argumentieren, dass der Nobelpreis offensichtlich von blinden Leuten verteilt wurde, als dass sie sagen würden: Unser Kind hat doch noch was erreicht.“

Anders als die gefühlte Norm

Gründe für die häufige Kritik der Eltern sei mitunter, dass diese selbst, beispielsweise als Schüler, nicht erfolgreich waren und durch ihre Kinder nun eine zweite Chance wittern, so Tolevski. Manchmal gehe es auch um den sozialen Vergleich: Sie schämen sich vor Freunden, Verwandten oder Nachbarn, weil ihr Kind eben anders ist, als die gefühlte Norm vorgibt.

Aus dieser Außenseiterrolle auszubrechen, ist schwierig. Sonja Tolevski rät Kindern und Jugendlichen, das Gespräch zu suchen, die Eltern damit zu konfrontieren, dass man sich durchgehend nicht „gut genug fühlt“. Eltern rät Tolevski zuzuhören, zu reflektieren und gegebenenfalls die Perspektive zu wechseln, sich zu überlegen, wie sie sich fühlen würden, wenn sie ständiger Kritik ausgesetzt wären – ohne dass mal jemand sagt: „Egal was du machst, ich werde dich immer lieb haben.“ Als Eltern sollte man dem Nachwuchs vermitteln, auch in schwierigen Situationen hinter ihm zu stehen.

Sich das Selbstbewusstsein schaffen

Klappt all das nicht, muss jedes sogenannte schwarze Schaf für sich selbst ausloten, inwieweit der Kontaktabbruch oder zumindest das Reduzieren des Umgangs zielführend sein können. Oft helfe es auch, sich ein Selbstbewusstsein zu schaffen, empfiehlt Tolevski.

Man könne sich auf die eigenen Qualitäten besinnen, die vielleicht nicht passend für die Familie waren, dafür aber von Freunden und Bekannten geschätzt werden. „Damit kommt ein Gefühl von Stolz auf, dass viele andere Leute mich gut finden, weil ich bestimmte gute Eigenschaften habe“, sagt sie. „Wenn man sich davon löst, zu einer Familie gehören zu wollen, von der man abgelehnt wird, dann kann man ein sehr erfülltes Leben führen.“

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Erstellt:
18. Januar 2025, 08:08 Uhr

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