Friedrich Merz bei Caren Miosga

„Wir werden die Krise als das neue Normal erleben“

Der CDU-Chef kündigt nach seiner Wahl zum Kanzler einen neuen Politikstil an – und will aufgrund der aktuellen Weltlage keine Versprechen abgeben.

Friedrich Merz war am Sonntagabend bei Caren Miosga zu Gast (Archivbild).

© dpa/Michael Kappeler

Friedrich Merz war am Sonntagabend bei Caren Miosga zu Gast (Archivbild).

Von Christoph Link

Schon erstaunlich, dass Caren Miosga in ihrer Befragung von CDU-Chef Friedrich Merz in der ARD am Sonntagabend den Streit mit der SPD um die Interpretation der Mindestlohnpassage im Koalitionsvertrag einfach ausklammerte. Vielleicht war das Publikum aber auch dankbar dafür, denn neben der großen Tour durch fast alle Politikfelder und der zum x-ten Mal gehörten Erörterung des Vertrauensverlustes für Merz durch gebrochene Zusagen nach der Wahl blitzten in der Sendung einige Überraschungen auf.

Gefragt nach dem nüchternen, kontrollierten und besonnenen Politikstil seiner Vorgänger im Kanzleramt – Angela Merkel (CDU), Olaf Scholz (SPD) – und ob er den nachahmen wolle, gab Merz eine klare Parole aus: Er habe die Fähigkeit, Menschen auch zu begeistern, da er manchmal emotional sei. Etwas Pathos, Patriotismus und ein gesundes Nationalbewusstsein stünden der Politik für dieses „großartige Land“ ganz gut an. „Ich kann auch Emotion“, meinte er.

Dass er einmal zum Kanzler gewählt werden sollte, das habe er sich seit seiner Rückkehr in den Bundestag 2021 im Übrigen nicht träumen lassen. Armin Laschets Kandidatur scheiterte und Olaf Scholz beendete nach drei Jahren seine Kanzlerschaft – all das sei in der Abfolge von ihm nicht geplant gewesen. „Ich stehe vor einer riesigen Aufgabe. Aber ich mache mich mit Respekt, Zuversicht und Mut an die Arbeit.“ Er wisse, dass dieses Land zu einer großen Kraftanstrengung bereit sei, das stimme ihn optimistisch. Das klang dann schon emotional beim CDU-Vorsitzenden, der am 6. Mai zum Bundeskanzler gewählt werden soll.

„Angriff war Kriegsverbrechen“

Emotional wurde Merz auch bei der Bewertung des russischen Luftangriffs auf Sumy in der Ukraine mit mehr als 30 toten Zivilisten. Der sei ein „schweres Kriegsverbrechen“, so Merz, und es sei an „Perfidie“ nicht zu überbieten, dass eine zweite Angriffswelle erfolgte, just als Retter sich um die Opfer bemühten. All jenen, die „naiv“ in Deutschland einen Wladimir Putin an den Konferenztisch bitten wollten, denen gebe der Kremlherrscher mit solchen Verbrechen die Antwort. „Er interpretiert unsere Bereitschaft, mit ihm zu reden, als Schwäche.“

Von Caren Miosga gefragt, ob er an seiner vor der Wahl angekündigten Bereitschaft festhalte, deutsche Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, falls Putin nicht „binnen 24 Stunden“ mit dem Bombardement auf die Zivilbevölkerung aufhöre, sagte Friedrich Merz ein deutliches „Ja“. Allerdings müsse diese Entscheidung „in Abstimmung“ mit den europäischen Verbündeten fallen, das habe er immer betont. Aber die Ukraine müsse endlich „vor die Lage kommen“, meinte Merz, die Marschflugkörper könnten die militärischen Nachschubwege Russlands auf die Krim kappen.

Diplomatisch bei Kritik an Trump

Was die Bewertung von Donald Trump anbelangte, zeigte sich Merz in seiner Wortwahl eher zurückhaltend und diplomatisch. Der habe „einen ganz besonderen Stil“, sagte er, nachdem Miosga ein Europa schmähendes Video von Trump einspielen ließ. Zur Zollpolitik bemerkte er, dass Trump großen Schaden außerhalb, aber auch innerhalb Amerikas anrichte. „Es bleibt unübersichtlich.“ Die EU müsse jetzt ihre eigenen Interessen wahrnehmen und als politische Einheit handlungsfähig sein. Er selbst habe noch keinen Gesprächstermin bei Trump, denke aber, dass er noch vor den Sommerferien nach Washington fliegen werde, um mit dem US-Präsidenten zunächst „Small Talk“ zu führen und dann über gemeinsame Interessen und Themen wie die Ukraine und China zu sprechen. „Werden Sie Golf mit Trump spielen?“, wollte Miosga von ihm wissen, der US-Präsident habe angeblich als Spielerstärke ein Handicap von 2,7. „Ich weiß es nicht“, meinte Merz daraufhin, sein eigenes Handicap wollte er allerdings nicht in die Öffentlichkeit tragen.

Was die Innenpolitik anbelangte, so betonte Merz, das zum SPD-Chef Lars Klingbeil während der Verhandlungen gewachsene Vertrauen. Er lobte Markus Söder (CSU) für seinen Humor, der zur Lockerung der Verhandlungsrunden beigetragen habe, und er stellte in Abrede, dass die CSU sich mit Mütterrente, Pendlerpauschale, Agrardiesel und Steuersenkung in der Gastronomie ein paar „Prestigeobjekte“ (Miosga) habe schenken lassen. Zumindest die Mütterrente und die Gastro-Steuern seien auch Wünsche der SPD gewesen, so Merz. Die Fraktionsgemeinschaft mit der CSU beschrieb der CDU-Chef als segensreich, denn auf diese Weise könne man breitere Wählerkreise abdecken. Das Modell mit zwei Schwesterparteien hätte auch für die Grünen/Bündnis90 erfolgversprechend sein können, meinte er. „Bündnis90 als eigene Partei im Osten hätte die Stimme des Ostens sein können.“ Das habe man nun der AfD überlassen.

Noch ein Jahr den Pilotenschein

Alle Koalitionsabsprachen stünden „unter Finanzierungsvorbehalt“, erläuterte Merz, und das gelte auch für die Steuerbeschlüsse. Eine Entlastung von mittleren und unteren Einkommen bei der Einkommenssteuer müsse auch mit den Bundesländern ausgemacht werden. „Wir müssen sehen, dass wir es schaffen.“ Steuererhöhungen lehnt Merz vehement ab, er sagte aber auf Nachfrage von Miosga auch, man solle „nie, nie sagen“. „Wir wissen nicht, was noch auf dieser Welt passiert. Ich denke, wir werden die Krise als das neue Normal erleben.“ Alle wichtigen Reformen – Rentenreform, Gesundheitsreform und eine für ihn besonders wichtige Pflegereform – müssten seiner Ansicht nach in der ersten Hälfte der Legislaturperiode erledigt sein.

In der Migrationspolitik sieht Merz die Wende eingeleitet. Die Zurückweisung von illegalen Migranten an den Grenzen solle „in Abstimmung“ mit den Nachbarländern passieren und diese „Abstimmungen“ liefen bereits mit Ländern wie Dänemark und Frankreich, sagte Merz. Laut Caren Miosga gab es 2024 bundesweit 230.000 Erstanträge auf Asyl – 100.000 weniger als ein Jahr zuvor. Merz meinte, die Zahl der „Ankommenden“ müsse deutlich auf einen unter sechsstelligen Wert reduziert werden, um Städte und Gemeinden nicht zu überfordern. Man müsse bedenken, dass Deutschland derzeit auch 1,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine „auf Zeit“ aufgenommen habe.

Bei zwei Aspekten spielte die Frist von einem Jahr eine Rolle: Der Pilotenschein von Merz ist gerade um ein Jahr verlängert worden. Sollte er als Bundeskanzler unter Umständen nicht privat selbst fliegen dürfen, was noch unklar ist, und somit keine weiteren Flugstunden sammeln, könnte es das „Aus“ für seine Fluglizenz bedeuten. Gefragt nach seinen niedrigen Beliebtheitswerten, sagte Merz, dass er nicht auf Umfragen schaue. Aber sollten die auch in einem Jahr noch so niedrig sein wie heute, „dann werde ich anfangen, mir Sorgen zu machen“. Pilot oder populär? Oder beides? In zwölf Monaten wird man mehr wissen.

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Erstellt:
14. April 2025, 06:30 Uhr
Aktualisiert:
14. April 2025, 11:11 Uhr

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