Bundestagswahl

Wie wählen Menschen mit Einwanderungsgeschichte?

Eine neue Studie zum potenziellen Wahlverhalten von Menschen mit Einwanderungsgeschichte macht deutlich, dass es bei dieser Wählergruppe für die Parteien noch viel Luft nach oben gibt.

Die Unterschiede zwischen den Wählergruppen sind nicht fundamental.

© picture alliance/dpa/Silas Stein/Silas Stein

Die Unterschiede zwischen den Wählergruppen sind nicht fundamental.

Von Luisa Rombach

In weniger als einem Monat wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Rund 61 Millionen Menschen sind wahlberechtigt. Eine Wählergruppe, die dabei häufig übersehen wird, ist die der Menschen mit Migrationshintergrund.

Mehr Zweifel an der Kompetenz der Parteien

Rund 7,1 Millionen Menschen oder 12 Prozent der Wahlberechtigten sind entweder selbst zugewandert, oder beide Elternteile sind es. Wem sie ihre Stimme geben, wird für die Parteien demnach immer relevanter. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) macht nun deutlich, dass Menschen mit Einwanderungsgeschichte die Kompetenzen der Parteien öfter anzweifeln, als Menschen ohne Migrationshintergrund.

Für die Studie wurden zwischen Dezember 2023 und März 2024 Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu ihren Alltagssorgen, Problemwahrnehmungen und Parteipräferenzen befragt. Dabei stellten die Forscher unter anderem fest: Menschen mit Einwanderungsgeschichte sorgen sich häufiger um ihre materielle Situation, ihre Wohnverhältnisse und ihre Altersversorgung als Menschen ohne Migrationshintergrund. Gleiches gilt für die Angst, Opfer von Kriminalität zu werden.

Heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Themen

Die Tendenz, dass zugewanderte Menschen und ihre Nachkommen es den Parteien seltener zutrauen, diese Probleme zu lösen, spiegelt sich auch in der niedrigeren Wahlbeteiligung dieser Gruppe wider. So gaben 2022 etwa 88 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund an, ihre Stimme bei der Bundestagswahl 2021 abgegeben zu haben – bei eingewanderten Menschen waren es nur 70,4 Prozent.

Dabei handelt es sich allerdings um eine heterogene Gruppe, die laut Friederike Römer, Co-Autorin der DeZIM-Studie, nicht auf ihre Einwanderungsgeschichte reduziert werden sollte: „Diese Menschen wollen nicht nur als Migrationsbevölkerung angesehen werden.“ Tatsächlich machen Personen aus dem EU-Ausland mit mehr als 40 Prozent den größten Anteil an eingewanderten Menschen aus, gefolgt von Türken und Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika mit etwas mehr als 25 Prozent. Auch Wahlberechtigte aus der ehemaligen Sowjetunion bilden mit mehr als 12 Prozent eine beträchtliche Gruppe.

Diese Wählergruppen eint laut der DeZIM-Studie, dass sie sämtliche Parteien für grundsätzlich wählbar halten. Das Ausmaß dieser Einschätzung variiert jedoch. Am besten schneidet die SPD ab, für am wenigsten wählbar wird die AfD gehalten. Beachtliche Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gibt es beim Wählerpotenzial vor allem bei den Grünen, der Linken sowie dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Die Grünen schneiden bei Wählern mit Migrationshintergrund schlechter, die Linke und das BSW besser ab als bei Wählern ohne Einwanderungsgeschichte.

Bereits aus früheren Studien ist bekannt, dass eingewanderte Menschen und deren Nachfahren seltener eine Parteibindung entwickeln als Menschen ohne Migrationshintergrund. Die Macher der DeZIM-Studie führen das darauf zurück, dass es der deutschen Politik nicht gelungen sei, die Teilhabe dieser Menschen am politischen Prozess zu fördern. „Die deutsche Politik insgesamt schafft es nicht, den zugewanderten Menschen das Gefühl zu geben, dass sie hier dazugehören und gleichzeitig aber auch die Mehrheitsgesellschaft mitzunehmen“, sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung in Essen.

Keine fundamentalen Unterschiede

Die Forscher hinter der DeZIM-Studie betonen allerdings, dass sich Menschen mit und ohne Migrationshintergrund nicht fundamental unterscheiden, also durchaus auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Sie teilen etwa die Einschätzung, dass Migration, Wirtschaft und gesellschaftlicher Zusammenhalt Deutschland aktuell vor die größten Herausforderungen stellen.

Angesichts der niedrigeren Wahlbeteiligung und Parteibindung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte sprechen sich die Forscher hinter der Studie dafür aus, dass die Politik dieser Wählergruppe ein politisches Angebot machen sollte. Die Erkenntnis, dass alle Parteien von den verschiedenen Herkunftsgruppen als prinzipiell wählbar angesehen würden, zeige das Potenzial, das die Politik bislang nicht ausgeschöpft habe. Um das zu ändern und damit diese unterschätzte Wählergruppe für sich zu gewinnen, müssen die Parteien wohl anfangen, ihre Sorgen ernst zu nehmen – und ihnen etwas entgegenzusetzen.

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Erstellt:
4. Februar 2025, 14:22 Uhr
Aktualisiert:
4. Februar 2025, 14:23 Uhr

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