Tim Walz

Wie „America’s Dad“ die Wechselwähler überzeugen soll

Er gibt Tipps zum Regenrinnen sauber machen und erzählt „Dad Jokes“ – macht Tim Walz die Demokraten auch für die Menschen wählbar, die sonst bei den Republikanern ihr Kreuzchen machen?

„America’s Dad“: Tim Walz mit seiner Tochter Hope auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im August in Chicago.

© IMAGO/MediaPunch/Annabelle Gordon/CNP

„America’s Dad“: Tim Walz mit seiner Tochter Hope auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im August in Chicago.

Von Theresa Schäfer

Es ist ein Termin nach Tim Walz’ Geschmack. Bei Jimmy Kimmels „Late Night“-Show ist er unter Freunden, das Publikum am Hollywood Boulevard in Los Angeles ist liberal und der Moderator dafür bekannt, dass er zu Donald Trumps Intimfeinden gehört. Hier kann der demokratische Kandidat fürs Amt des Vizepräsidenten seinen „Midwestern“-Charme ausspielen, ein bisschen tapsig, bieder vielleicht, aber auch ziemlich nett. „America’s Dad“ in seinem Element.

Ein Patzer unterläuft Walz am Montagabend – ob geplant oder nicht, wer weiß es schon. „Ich habe vor, am 6. November mit ‚Madam President’ aufzuwachen“, sagt der „Running Mate“ von Kamala Harris und Kimmel hakt ein: „Nur um das klarzustellen: Sie werden nicht zusammen aufwachen...“. „No, no, no“, antwortet Walz schnell, grinst und hat die Lacher auf seiner Seite.

Der Auftritt in einer von Amerikas beliebtesten Fernsehshows ist Teil eines „Last-Minute-Mediablitz“ und gehört zum Plan der Demokraten: Sie wollen einen fröhlichen Wahlkampf machen, ein Gegengewicht zum republikanischen Duo aus Donald Trump und J.D. Vance bilden, die den Zustand der USA teils in den schwärzesten Farben malen.

„Walz gleicht das aus, was Kamala Harris nicht mitbringt“

Im Ticket Harris/Walz komme dem 60-jährigen Gouverneur von Minnesota eine klare Aufgabe zu, sagt der Politikwissenschaftler und Senior Fellow der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin Johannes Thimm: „Die Amerikaner nennen das ‚to balance the ticket‘ – Walz gleicht das aus, was Kamala Harris nicht mitbringt und umgekehrt.“ Harris ist nicht nur die erste schwarze Frau, die sich um das höchste Amt bemüht, sie kommt auch aus dem sehr liberalen Westküstenstaat Kalifornien. „Harris’ Image ist liberal, progressiv und auch ein Stück weit abgehoben – und das soll Tim Walz ausgleichen.“

Dabei kann Harris offenbar auch darüber hinwegsehen, dass längst nicht jeder Satz ihres Mitstreiters sitzt. Er sei kein guter Redner, gibt der Gouverneur selber zu. Peinlich wurde es im Wahlkampf für Walz, als sich herausstellte, dass er nicht, wie behauptet, zur Zeit der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in China im Jahr 1989 in Asien war. Im TV-Duell mit J.D. Vance kam er ins Stottern, als die Moderatorinnen ihn auf das Thema ansprachen – es war sein schwächster Moment an diesem Abend.

Trotzdem: Hätte sich die demokratische Kandidatin einen „Running Mate“ backen können, wahrscheinlich wäre dabei nicht viel anderes als Tim Walz herausgekommen. Geboren ist er in einer Kleinstadt in Nebraska. Nach der Schule diente er in der Nationalgarde, dann wurde er Lehrer. An seiner Highschool war er nicht nur der Football-Coach, sondern half Schülerinnen und Schülern auch dabei, einen LGBTQ-Club zu gründen. Seine Schüler hätten ihn inspiriert, in die Politik zu gehen, erzählt er gerne. Walz ist ein Jäger und besitzt Waffen. In Videos gibt er Tipps, wie man seine Dachrinnen sauber kriegt und wo man günstig Ersatzteile fürs Auto herbekommt. „Das sind alles Attribute, die Mittelamerika ansprechen sollen; die Menschen, die auf dem Land und nicht an den Küsten leben, die Kamala Harris für zu progressiv halten“, sagt Thimm.

Mit dem inzwischen häufig kopierten Satz, die Republikaner seien „plain weird“, einfach nur seltsam, hat sich Walz im Sommer praktisch über Nacht selbst auf die nationale Agenda gesetzt. „Das hat überhaupt erst dazu geführt, Walz so bekannt zu machen, dass er als ‚Running Mate’ in Frage kam“, meint der Politikwissenschaftler. Zuvor kannte im Rest Amerikas kaum einer den Gouverneur aus Minnesota, der in seinem Bundesstaat eine sehr liberale Politik macht. So gibt es in Minnesota kostenloses Mittagessen in Schulen und ein sehr progressives Abtreibungsrecht, Steuersenkungen für die Mittelschicht und mehr bezahlten Urlaub für Arbeitnehmer.

Beim Nominierungsparteitag der Demokraten im August sprach Walz darüber, wie lange er und seine Frau Gwen (58), auch sie Lehrerin, vergeblich versucht hatten, Kinder zu bekommen. Erst durch künstliche Befruchtung klappte es schließlich mit Hope, die so nicht umsonst heißt. Sechs Jahre später folgte noch ein Sohn, Gus. Walz erzählt das nicht einfach so, sondern transportiert mit seiner persönlichen Geschichte eine politische Botschaft: Mit dem Aus von „Roe v. Wade“ wurde in vielen Bundesstaaten auch der Zugang zu Methoden der künstlichen Befruchtung erschwert.

„Classic Dad jokes“ mit Tochter Hope

My daughter, Hope, tricked me into doing the most extreme ride at the Minnesota State Fair. pic.twitter.com/YeMEocwJRv — Governor Tim Walz (@GovTimWalz) September 4, 2023

Vor allem Clips mit seiner Tochter Hope, inzwischen 23, als schlagfertiger Side-kick gehen oft viral: Wie er ihr auf dem Volksfest vorschlägt, einen „Corn Dog“, eine Art Würstchen im Schlafrock, zu essen. Als sie erwidert, sie sei Vegetarierin, sagt er: „Also Truthahn.“ Sie: „Das ist auch Fleisch.“ Und er: „Nicht in Minnesota.“ Anhänger der Demokraten lieben diese „classic Midwestern Dad jokes“.

Aber das sind nicht die Wähler, die Walz und Harris überzeugen müssen. Sie werben, genauso wie die Gegenseite, um die Wechselwähler in den sogenannten „Swing States“, Bundesstaaten, die mal demokratisch und mal republikanisch wählen und die Wahl schließlich entscheiden werden. „Das Land ist extrem polarisiert. Die meisten Amerikanerinnen und Amerikaner neigen inzwischen sehr stark zu einer der beiden Parteien“, sagt Johannes Thimm. „Die Zahl derer, die tatsächlich unentschieden sind, ist sehr klein.“ Am Ende kommt es zum Beispiel auf die Menschen in den Vorstädten an. „Die sind vielleicht konservativ in ihren politischen Einstellungen, haben aber ein echtes Problem mit der Person Trump.“ Und auf die jungen Wähler: „Die sind noch nicht so gefestigt in ihren politischen Überzeugungen, da sehen beide Parteien viel Potenzial.“

Auch Latinos und Afroamerikaner, einst demokratische Stammwählerschaft, stünden längst nicht mehr unverbrüchlich an der Seite der Demokraten. Wird die Taktik, mit Tim Walz bodenständiger Hemdsärmeligkeit weiße Männer ohne Collegeabschluss von Trump loszueisen, für die Demokraten letztlich aufgehen? Der Politikwissenschaftler ist sich da nicht so sicher: „Ich meine nicht, dass die Demokraten das vollständig ausgeschöpft haben. Mit seinem Footballcoach-Image hätte man mehr machen können.“

Folksy: Ein typischer Midwesterner mit Basecap und T-Shirt – so soll Tim Walz die Wähler überzeugen, ...

© imago/ZUMA Press/Glen Stubbe

Folksy: Ein typischer Midwesterner mit Basecap und T-Shirt – so soll Tim Walz die Wähler überzeugen, ...

... denen Kamala Harris zu sehr nach liberaler Westküsten-Elite riecht.

© AFP/MATTHEW HATCHER

... denen Kamala Harris zu sehr nach liberaler Westküsten-Elite riecht.

Tim Walz’ Ehefrau Gwen, die First Lady von Minnesota, ist ebenfalls Lehrerin.

© IMAGO/UPI Photo/IMAGO/TANNEN MAURY

Tim Walz’ Ehefrau Gwen, die First Lady von Minnesota, ist ebenfalls Lehrerin.

Walz’ schlagfertige Tochter Hope ist in manchen seiner Videos zu sehen. Die 23-Jährige ist Sozialarbeiterin in einer Obdachlosenunterkunft.

© IMAGO/UPI Photo/IMAGO/TANNEN MAURY

Walz’ schlagfertige Tochter Hope ist in manchen seiner Videos zu sehen. Die 23-Jährige ist Sozialarbeiterin in einer Obdachlosenunterkunft.

Der 17-jährige Gus sorgte mit seinem sichtlichen Stolz auf seinen Vater für einen der emotionalsten Momente des Nominierungsparteitags. Die Familie geht offen damit um, dass Gus ADHS hat und an einer Lernschwäche leidet.

© IMAGO/Newscom World/IMAGO/Tom Williams

Der 17-jährige Gus sorgte mit seinem sichtlichen Stolz auf seinen Vater für einen der emotionalsten Momente des Nominierungsparteitags. Die Familie geht offen damit um, dass Gus ADHS hat und an einer Lernschwäche leidet.

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Erstellt:
9. Oktober 2024, 10:43 Uhr
Aktualisiert:
9. Oktober 2024, 11:55 Uhr

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