Bedrohtes Wattenmeer
Wie sich das Wattenmeer durch den Klimawandel verändert
Der Meeresspiegel steigt ebenso wie die Temperatur der Nordsee. Diese Veränderungen haben starken Einfluss auf die Lebensräume mit Folgen für die Tier- und Pflanzenwelt im Wattenmeer.
Von Markus Brauer/dpa
Das Wattenmeer verändert sich wegen des Klimawandels im Rekordtempo. Dies ist das Ergebnis eines umfassenden Berichts von rund 30 Forschern des Alfred-Wegener-Instituts (AWI), der im Fachmagazin „Marine Biodiversity“ veröffentlicht worden ist. Der Klimawandel verändere einen Lebensraum in Gänze in bisher nicht dagewesener Geschwindigkeit, erläutern Co-Erstautor Christian Buschbaum und Co-Erstautorin Lisa Shama, die an der AWI-Wattenmeerstation List auf Sylt arbeiten.
Wattenmeer erwärmt sich schneller als andere Küstengebiete
„Der Klimawandel wirkt auf alle Ebenen des Wattenmeeres ein“, warnt Christian Buschbaum. Temperaturerhöhung und Meeresspiegelanstieg veränderten die Gestalt der Küste und den Transport von Sedimenten.
„Das Wattenmeer in der südöstlichen Nordsee erwärmt sich schneller als viele andere gemäßigte Küstengebiete, wobei die Oberflächentemperatur des Meerwassers in den letzten 60 Jahren um fast 2 Grad gestiegen ist, was fast dem Doppelten des durchschnittlichen globalen Anstiegs der Ozeane entspricht“, schreiben die Forscher.
Dabei haben laut AWI vorrangig milde Winter und sehr warme Sommertemperaturen einen großen Einfluss auf das Ökosystem. Insbesondere Hitzewellen mit Temperaturen von drei bis fünf Grad über dem Durchschnitt werden demnach häufiger und dauern länger an. Das beeinflusste Arten im Wasser und am Meeresboden.
Fatale Folgen für die Tierwelt
Manche Spezies wie der Kabeljau seien von den Veränderungen besonders betroffen und litten zudem unter Übernutzung. Buschbaum erklärt: „Wir beobachten außerdem einen deutlichen Anstieg an eingeschleppten, wärmeliebenden Arten.“ Diese bedrohten bisher zwar keine heimischen Organismen, führten aber zu einer Veränderung des Lebensraumes.
„Riesige Riffe pazifischer Austern und hektargroße Unterwasserwälder, gebildet von Algen aus Fernost, sind unmittelbar von jedem Wattwanderer zu erkennen“, so der Meeresforscher weiter.
Anpassungen an veränderte Lebensbedingungen
Ein Stück weit könnten Wattenmeer-Organismen ihr Verhalten und ihr Erscheinungsbild als Reaktion auf direkte Umweltreize anpassen, berichtet Evolutionsbiologin Shama. Sie seien zum Beispiel zu anderen Zeiten aktiv oder ihre Wachstumsrate ändere sich. Möglich sei auch eine angepasste Fortpflanzung mit mehr Nachwuchs, um mögliche Verluste durch Hitze auszugleichen.
Das Wattenmeer sei für viele Fisch- und Vogelarten wie Hering, Austernfischer und Knutt von großer Bedeutung, heißt es seitens des AWI. Sie nutzten das Gebiet für mindestens eine Phase ihres Lebenszyklus. So diene es etwa als Kinderstube und Futterplatz und biete jungen Fischen Schutz vor Räubern.
Im Zuge des Klimawandels wandern allerdings bestimmte Fischarten polwärts, bodenbewohnende Arten ziehen sich in tieferes und kälteres Wasser zurück.
Folgen für den Mensch
Auch für den Menschen hat der Wandel Konsequenzen, wie Buschbaum und Shama erklären. Küstenschutzmaßnahmen und Tourismuskonzepte müssten an sich ändernde Bedingungen angepasst werden.
Info: Richtiges Verhalten im Wattenmeer
Wander-Tipps Der wichtigste Tipp für Watt-Wanderer liegt auf der Hand: Sie müssen wissen, wann die Flut kommt. Das aber scheint nicht für jeden selbstverständlich. Jedes Jahr – vor allem im Sommer – müssen Einsatzkräfte Wanderer, aber auch Schwimmer, Surfer oder Segler aus Notlagen retten.
Gezeiten-Kalender Deshalb gilt als Regel: Der erste Blick vor einer Wattwanderung müsse dem Gezeiten-Kalender gelten. Wann zieht sich das Wasser zurück, ab wann steigt es wieder? Auch den Wetterbericht sollte man kennen und nur bei Tageslicht gehen. Dabei ist gegen einen Spaziergang auf dem Meeresboden dicht vor dem Strand nichts einzuwenden.
Wattführer „Wir raten grundsätzlich dazu, nur so weit ins Watt zu gehen, dass man in zehn Minuten bei normalen Tempo wieder ans Ufer kommen kann“, sagt Tim Schriemer, Einsatzleiter der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) im Bezirk Oldenburg Nord. Für längere Strecken oder Wanderungen zu vorgelagerten Inseln sollte man sich einem Führer anvertrauen.
Priele „Die Gefahren sind zu schwer einzuschätzen“, ergänzt Christoph Plaisier von der DLRG in Cuxhaven. Natürliche Wasserläufe im Watt – sogenannte Priele – können zu reißenden Flüssen werden, Schlickfelder den Weg versperren. „Auch Seenebel ist eine Gefahr.“ Nicht weniger lebensgefährlich sei Gewitter im Watt, „weil der Mensch der höchste Punkt ist“, erklärt Wattführer Ohle thor Straten vom Verband „Wattenlöpers“ im Nationalpark Schleswig-Holstein. Seiner Erfahrung nach passieren die meisten Notfälle, wenn mehrere Probleme zusammenkommen. Ähnlich sieht es die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) in Bremen. „Ein kleines Problem kann sich auf See rasch auswachsen“, sagt Sprecher Christian Stipeldey. Das könne selbst erfahrene oder gut vorbereitete Sportler im Watt treffen.
Hilfe Um im Notfall Hilfe rufen zu können, haben die meisten ihr Smartphone dabei. Aber nicht überall im Watt gebe es Empfang, gibt Tim Schriemer zu bedenken. Er rät dazu, auch eine Trillerpfeife parat zu haben oder notfalls das T-Shirt zu schwenken. Ein weiterer Tipp: vor der Wanderung genau Bescheid sagen, welche Route man gehen will. Dann kann der Kontakt an Land Alarm auslösen, wenn die Wanderer überfällig sind.
Weltnaturerbe Seit 2014 steht das Wattenmeer an der Nordsee auf der Weltnaturerbeliste der Unesco. Das rund 11 500 Quadratkilometer große Gebiet erstreckt sich über eine fast 500 Kilometer lange und bis zu 40 Kilometer breite Küstenlandschaft zwischen dem dänischen Skallingen im Nordosten und dem niederländischen Den Helder im Südwesten.
Tierwelt Mit rund 10 000 Tierarten (allein bis zwölf Millionen Vögeln) gehört das Wattenmeer zu den reichhaltigsten Lebensräumen der Welt. Pro Quadratmeter finden sich 50 000 Wattschnecken, zwölf Kilogramm Miesmuscheln, 100 Wattwürmer und 100 000 Schlickkrebse.
Ebbe und Flut Ebbe und Das Watt wird zweimal am Tag während des Hochwassers überflutet und fällt bei Niedrigwasser wieder trocken, wobei das Meerwasser oft durch tiefe Ströme (Priele) abfließt. Der zeitliche Abstand zwischen einem Hochwasser und einem Niedrigwasser beträgt durchschnittlich sechs Stunden.