„Wir haben für die CD alle Register gezogen“
Das Label Ambiente Audio veröffentlicht in der Reihe „Orgelportrait“ den Tonträger „Retrospektiven“. Dafür hat der junge Organist Lukas Nagel an der Mühleisen-Orgel in der Murrhardter Stadtkirche Werke von Johann Sebastian Bach und Sigfrid Karg-Elert eingespielt.

Als Lukas Nagel ein Konzert an der Mühleisen-Orgel gab, entstand die Idee, ihre klanglichen Möglichkeiten in einer Aufnahme mit einem Strauß an Werken zu präsentieren. Foto: privat
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Ein faszinierendes Orgelmusikhörerlebnis bietet die neue CD „Retrospektiven“ mit Werken von Johann Sebastian Bach und Sigfrid Karg-Elert, die der junge Organist Lukas Nagel im März an der Mühleisen-Orgel der Stadtkirche eingespielt hat. Der Kirchenmusiker studierte an den Musikhochschulen Mainz und Stuttgart, zurzeit absolviert er ein weiterbildendes Zertifikatsstudium an der Musikhochschule München in der Meisterklasse von Bernhard Haas. Im Sommer 2021 gab er ein Orgelkonzert in der Stadtkirche und war „sehr angetan“ von den Interpretationsmöglichkeiten der Mühleisen-Orgel, erzählt Kantor Gottfried Mayer. Er wählte Nagel als Interpreten, denn Helmut Deutsch, Professor für Orgel an der Musikhochschule Stuttgart, „hat ihn wärmstens empfohlen“. Zu hören ist „ein außergewöhnliches und extrem vielseitiges Programm, das vom Barock bis zum Expressionismus reicht. Von diesen Werken gibt es nur seltene oder gar keine Aufnahmen“, so Mayer.
Instrument vereint moderne Ästhetik und frühere Klangideale
Mit der Mühleisen-Orgel „ist eine erstaunliche Synthese aus moderner Ästhetik und früheren Klangidealen gelungen. Die Integration vieler Register der Bornefeld-Orgel, kombiniert mit den technischen Möglichkeiten des modernen Orgelbaus, ergeben ein Instrument“, das „überraschende und neue Klang- und Interpretationsmöglichkeiten eröffnet“, verdeutlicht Lukas Nagel.
Stilvoll und ästhetisch, filigran und virtuos interpretiert er jede Komposition. Bachs Sonate d-Moll bearbeitete er für die Orgel nach der 1. Violinsonate g-Moll (Bach-Werke-Verzeichnis 1001). Als zweiten Satz nutzt er die originale Orgelfuge in d-Moll aus BWV 539 und stellt ein ernstes Adagio mit improvisatorischen Passagen als Einleitung voran. Die Siciliana ist ein graziöser, italienisch-barocker Tanz, das Presto von hoher Virtuosität mit Akkordkaskaden und italienischem Esprit. Bachs Chromatische Fantasie und Fuge d-Moll übertrug Max Reger so harmonisch auf die Orgel, dass sie wie ein Originalwerk klingt, aber in der für Reger typischen spätromantischen Gestaltung von Dynamik, individuellen Tempi, Register- und Manualwechseln.
Es folgen Sigfrid Karg-Elerts Trois Impressions (Drei Impressionen) op. 72, dem bedeutenden französischen Orgelmusiker Alexandre Guilmant gewidmet: Harmonies du soir (Harmonien des Abends), Clair de lune (Mondlicht) und La nuit (Die Nacht). Er selbst umschrieb sie als „Delikatessen rhythmischer und harmonischer Art“, mit lyrisch-ätherischer Stimmung, farbnuancenreicher Harmonik, fließender Melodik und facettenreicher Registrierung. „Solfeggio e Ricercare: Music for Organ“ op. 145, seinem Freund Johannes Piersig gewidmet, ist eine kleine Orgelsinfonie in Karg-Elerts modernem Spätstil, harmonisch dissonant und kontrapunktisch expressionistisch.
Lukas Nagel wählte diese Kompositionen aus, da er „ein in sich geschlossenes Programm konzipieren“ wollte, das „möglichst viele Charakteristika“ der Mühleisen-Orgel vorstellt. „Wir haben für die CD im wahrsten Sinne des Wortes alle Register gezogen. Gerade für die beiden Werke Karg-Elerts scheint die Orgel prädestiniert“, da sie dafür die charakteristischen Klangfarben und Solostimmen biete, aber auch „ein barockisierendes Klangbild“ abgeben könne. „In der Transkription (der Werke Bachs) sehe ich eine gewisse Parallele zur Konzeption der Mühleisen-Orgel: In der Chromatischen Fantasie lässt sich erahnen, wie Max Reger zu seiner Zeit auf die Werke Bachs blickte, während er gleichzeitig an eigenen Klangidealen arbeitet. Im Ergebnis entsteht ein völlig neues Stück.“
Lukas Nagel konzipiert das Programm, Gottfried Mayer berät bei Umsetzung
Die ersten Gedanken zur CD-Produktion seien bereits bei seinem Konzert in der Stadtkirche entstanden, erklärt Nagel. „Bei dieser Gelegenheit konnte ich die Orgel und ihre klanglichen Möglichkeiten kennenlernen. Im Gespräch mit Gottfried Mayer kamen wir auf unsere gemeinsame Zuneigung zu den Werken Karg-Elerts. Die letztendliche Konzeption des Programms lag bei mir, vor allem bei Fragen der Registrierung stand mir Gottfried bis zu den Aufnahmetagen immer helfend zur Seite.“ Die Idee zum Titel „Retrospektiven“ stamme von Tonmeister Toms Spogis: „Aus einer aktuellen Perspektive blickt man zurück auf eine vergangene Zeit und frühere Ästhetik“, erläutert Lukas Nagel. Die Veröffentlichung der CD erfolgt in Zusammenarbeit mit der Fachzeitschrift „organ – Journal für die Orgel“, deren neue Ausgabe die Mühleisen-Orgel ausführlich vorstellt und beschreibt: „Sie soll in Fachkreisen noch bekannter werden“, so Kantor Mayer.
Album Die CD „Retrospektiven“ ist beim Label Ambiente Audio in der Reihe „Orgelportrait“ erschienen. Sie kostet 15 Euro, ist bei der Murrhardter Buchhandlung BücherABC erhältlich und lässt sich über www.ambiente-audio.de (Nummer ACD-1098) bestellen.