Omid Nouripour bei Caren Miosga
„Wir kamen aus der Welle nicht raus“
Der noch amtierende Grünen-Chef spricht im ARD-Talk über Wahlniederlagen und Fehler der Grünen-Spitze. Und Gesundheitsminister Karl Lauterbach zeigt erneut sein Talent als Talk-Show-Gast.
Von Christoph Link
Man wird Omid Nouripour, noch amtierender Parteichef der Grünen gemeinsam mit Ricarda Lang, mit Fug und Recht als Mann der Vergangenheit bezeichnen dürfen, denn er hat seine Demission verkündet. Insofern war es schon gewagt von Caren Miosga ausgerechnet ihn in ihrer Talkrunde am Sonntagabend nach dem „Neuanfang der Grünen“ und dem „Finale der Ampel“ zu fragen. Welche Richtung bei den Grünen? Mit wem? Kam nicht zur Sprache.
Nouripours Aussagen waren trotzdem interessant, verdeutlichte er doch die stolze Haltung eines Politikers: „Macht ist auf Zeit geliehen. Zur Verantwortung gehört, dass man für Wahlergebnisse auch die Verantwortung übernimmt.“ Zum „Kernjob“ von Parteivorsitzenden gehöre nun mal, bei Wahlen erfolgreich zu sein.
Hat Habeck Schuld?
Aber die Wahlergebnisse waren für die Grünen seit der Europawahl desaströs, in Sachsen schafften sie es knapp über die Fünf-Prozent-Hürde, in Thüringen und Brandenburg flogen sie raus aus dem Landtag. „Irgendwie sind wir aus der Welle nicht raus gekommen“, sagt Nouripour. Doch liegt die Schuld für die grünen Wahlniederlagen wirklich bei Nouripour und Lang, die sich „nichts zu Schulden kommen ließen“ (Miosga) - ist nicht eher Wirtschaftsminister Robert Habeck – Stichwort Heizungsgesetz - dafür verantwortlich?
Auf dieser Frage beharrte Caren Miosga intensiv und Omid Nouripour antwortete doppeldeutig: Erstens mit Verweis auf eigene Fehler der grünen Parteispitze und zweitens mit seiner unverbrüchlichen Solidarität zu Habeck. Es sei viel „dummes Zeug“ über die Grünen verbreitet worden, etwa die Mär von einem Fleischverbot oder einem Verbot vom Autofahren: „Da haben wir nicht robust genug dagegen gehalten.“
Auf die Person Habeck ließ der Realo Nouripour aber nichts kommen. Kommentare von Caren Miosga über die Fokussierung der Grünen auf Habeck und ob es jetzt ein „Bündnis Robert Habeck“ ähnlich wie bei Sahra Wagenknecht gebe, ließ er an sich abprallen: Habeck habe „substantiell“ viel geleistet, beispielsweise in der Energiepolitik und der Abnabelung von der Abhängigkeit zu russischem Gas. Er verfüge über außergewöhnliche „kommunikative Fähigkeiten“ und sei als Kanzlerkandidat der Grünen der Richtige. Mit ihm werde die Transformation der Grünen gelingen. Eine personelle Zuspitzung auf eine Person habe den Grünen in Wahlkämpfen noch nie geschadet, aber natürlich arbeite man im Team und wolle kein Abziehen von „Ego-Shows“. Soweit zum Thema Grünen-Krise und Neuanfang.
Frage nach Özdemirs Töchtern
Mit der Einbeziehung weiterer Studiogäste ging es dann ums Schicksal der Ampel und den „Herbst der Entscheidungen“, den FDP-Parteichef Christian Lindner vorhergesagt hatte. Warum der eigentlich nicht aus der „Pulverisierung“ der FDP im Osten und den katastrophalen Wahlergebnissen persönliche Konsequenzen ziehe, wollte Caren Miosga von Christian Dürr, dem Vorsitzenden der Grünen-Bundestagsfraktion wissen. Aber der antwortete ausweichend: Die FDP sei „mit sich selbst im Reinen“, die Ergebnisse der Europawahl seien ja noch „vernünftig“ gewesen.
Schnell wich Dürr dann auf inhaltliche Themen aus, dass man „mehr Ordnung“ brauche, etwa in der Migrationspolitik. Das Thema Migration nahm dann breiten Raum in der Studiorunde ein und Nouripour musste Stellung nehmen zu einem Beitrag seines Grünen-Parteifreundes Cem Özdemir – dem Landwirtschaftsminister – der in der FAZ beklagt hatte, dass seine Töchter von Migranten-Männern „begafft und sexualisiert“ werden. Nouripour schwamm da ein bisschen in seiner Antwort, verwies auf fehlendes Geld und Personal für die Integrationsarbeit für Neuankömmlinge aus anderen Kulturkreisen, sagte aber auch, dass ihm der Mainstream-Ruf nach „Härte, Härte, Härte!“ in der Migrationsfrage mit Sorge erfülle.
Rentenreform zulasten der Jungen
Von seiner Ampel-Regierung erwartet Nouripour mehr inneren Zusammenhalt. Es gehe nicht an, dass ein FDP-Justizminister auf einer Bundespressekonferenz stichhaltig erkläre, warum ein CDU-Vorschlag zur Zurückweisung an den Grenzen nicht verfassungskonform sei und dann kurze Zeit später aus der FDP die Frage komme, warum die Regierung denn nicht dem CDU-Vorschlag folge. Ob die Ampel überhaupt bis zur nächsten Bundestagswahl durchhält, da war die Journalistin Kerstin Münstermann (Rheinische Post) eher skeptisch. Neuster Streitpunkt ist ja die Rentenreform, die Münstermann – ähnlich wie Kreise in der FDP – als „total ungerecht“ gegenüber der jüngeren Generation bewertete. Der Generationenvertrag zwischen alt und jung werde damit ausgehebelt, nicht nur die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, auch die Rentenversicherungsbeiträge werden zulasten der Jungen steigen, und dass in einem Land, das mal „Wirtschaftswunderland“ war und jetzt ein „Wirtschaftsdebakel“ erlebe.
Der Abend mit Miosga hätte leicht in eine düster-depressive Stimmung abgleiten können, wäre da nicht Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit seinem unverbrüchlichen Selbstvertrauen und Optimismus gewesen. In seinem Selbstbewusstsein, das niemand zu erschüttern weiß, ist Lauterbach seit Corona-Zeiten einfach einer der faszinierendsten Gäste in Talkrunden - unschlagbar. Zunächst äußerte er sich lobend zur Performance von Olaf Scholz, der sei „in der Sache ein sehr guter Bundeskanzler“, für die Kakophonie, die da gegen Scholz auch in den Medien angezettelt werde, da habe er wenig Verständnis. Allein in der Gesundheitspolitik seien 15 Gesetze gemacht worden, eine gute Leistung. Auf die negativen Wahlergebnisse und schlechten Umfragen für die SPD gibt Lauterbach ebenfalls nichts: „Wir werden in der Nachspielzeit überzeugen.“
Was die Rentenpolitik anbelangte – FDP-Mann Dürr sieht da noch Korrekturbedarf im Parlament – erklärte Lauterbach sehr stringent die SPD-Linie: Diese Reform sei wichtig, gerade für die Menschen in Ostdeutschland, die keine Betriebsrenten hätten und nach der Wende früh arbeitslos wurden: Ohne das Rentenpaket der Ampel – das ja auch die von der FDP gewünschte Aktienrente beinhalte - werde es in Ostdeutschland zu einem deutlichen Anstieg der Altersarmut kommen. Im übrigen werde man die Beiträge in der Sozialversicherung durch die Gesundheitsreform „konsolidieren“.
Das A und O aber sei eine gezielte Zuwanderung von Fachkräften – es fehlten allein 200.000 Ingenieure - um die Zahl der Beitragszahler stabil zu halten: „Dann schaffen wir das.“ Omid Nouripour sah das ähnlich, er sagte im Blick auf die Ampel-Regierung und deren Streitereien: „Ja, wenn wir es etwas leiser hinkriegen, wird alles besser.“ Am Ende also doch ein Hoffnungsschimmer.