Wirtschaftstag: Aufruf für Bürokratieabbau
Beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag analysiert Professor Hans-Peter Burghof Ursachen und Auswirkungen der Überregulierung. In der Podiumsdiskussion zeigt Expertin Gisela Meister-Scheufelen dann ein „Fitnessprogramm“ mit konkreten, nachhaltigen Lösungsansätzen auf.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Wie gelingt es, die übermäßige Bürokratie in den Griff zu bekommen und die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen? Dazu bekamen zahlreiche Gäste eine fundierte Analyse und konkrete Maßnahmenvorschläge beim sechsten Murrhardter Wirtschaftstag, der gemeinsam von Stadtverwaltung und Unternehmerforum Oberes Murrtal (Ufom) organisiert wurde. Kurzweilig und schlüssig erklärte Professor Hans-Peter Burghof in seinem Impulsvortrag die Hintergründe des „Riesenproblems“ der Bürokratisierung in Deutschland und der Europäischen Union.
Sie umfasst die sich verselbstständigende Überregulierung durch Vorschriften, Normen und Richtlinien für alles und jedes, ebenso die Verrechtlichung. „Wir glauben, wir müssen das gesamte Leben, ja die ganze Welt gesetzlich regeln, aber das funktioniert nicht auf Dauer“, verdeutlichte der Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim in seinem Gastbeitrag. Und: „Wir in Deutschland machen Monster aus bereits problematischen EU-Richtlinien.“ Ein weiteres Problem sei, dass Bürgerinnen und Bürger sich als „Kunden“ des Staates begreifen: „Wir müssen unsere Erwartungen an den Staat zurückschrauben, weil er nicht alles leisten kann.“
Die Politik muss flexibel reagieren können und darf sich nicht selbst binden
Politische Ziele gelte es sorgfältig abzuwägen, Prioritäten zu setzen und äußerst vorsichtig zu sein bei einklagbaren Tatbeständen: Die Politik dürfe sich nicht selbst binden, sondern müsse flexibel reagieren können. Problematisch seien jedoch das unterschiedliche Deregulierungsverständnis der Parteien und daraus folgende Konflikte innerhalb der regierenden Koalitionen in Bund und Land. „Wir brauchen eine Entlastungsallianz für Deutschland und Europa, dazu müssen die Bürgerinnen und Bürger den Druck auf die Politik erhöhen“, forderte Hans-Peter Burghof.
In der Podiumsdiskussion, die Bürgermeister Armin Mößner und Ufom-Vorsitzender Stefan Grotzke moderierten, brachte Claus Paal den Frust in der Wirtschaft zum Ausdruck. „Wir müssen den Kampf aufnehmen. Der Kipppunkt ist erreicht, wegen der Bürokratiebelastung sind Unternehmer nicht mehr in der Lage, sich ums Geschäft zu kümmern“, so der Präsident der IHK Region Stuttgart. Größte Probleme seien die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel und die politischen Rahmenbedingungen.
Hauptgründe für die unnötige Bürokratie seien Misstrauen, Einzelfallgerechtigkeit und Perfektionismus des Staates gegenüber Bürgern und Unternehmen, erklärte Gisela Meister-Scheufelen. Die ehemalige Vorsitzende des Landesnormenkontrollrats für Bürokratieabbau hatte konkrete Problemlösungsansätze im Gepäck: „Bürokratieabbau sollte Priorität haben, Chefsache in Bund und Land sein, konkrete Ziele verfolgen und einen eigenen Bundestagsausschuss bekommen“. Sie schlug ein „Fitnessprogramm“ vor mit klaren Zielen und konkreten, nachhaltigen Maßnahmen zum Abbau von Bürokratie.
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Zum Beispiel könnte das eine Strukturreform der Landesbehörden beinhalten: „Es gibt zu viele kleine Einheiten, eine Bündelung der Zuständigkeiten ist erforderlich“, sagte Gisela Meister-Scheufelen. Die Bürokratiebelastung gelte es evidenzbasiert und faktenorientiert zu beurteilen und branchenspezifische Kostengrenzwerte einzuführen. Die Juristenausbildung umfasse bisher nur die Anwendung der Gesetze, aber: „Juristen müssen lernen, wie man gute Gesetze macht.“ Um „den Karren wieder flott zu bekommen“, müsse die Politik den Behörden wieder mehr Entscheidungsbefugnisse und -möglichkeiten geben, so Meister-Scheufelen weiter.
Nicht nur Unternehmen, auch Verwaltungen leiden unter Bürokratie
Auch für die Stadtverwaltung „ist fast nichts mehr möglich wegen immer neuer Gesetze und Verordnungen, mit denen wir kämpfen müssen. Es ist drei Minuten vor zwölf“, brachte der Murrhardter Bürgermeister die „haarsträubenden“ bürokratischen Veränderungen auf den Punkt. So umfassten Bebauungspläne früher nur wenige, heute über 100 Seiten wegen der vorgeschriebenen Untersuchungen, Gutachten und Stellungnahmen von Fachbehörden. Da müsse die Politik gegensteuern, Gesetze und Verordnungen weitmöglichst abbauen, damit die Mitarbeiter wieder ihre eigentlichen Aufgaben erledigen können.
Abschließend forderte Burghof dazu auf, die Dynamik der Bauernproteste weiterzuverfolgen, öffentlich Druck auf die Politik zu machen und zu demonstrieren, damit unsere Demokratie weiter funktioniert.
Die meisten Gäste stimmten Impulsvortrag und Diskussionsbeiträgen mit Beifall zu. Doch Landtagsabgeordneter und Stadtrat Ralf Nentwich (Grüne) kritisierte die Veranstalter. Er warf dem Ufom vor, statt seines satzungsgemäßen Auftrags der Überparteilichkeit gerecht zu werden, seien Redner und Podiumsgäste nach Parteibuch ausgewählt worden. Burghof ist FDP-Mitglied, Gisela Meister-Scheufelen und Claus Paal sind CDU-Mitglieder. Diese hätten andere Parteien herabsetzend kritisiert und dies kommentarlos stehen gelassen, und in der Gesprächsrunde seien seine Wortmeldungen ignoriert worden, so Nentwich. Bürgermeister Armin Mößner wies dessen Kritik zurück: „Das Podium wurde nicht nach Parteizugehörigkeit ausgewählt.“ Das Ufom engagierte Professor Burghof, da man bewusst mal keinen Politiker als Redner haben, sondern das Thema Bürokratie beleuchten wollte. Schon immer sei die IHK dabei gewesen, diesmal Vorsitzender und Regionspräsident Claus Paal. Fürs Podium war laut Mößner auch Landrat Richard Sigel vorgesehen, aber verhindert, er vermittelte den Kontakt zu Gisela Meister-Scheufelen.