Debatte um Julia Klöckner

Wie (un)politisch sollen Kirchen sein?

Sollten sich die Kirchen aus der Politik stärker heraushalten? Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat für ihre Äußerung viel Gegenwind bekommen. Geht Glauben ohne Politik überhaupt? Und: Was antworten drei prominente Theologen – Jürgen Moltmann, Johann Baptist Metz und Dietrich Bonhoeffer – auf diese Frage?

Exponent einer politischen Kirche:  Der  2018 von Papst Franziskus heiliggesprochene  Erzbischof von San Salvador Òscar Romero (1917-1980) trat für soziale Gerechtigkeit und politische Reformen in El Salvador ein. Er wurde  am 24. März 1980 im Auftrag hochrangiger Militärs von Soldaten während  eines Gottesdienstes   erschossen.

© Imago/ZumaPress Wire

Exponent einer politischen Kirche: Der 2018 von Papst Franziskus heiliggesprochene Erzbischof von San Salvador Òscar Romero (1917-1980) trat für soziale Gerechtigkeit und politische Reformen in El Salvador ein. Er wurde am 24. März 1980 im Auftrag hochrangiger Militärs von Soldaten während eines Gottesdienstes erschossen.

Von Markus Brauer/dpa/KNA

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) erhält für ihre Äußerung zur politischen Einmischung von Kirchen in Deutschland weiter Gegenwind. „Ich fürchte, Frau Klöckner hat ihre Rolle noch nicht gefunden“, sagt der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Castellucci.

Die Kirchen bestünden aus der Gemeinschaft der Gläubigen, die aufgerufen seien, sich aus ihrem Glauben heraus für eine bessere Welt einzusetzen. „Zu diesem Engagement sollten wir als Politik eher ermutigen, als Nichteinmischung zu fördern“, so Castellucci weiter.

Werden Kirchen zu „austauschbaren NGOs"?

Julia Klöckner, die selbst katholische Theologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz studierte, hatte die Kirche in Deutschland an Ostern in einem Interview dazu aufgerufen, die Seelsorge der Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, statt sich "übertrieben" politisch zu engagieren.

Die CDU-Politikerin kritisierte zudem eine Tendenz bei der katholischen und evnagelischen Kirche, ihre Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen abzugeben „wie eine NGO“ und nicht mehr die grundsätzlichen Fragen von Leben und Tod im Blick zu haben. Dann würden Kirchen „leider auch austauschbar“.

Der frühere CDU-Parteivorsitzende Armin Laschet betont, er sehe das politische und soziale Engagement von Kirchen in Deutschland als zentral für die Gesellschaft. „Kirche war immer politisch. Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt zum Guten verändern soll, die Welt gestalten soll. Dann ist das immer eine politische Botschaft.“

Theologen: Einmischen als Teil des Verkündigungsauftrag

Was würden die Väter der Politischen Theologie, der evangelische Theologe Jürgen Moltmann (1926-2024) und sein katholisches Pendant Johann Baptist Metz (1928-2019) wohl auf Julia Klöckners Vorwurf antworten?

Moltmann: Wider die Jenseits-Gläubigkeit

Jürgen Moltmann hat Christen stets gemahnt, dass sie sich um Gottes Willen in der Welt einmischen müssen. Die jahrhundertelange Vertröstung der Kirche aufs Jenseits schien dem im Jahr 2024 im Alter von 95 Jahren verstorbenen Tübinger Theologen unerträglich.

In Auschwitz habe die Christenheit wegen eben dieser Jenseits-Gläubigkeit versagt. „Für das Schweigen der Christen zu der Judenverfolgung und Auschwitz ist die bürgerliche Devise Religion ist Privatsache verantwortlich“, erklärte Moltmann einmal.

Wer an Gott glaube, dürfe deshalb nicht vor den Problemen der Welt fliehen und vom Himmel träumen, sondern müsse sein Mögliches dafür tun, dass die Verheißungen Gottes schon in dieser Welt Realität würden, predigte Moltmann. „Darum macht der Glaube, wo immer er sich zur Hoffnung entfaltet, nicht ruhig, sondern unruhig; nicht geduldig, sondern ungeduldig.“

Metz: Wer über Gott nachdenkt, muss an die Opfer der Geschichte erinnern

Dieser Gedanke war die Grundlage für die Politische Theologie, die Moltmann zusammen mit dem im Jahr 2019 im Alter von 91 Jahren verstorbenen katholischen Theologen Johann Baptist Metz vorantrieb.

Johann Baptist Metz war der Begründer der Neuen Politischen Theologie und einer der einflussreichsten katholischen Denker des 20. Jahrhunderts. „Alle großen Religionen sind um eine Mystik des Leidens konzentriert“, schrieb Metz, der an der Universität Münster und Wien lehrte.

Höchst allergisch reagierte Metz auf jeden Versuch, ohne Erinnerung an die Opfer der Geschichte über Gott nachzudenken. Die Frage nach der Gerechtigkeit für die unschuldig Leidenden sei von der Kirche verkehrt worden in die Frage nach der Erlösung der Sünder.

Gegen innerkirchliche Widerstände führte Metz im Jahr 1968 die neomarxistischen, ideologie- und gesellschaftskritischen Ansätze des Philosophen Ernst Bloch und der „Frankfurter Schule“ (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno) in die Theologie ein. Seine Forderung nach einer „Subjektwerdung“ der Christen wurde von den Befreiungstheologen in Lateinamerika wie Gustavo Gutierrez, Leonardo Boff, Jon Sobrino und Ignacio Ellacuria aufgegriffen und weitergeführt.

Politische Verantwortung der Christen

Gegen eine Privatisierung und Verbürgerlichung des Glaubens betonte Metz die politische Verantwortung der Christen. Er hielt aber auch an Mystik, Gebet, Gehorsam und Tradition fest. Ein Schlüsselbegriff seiner Theologie ist „Compassio“: die Leid-Empfindlichkeit für andere, die Mitleidenschaft Gottes und die Leidenschaft für Gott.

Der am Montag (21. April) verstorbene Papst Franziskus hatte Metz’ „Option für die Armen“ amtskirchlich bestätigt. Vieles von dem, was Metz bereits in den 1970er Jahren schrieb (etwa „das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen“) liest sich wie eine Vorwegnahme der heutigen päpstlichen Kritik am Weltwirtschaftssystem. Auch viele, die sich dessen gar nicht bewusst sind, zehren von diesem geistigen Erbe, das als wichtiges Korrektiv wirksam bleibt.

Bonhoeffer: Die Kirche war stumm, wo sie hätte schreien müssen

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 stand der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) sofort in der Opposition zu dem diktatorischen Regime. In einem Radiobeitrag forderte er zwei Tage nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler eine Begrenzung der Macht durch rechtsstaatliche Ordnung und Volkswohl. Das Mikrofon wurde ihm abgedreht.

Am Karsamstag 1933 verfasste er seinen Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“: Darin machte er die Verteidigung der Menschenrechte zur gesamtkirchlichen Pflicht und trat für das Judentum ein. Zur Not müsse die Kirche „dem Rad in die Speichen fallen“.

Nach der Einführung des Arier-Paragrafen in der evangelischen Kirche am 6. September 1933 schlug Bonhoeffer den oppositionellen Pfarrern den Austritt aus der zum Staatsanhängsel gewordenen Deutschen Evangelischen Kirche vor – ohne großen Erfolg. Daraufhin gründete er mit Pastor Martin Niemöller und anderen den Pfarrernotbund zum Schutz der bedrohten Amtsbrüder jüdischer Herkunft. „Wer gregorianisch singt, muss auch für die Juden schreien“, forderte er 1938.

Im Widerstand gegen die Tyrannei

1940 schloss sich Bonhoeffer der Widerstandsgruppe um seinem Schwager Hans von Dohnanyi, Admiral Wilhelm Canaris und Generalmajor Hans Oster an. Offiziell reiste er im Auftrag der Militärischen Abwehr in die Schweiz, nach Norwegen, Schweden und Italien, um sich über die Pläne der Engländer und Amerikaner zu informieren. Tatsächlich aber weihte er Kirchenmänner im Ausland in die Putschpläne gegen Hitler ein.

In seinem Hauptwerk „Ethik“ legte der politische Theologe Bonhoeffer im Jahr 1940 dar, dass seine Kirche versagt habe: „Sie war stumm, wo sie hätte schreien müssen, weil das Blut der Unschuldigen zum Himmel schrie.“ Einen Tyrannenmord akzeptierte Bonhoeffer.

Am 5. April 1943 wurde er wegen seiner Kontakte zu NS-Gegnern des Hoch- und Landesverrats beschuldigt und zunächst in Tegel, dann im berüchtigten Gestapo-Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin inhaftiert.

„Nichts wäre ihm fremder als Weltflucht“

Dietrich Bonhoeffer war ein politischer Theologe, der sich nicht nur auf die spirituelle Ebene des Glaubens verlassen hat, sondern der tätig wurde. Der frühere EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sagt dazu: „Bonhoeffer hat immer wieder eingeschärft, dass ich mich nicht auf Gott einlassen kann, ohne mich radikal auf die Welt einzulassen. Nichts wäre ihm fremder als fromme Weltflucht.“

Die Figur Dietrich Bonhoeffer könne auch heute den Menschen viel sagen, so der heutige Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Genf. „Bonhoeffers Leben war ein kurzes Leben, das auch viel Leid gesehen hat. Aber es war ein erfülltes Leben und es hat viele Menschen inspiriert. Man kann daraus lernen, dass Zivilcourage, das Eintreten für Andere, insbesondere für besonders Verletzliche, zwar Nachteile bringen kann. Sie wiegen aber viel weniger als das Gefühl, etwas Sinnerfülltes zu tun.“

„Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens“

Wenige Monate nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 fand die Gestapo Beweise für Bonhoeffers Verwicklung in die Umsturzpläne. Angesichts der herannahenden Roten Armee wurde er zunächst ins KZ Buchenwald bei Weimar, dann über Regensburg und Schönberg im Bayerischen Wald nach Flossenbürg gebracht, wo er am 9. April 1945 auf ausdrücklichen Befehl Hitlers zusammen mit Canaris, Oster und anderen erhängt wurde. Der letzte von Dietrich Bonhoeffer überlieferte Satz lautet: „Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.“

Zum Artikel

Erstellt:
22. April 2025, 15:34 Uhr
Aktualisiert:
22. April 2025, 18:59 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen