Widerstandskämpfer und Demokrat

Christian Schweizer zeigt in VHS-Vortrag wichtige Rolle Rudolf Hartmanns im Netzwerk gegen das NS-Regime auf

Es war nicht nur „eine kleine Clique“ von Offizieren, die hinter dem gescheiterten Attentat auf Adolf Hitler am 20.Juli 1944 stand, sondern ein weitverzweigtes Netzwerk aus vielen untereinander verbundenen verschiedenen Widerstandsgruppen mit rund 5000 Personen, darunter viele Württemberger.

Rudolf Hartmann aus Murrhardt (Foto) sollte öffentlich gewürdigt werden, sagt Christian Schweizer, der intensiv zu seinen Widerstandsaktivitäten geforscht hat. Foto: Archiv Carl-Schweizer-Museum

Rudolf Hartmann aus Murrhardt (Foto) sollte öffentlich gewürdigt werden, sagt Christian Schweizer, der intensiv zu seinen Widerstandsaktivitäten geforscht hat. Foto: Archiv Carl-Schweizer-Museum

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Dies stellte Heimatgeschichtsforscher Christian Schweizer in seinem Vortrag zum 75. Jahrestag des „Aufstands des Gewissens“ an der Volkshochschule Murrhardt klar. Im Saal des Grabenschulhauses präsentierte er einem kleinen Zuhörerkreis bedeutende neue Erkenntnisse, die er bei seinen 2015 begonnenen Forschungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Murrhardt gewann. So fand und erschloss er wertvolle, bisher unbekannte Quellen, Dokumente und Fotos aus den Familien der Widerstandskämpfer.

Im Zentrum steht die eher zufällig entdeckte Akte mit den Kriegserinnerungen von Rudolf Hartmann (1893 bis 1972), ab 1941 Oberstleutnant im Stab des Militärbefehlshabers in Frankreich (MBF). Hartmann war ein bisher kaum bekanntes, bedeutendes Mitglied des NS-Widerstands in Paris, Stuttgart und der Walterichstadt. In Murrhardt hatte der Direktor und Vorstand der Württembergischen Bank seit 1938 seinen ständigen Wohnsitz. Bereits im August 1945 verfasste Hartmann authentische, ungefärbte Berichte über den Widerstand gegen das NS-Regime.

Rudolf Hartmann hat schriftliche

Berichte über sein Tun verfasst

„Das Ziel der Widerstandskämpfer war ein demokratischer Staat“, betonte Schweizer mit Blick auf aktuelle Veröffentlichungen, die das Gegenteil behaupten. Denn Hartmann listete konkret auf, was nach einem gelungenen Attentat geplant war: Es galt, sofort den gesamten NS-Apparat zu verhaften, wie es in Paris geschah, politische Gefangene freizulassen, Friedensverhandlungen zu beginnen, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden, und „sofort Wahlen auf rein demokratischer Grundlage“ zu organisieren.

Weiter schrieb Hartmann, es „bildete sich ein Widerstandszentrum von Offizieren“ mit MBF-General Carl-Heinrich von Stülpnagel, dessen Stabschef Oberst Richard Kossmann, Generalleutnant Hans Speidel, Oberst Eberhard Finckh und ihm. Über Oberstleutnant Cäsar von Hofacker standen sie in Verbindung zur Berliner Gruppe um Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. An den Vorbereitungen zum Aufstand war Hartmann maßgeblich beteiligt, doch: „Ohne die Ehefrauen der Widerstandskämpfer, die als Rotkreuzschwestern die Befehle tippten, wäre es nicht gegangen“, stellte Schweizer auf Nachfrage klar.

Rudolf Hartmann wohnte in Mareil Marly, einem kleinen Ort bei St. Germain, in einem kleinen verlassenen Landhaus, das der Familie Oungre gehörte. Sie leitete mehrere jüdische Auswanderungshilfsorganisationen und emigrierte 1941 nach Südamerika. In diesem Haus fand am 15. Mai 1944 „die entscheidende Fühlungnahme zwischen Generalfeldmarschall Erwin Rommel und General Stülpnagel statt“. Anlass war die durch Privatfotos dokumentierte Feier der Taufe von Joachim Kossmann, Richard Kossmanns Sohn, die zur Verschleierung des konspirativen Treffens diente. „Was dabei konkret besprochen wurde, wissen wir nicht“, bedauerte Schweizer, doch sei es um die Beendigung des Kriegs im Westen gegangen. Und laut Hartmann soll Stülpnagel Rommel in die Staatsstreichplanungen eingeweiht haben. „Seine Erinnerungen beinhalten Detailkenntnisse zu diesem Treffen, das eindeutig vor dem in der Wissenschaft stark bewerteten Gespräch zwischen Hofacker und Rommel stattfand.“ Sie belegten eindeutig, dass Erwin Rommel bereits seit Mai 1944 an den Vorbereitungen zum 20. Juli beteiligt war, wie auch die „Riedlinger Erklärung“ seines Sohns Manfred Rommel 1945, so Schweizer. Doch wurde Erwin Rommel Mitte Juli 1944 bei einem Jagdbomberangriff schwer verletzt und konnte die ihm zugedachte Führungsrolle nicht übernehmen.

Am 20. Juli 1944 war Rudolf Hartmann indes nicht in Paris, sondern in Stuttgart bei einer Aufsichtsratssitzung der Württembergischen Bank. Daran nahmen etliche bedeutende Gegner des NS-Systems aus Banken- und Wirtschaftskreisen teil, wie aus dem Sitzungsprotokoll hervorgehe. Über 40-mal fuhr der Bankdirektor und Reserveoffizier während des Kriegs zwischen Paris und Stuttgart hin und her, um beide Rollen zu erfüllen, wobei ihn sein Chauffeur und seine Sekretärin tatkräftig unterstützten. Das Bankgeheimnis habe ihm ermöglicht, wichtige geheime Nachrichten an andere Widerstandskämpfer und -kreise zu übermitteln, so der Referent.

Das Bankgeheimnis hat ihm im

Widerstand gute Dienste erwiesen

Denn Hartmann stand im Zentrum des weitverzweigten Netzwerks aus verschiedenen Widerstandskreisen mit Verbindungen zwischen Militär und Wirtschaft, so unter anderem zu der Robinsohn-Strassmann-Gruppe aus Bankiers, dem Bosch-Kreis sowie zur Weißen Rose und Familie Scholl. „Rudolf Hartmann war hochintelligent und steht für die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, darum sollte er in Murrhardt als Widerstandskämpfer öffentlich gewürdigt werden.“ Zudem sei die Walterichstadt Schauplatz diverser konspirativer Treffen von Mitgliedern unterschiedlicher Widerstandskreise gewesen, betonte Schweizer.

Nach Kriegsende von den US-Truppen fälschlich als „böser Nazi“ schikaniert und zu Straßenbauarbeiten gezwungen, sei er 1947 als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt worden. Beim Wiederaufbau des Genossenschaftsbanken- und Finanzwesens nach dem Krieg habe er bedeutende Leistungen erbracht. Darum kritisierte der Heimatgeschichtsforscher, dass Regional- und Bundesgenossenschaftsbanken offenbar kein Interesse an dem einst ranghöchsten und bedeutendsten Genossenschaftsbankier zeigten.

Abschließend kündigte Christian Schweizer an, seine vollständigen Forschungsergebnisse in Buchform ausführlich zu dokumentieren.

Info
Vortrag als Sonderband

Der Vortrag ist vor Kurzem veröffentlicht worden in einem kleinen Sonderband mit dem Titel „20. Juli 1944. Neue Forschungen zum Widerstand gegen Hitler“, im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr herausgegeben von Jörg Hillmann und Peter Lieb (Potsdamer Schriften des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Band 29). ISBN: 978-3-941571-35-8, 5,90 Euro.

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Erstellt:
27. Juli 2019, 06:00 Uhr

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