Nach der Bundestagswahl
Wird völkisches Denken jetzt salonfähig?
Der AfD-Erfolg ist nicht nur Folge einer Protestwahl, sagt der Wissenschaftler Rolf Frankenberger. Überwiegend sei die Partei aus nationalistischen, völkischen und antidemokratischen Überzeugungen heraus gewählt worden.
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© dpa/Carsten Koall
Delegierte gehen vor dem Parteilogo bei dem AfD-Bundesparteitag in Magdeburg (Archivbild).
Von Markus Brauer
Der Rechtsextremismusforscher Rolf Frankenberger sieht in dem Wahlerfolg der AfD bei der Bundestagswahl ein "alarmierendes Zeichen". Dass eine in Teilen rechtsextreme Partei mit fast 21 Prozent der Stimmen zweitstärkste politische Kraft in Deutschland geworden ist, sei „eine beunruhigende Entwicklung“, sagt Frankenberger am Montag (24. Februar).
„Völkisches, nationalistisches Gedankengut ist wieder hoffähig“
Der Tübinger Politikwissenschaftler betont: „Völkisches, nationalistisches Gedankengut ist wieder hoffähig und wird durch die Präsenz der AfD in den Parlamenten und den Medien immer weiter normalisiert.“ Jetzt werde auch in den Wahlergebnissen deutlich, „dass Rechtsextremismus ein gesamtdeutsches Problem ist, das sich nicht ‚in den Osten abschieben’ lässt.“
Zur Frage, ob die Bundestagswahl mit dem hohen Stimmenanteil der AfD eine Protestwahl war, konstatiert Frankenberger: „Es gibt einen Anteil Protest, aber eben auch einen überwiegenden Teil, der aus nationalistischen, völkischen und zum Teil antidemokratischen Überzeugungen heraus gewählt hat.“ Frankenberger ist wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen.
"Ideologie der Ungleichwertigkeit"
Frankenberger zufolge ist für den Rechtsextremismus die "Ideologie der Ungleichwertigkeit" kennzeichnend. Anhand von zugeschriebenen Merkmalen bzw. durch Hervorheben von bestimmten Merkmalen würden Menschen in Gruppen eingeteilt, von denen die einen als mehr wert als die anderen konstruiert werden. „Das findet einen Ausdruck beispielsweise in rassistischen Stereotypen. All das ist unvereinbar mit dem Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung, Artikel 3 Grundgesetz.“
Zudem gäbe es eine „Vorstellung von Volk als eine homogene Einheit, die zumeist ethnisch oder auch biologisch begründet wird.“ Anhand dieser Ausgrenzung und Abgrenzung werde definiert, wer Deutscher sein könne und wer nicht. „Die Rückkehr zum Abstammungsprinzip ist eine klassische Forderung der extremen Rechten und eben auch der AfD.“
Was im Osten passiert, kommt auch im Westen an
Der Bochumer Politikwissenschaftler Oliver Lembcke erkennt im starken Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl Anzeichen, dass Entwicklungen aus Ostdeutschland auf Westdeutschland übergreifen. „Wir haben etwas, das im Osten passiert, und es kommt im Westen auch an.“
Die ostdeutschen Bundesländer seien eine Art Vorbote, in welche Richtung sich das politische System entwickele. „Jedenfalls wird der Westen in dieser Weise östlicher als der Osten westlicher“, stellt Lembcke fest, der viele Jahre lang in Jena gelebt und gearbeitet hat. Diese Entwicklung sei nicht zwangsläufig oder unumkehrbar, so der Politologe. Es zeige sich aber, dass sich Parteienbindungen auch in den westdeutschen Ländern zunehmend lösten.
Die AfD erhielt bei der Bundestagswahl 20,8 Prozent der Stimmen und landete damit auf dem zweiten Platz. In allen fünf ostdeutschen Flächenländern wurde sie stärkste Kraft, in Thüringen mit 38,6 Prozent. Aber auch in der einstigen SPD-Hochburg Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) und in Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz) erreichte sie mit 24,1 beziehungsweise 25,9 Prozent den Spitzenplatz.
Diskriminierendes „Unwort“: „biodeutsch“
In diesem Zusammenhang hat auch der Terminus „biodeutsch“ seine Verortung. Der Begriff war im Januar von der Jury der sprachkritischen „Unwort“-Aktion in Marburg zum „Unwort des Jahres“ 2024 gekürt worden. Der Ausdruck sei im vergangenen Jahr verstärkt im öffentlichen und gesellschaftlichen Sprachgebrauch sowie vor allem in den sozialen Medien verwendet worden, „um Menschen vor dem Hintergrund vermeintlich biologischer Abstammungskriterien einzuteilen, zu bewerten und zu diskriminieren“, hieß es zur Begründung.
Die mit dem wörtlichen Gebrauch von „biodeutsch“ einhergehende Unterteilung in angeblich „echte“ Deutsche und in Deutsche „zweiter Klasse“ ist demnach eine Form von „Alltagsrassismus“.
Etabliert habe das Wort „biodeutsch“ ursprünglich der Kabarettist und Cartoonist Muhsin Omurca als „ironische Fremdbezeichnung“, so die Jury-Sprecherin und Sprachwissenschaftlerin an der Marburger Philipps-Universität, Constanze Spieß. Seit mehreren Jahren aber werde der Ausdruck sehr gedankenlos und wörtlich gemeint genutzt. „Dabei wird ‚Deutschsein‘ naturbezogen begründet, um eine Abgrenzung und Abwertung von Deutschen mit Migrationsbiografie vorzunehmen.“
„Deutlich völkisch-ideologische Motive“
Das Thüringer Oberverwaltungsgericht in Gera hatte sich im Februar 2024 deutlich zum thüringischen AFD-Landesverband geäußert. Demnach manifestieren sich in ihm „deutlich völkisch-ideologische Motive“, die dem Grundgesetz fremd seien.
Die Darstellung des Islam als Gesamtbedrohung und die Aufforderung, der vermeintlich um sich greifenden „Veränderung des Staatsvolkes“ entgegenzuwirken, wiesen auf eine Grundeinstellung hin, „die mit wesentlichen Verfassungsgrundsätzen der Menschenwürde, Religionsfreiheit, Gleichbehandlung und dem Demokratieprinzip nicht mehr vereinbar ist“, heißt es in dem Beschluss vom 19. Februar 2024.
Überhöhung des eigenen „Volkes“
- Radikal-nationalistisch: Das völkische Denken beruht auf einer radikal-nationalistischen Einstellung. Die Gruppe, zu der man sich zugehörig fühlt, wird als das eigene „Volk“ verabsolutiert und als (ethnisch) reine Gemeinschaft definiert.
- Volksgemeinschaft: Die „Volksgemeinschaft“ definiert sich demnach durch gemeinsame Abstammung, Kultur und Sprache. Angestrebt wird eine homogene Bevölkerung durch Ausschluss von „Fremden“. Das „Volk“ wird zum „Kollektivsubjekt“, das gegenüber anderen „Völkern“ eine höhere „Wertigkeit“ besitzt.
- Ursprung: Der Begriff „völkisch“ kam seit den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich und in Österreich/Ungarn zunächst als Eindeutschung des Wortes „national“ auf. Zum Ende des 19. Jahrhunderts formierte sich dann eine organisierte Völkische Bewegung, deren Ziel eine ethnisch und kulturell homogene Nation war.
- Rechtsextremismus: Die Bewegung war antisemitisch, anti-egalitär und antimodernistisch. Sie propagierte die Rückkehr zu vermeintlichen, idealisierten deutschen oder germanischen Ur-Zuständen. Bis heute spielt völkisches Denken im deutschen Rechtsextremismus eine wichtige Rolle.
2015 bis 2020: AFD und ihr „Flügel“
- Von 14. März 2015 (Veröffentlichung der „Erfurter Resolution“) bis zu seiner formellen Auflösung am 30. April 2020 existierte in der AFD ein „Flügel“. Er bezeichnete die völkisch-nationalistische und rechtsextreme Gruppierung innerhalb der Partei. Zentrale Figur war der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke.
- Der „Flügel“ war eine lose Vereinigung von etwa 6000 AfD-Mitgliedern, die selbst keine eigene Mitgliederstruktur hatte. Die Gruppierung manifestierte sich vor allem durch regelmäßige Treffen auf Landesverbands- und Bundesebene.
„Sammlungsbewegung innerhalb der AFD“
Das Ministerium des Inneren des Landes Nordrhein-Westfalen schreibt dazu: „Der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss agiert nach der formellen Auflösung des ‚Flügel‘ weiterhin als Sammlungsbewegung innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD).“
Und weiter heißt es in der Beurteilung des Düsseldorfer Innenministeriums: „Die ideologische Ausrichtung fokussiert sich im Wesentlichen auf das völkische Konzept des sogenannten Ethnopluralismus. Damit knüpf der völkisch-nationalistische Personenzusammenschluss unmittelbar an den Entwurf einer ethnisch homogenen Gemeinschaft an, den die rechtsextremistische Neue Rechte vertritt.“
Info: Rechtsextreme Szene in Deutschland
Rechtsextremismus Rechtsextremismus ist ein Oberbegriff für politische Orientierungen und Aktivitäten, die den demokratischen Staat in Deutschland ablehnen und dafür eine autoritär geführte „Volksgemeinschaft“ errichten wollen. Dabei wird von einem vermeintlich naturgemäßen „Volkstum“ und einem „gewachsenen Volkskörper“ ausgegangen. Andere Menschen werden durch rassistische Parolen ausgegrenzt und abgewertet.
Rechtsextremistische Szene Dem Bundesamt für Verfassungsschutz zufolge stellt der Rechtsextremismus in Deutschland kein einheitliches Phänomen dar. Rassistische, antisemitische und nationalistische Ideologie-Elemente treten in verschiedenen Ausprägungen auf. Eine Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und damit einhergehend die Ablehnung des Gleichheitsprinzips der Menschen sind jedoch bei allen Rechtsextremisten festzustellen.
Ideologie Nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg verbindet die rechtsextreme Szene in Deutschland folgende ideologische Merkmale:
• „Ideologie der Ungleichheit“ (darunter: Nationalismus, Sozialdarwinismus, Rassismus und (Rassen-)Antisemitismus)
• „Ideologie der ‚Volksgemeinschaft’“, auch „Völkischer Kollektivismus“ genannt (darunter: Fremden- und Ausländerfeindlichkeit)
• Autoritarismus (darunter: Militarismus, Antiliberalismus,
• Revisionismus (darunter: Geschichts- und Gebietsrevisionismus)
• Antimodernismus
Neonazis Der Neonazismus ist eine von mehreren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Als neonazistisch werden Personenzusammenschlüsse und Aktivitäten bezeichnet, die ein Bekenntnis zu Ideologie, Organisationen und/oder Protagonisten des historischen Nationalsozialismus erkennen lassen und in letzter Konsequenz auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten eines totalitären Führerstaates nach dem Vorbild des „Dritten Reiches“ ausgerichtet sind.
Neue Rechte Im Verfassungsschutzbericht heißt es: „Unter die Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen.“
Identitäre Bewegung Laut Verfassungsschutz zählte die „Identitäre Bewegung“ 2020 etwa 575 Mitglieder. Sie stammt ursprünglich aus Frankreich und konnte sich 2012 auch in Deutschland etablieren. Nachdem die „Identitäre Bewegung“ zunächst vor allem im Internet aktiv war, organisiert sie inzwischen zahlreiche Aktionen auf der Straße.
Ethnopluralismus Die Identitäre Bewegung verfolgt die Idee eines „Ethnopluralismus“. Dahinter steht die Vorstellung, dass jedes „Volk“ eine eigene Kultur oder Identität besäße, die sich nicht mit anderen „mischen“ sollte. Dem Verfassungsschutzbericht zufolge sind die Positionen der Identitären Bewegung nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie zielten darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin darf die Identitäre Bewegung als „gesichert rechtsextrem“ bezeichnet werden (mit dpa-/KNA-/AFP-Agenturmaterial).