World Games: „Unser Kern ist die Breitensportorientierung“

Inklusion im Sport Kristin Dawood vom Verband Special Olympics macht klar, dass es bei den World Games auch um Leistung geht, die aber nicht das Wichtigste ist. Im Mittelpunkt für die Menschen mit Behinderung stehen Teilhabe, Mitmachen und der Abbau von Barrieren.

Kristin Dawood ist sehr zufrieden und sehr sicher, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung dank der Spiele in Berlin verstärkt in die Öffentlichkeit getragen werden. Foto: privat

© privat, Special Olympics

Kristin Dawood ist sehr zufrieden und sehr sicher, dass die Anliegen von Menschen mit Behinderung dank der Spiele in Berlin verstärkt in die Öffentlichkeit getragen werden. Foto: privat

Frau Dawood, 1968 gabs in Chicago die ersten Special Olympic World Games. 55 Jahre später finden sie vom 17. bis 25. Juni das erste Mal in Deutschland statt. Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass von Berlin für die inklusive Bewegung im Sport am Ende mehr bleibt als eine nette einwöchige Episode?

Sehr groß. Schon jetzt wird für das Thema in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit generiert und kommende Woche wird es sicher sehr intensiv. Gerade das Host-Town-Program, mit dem verschiedene Länderdelegationen bundesweit in über 200 Kommunen begrüßt werden, hilft, dass sich viele mit Inklusion im Sport bereits intensiv beschäftigt haben. Da geht man einfach die Berührungsängste oder Barrieren an, beschäftigt sich auf eine niedrigschwellige Art und Weise mit der Sache. Es sind viele runde Tische und Netzwerke entstanden, an denen sich viel tut und viel passiert, gerade bei Dingen wie der Leichten Sprache, die für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung ganz wichtig ist. Dadurch können sie leichter am normalen Leben teilhaben und können mitmachen.

An jenem Host-Town-Projekt beteiligen sich als Gastgeber für die Bermudas auch der Rems-Murr-Kreis und mit ihm die Stadt Backnang. Was dürfen die und die beteiligten Vereine sowie Schulen sich für die Zukunft erhoffen?

Von uns wurde von Anfang angestrebt, dass die lokale Arbeit vor Ort eingebunden wird und damit auch weitergeht. Das Programm haben wir gemeinsam entwickelt und möchten auch im Nachgang für alle Beteiligten da sein. Vor Ort wurde schließlich viel Tolles für die Delegationen zusammengestellt. Deshalb ists selbstverständlich wünschenswert, wenn das weitergeführt werden kann. Erst dann bringt es eben diese Nachhaltigkeit, von der ich glaube, dass es sie geben wird. Wir wollen und können jedenfalls als Ansprechpartner für alle Beteiligten da sein, damit sich das Thema weiterentwickelt.

Mit 77 Sportlern und Sportlerinnen ist Baden-Württemberg die zweitgrößte Delegation im deutschen Team. Zufall oder Beweis, dass es im Ländle um den Sport für geistig und mehrfach Behinderte vergleichsweise gut bestellt ist?

Zufall ist es nicht. Wir haben im bundesweiten Vergleich schon sehr viele Athleten und Athletinnen. Auch Bayern und Nordrhein Westfalen sind sehr gut vertreten. Bei uns passiert schon recht viel und daran sind auch viele Sportvereine beteiligt, gerade im Unified-Programm, in dem Menschen mit geistiger Behinderung und ohne Behinderung zusammen Sport treiben. Das läuft bei uns auf jeden Fall schon ganz toll.

World Games: „Unser Kern ist die Breitensportorientierung“

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Das heißt, Sie können gut mit der Bilanz leben, dass Männer und Frauen aus dem Ländle in Berlin in 16 von 26 angebotenen Sportarten am Start sind?

Ganz klar. Mehr geht natürlich immer, aber wir sind schon in sehr vielen Sportarten vertreten und haben einen großen Bereich abgedeckt. Unsere Athletinnen und Athleten haben bereits sehr viele Wahlmöglichkeiten, was sie sich mal anschauen und ausprobieren möchten. Wir sind echt superzufrieden. Ich bin aber auch immer dran, mit weiteren Sportverbänden in Kontakt zu kommen, Netzwerke aufzubauen, sodass wir noch mehr Sportarten anbieten können. Zusätzliche Chancen bieten sicher jene vorher genannten Unified-Teams, für die es in Berlin viele Wettkämpfe gibt. Ist gemeinsamer Sport von Menschen mit und ohne Behinderung die Zukunft oder bleibt er nur ein Teil des Ganzen?

Ich denke Zweiteres. Es ist einfach wichtig, dass es weiterhin eine Wahlmöglichkeit gibt. Die gemeinsamen Teams sehen wir ja hauptsächlich in den Mannschaftssportarten. Deshalb ist es schon gut, wenn man sich aussuchen kann, ob man lieber in einer großen Gruppe spielt oder eben eine Individualsportart macht. Sprint oder Weitsprung in der Leichtathletik zum Beispiel.

Aber das Unified-Projekt hilft der Entwicklung Ihres Sports schon weiter?

Natürlich. Es ist eine tolle Möglichkeit, unser Thema und unseren Sport besser in die Gesellschaft reinzutragen. Es erleichtert es, das Ganze einfach mal auszuprobieren. Das ist schön. Stichworte wie Niederschwelligkeit, Barrierenabbau und Ähnliches hatte ich ja schon mal genannt. Viele berichten mir, dass gemeinsamer Sport, egal ob mit oder ohne Behinderung, für alle Beteiligten bereichernd ist. Klar ist aber, dass wir bei dem Angebot noch viel ausbauen können.

Das wird aber dadurch erschwert, dass Sport für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung umfangreiche Betreuung erfordert. Deshalb scheuen sich Vereine oft, Angebote zu entwickeln. Wie gelingt es, das zu ändern?

Eine gute finanzielle Unterstützung hilft in jedem Fall. Denn dass es aufwendiger ist, ein inklusives statt ein normales Sportangebot zu machen, ist unbestritten. Aber auch da gibt es verschiedene Möglichkeiten für die Vereine, das anzugehen. Es müssen nicht immer regelmäßige Übungseinheiten sein. Da reicht es auch mal, nur einen monatlichen Tag der Inklusion oder wie auch immer man das nennen mag zu starten. So kann man etwas nach und nach aufbauen.

Da braucht’s aber auch Fachwissen..?

Wir beraten interessierte Vereine sehr gern. Wobei ich durchaus weiß, wie schwer es ist, so etwas zusätzlich zu stemmen, gerade im Ehrenamt. Da wird es auch immer schwieriger, Leute zu finden. Umso wichtiges ist es deshalb, gut vernetzt zu sein und viel mit Einrichtungen zusammenzuarbeiten. Man muss sich genau anschauen, was lokal vorhanden ist, und das als Team umsetzen. Mit Schnupperangeboten kann der Kontakt aufgebaut werden, ehe dann regelmäßige Angebote entstehen. Hauptziel bleibt, dass Menschen mit geistiger Behinderung in ihrem Verein vor Ort oder in Kooperation mit einer Einrichtung ihren Sport ausüben und sich bewegen können. Denkbar ist viel. Klar ist aber auch, dass es dauert, bis Strukturen und Netzwerke aufgebaut sind.

Vielleicht hilft ja Aufklärung schon mal weiter. Wenn man von Special Olympics spricht, dann ist mir aufgefallen, dass viele Menschen denken, es seien Paralympics unter neuem Namen. Erklären Sie uns doch den Unterschied.

Bei uns starten nur Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung. Bei den Paralympics ists dagegen ein großer Fächer von Behinderung, zum Beispiel von sehr starker Sehbehinderung bis zu völliger Blindheit. Sehr oft sind es fehlende Gliedmaßen, die amputiert wurden oder aus anderen Gründen nicht oder nur stark eingeschränkt vorhanden sind. Geistige Behinderung ist bei den Paralympics auch vertreten, aber nur als kleiner Bereich. Paralympics, die meist in Verbindung mit Olympischen Spielen stattfinden, sind eher sehr leistungsorientiert. Unser Kern ist die Breitensportorientierung. Uns gehts darum, Menschen über den Sport in die Gesellschaft einzuführen. Dass sie Wahlmöglichkeiten haben, dass sie Sachen wie eine Erklärung der Sportart in sogenannter Leichter Sprache zur Verfügung gestellt bekommen und so einfach auch verstehen, um was es geht.

Das Gespräch führte Uwe Flegel.

Serie Sport und InklusionUnsere Zeitung begleitet die Host-Town-Aktion mit einer Serie. Dabei beleuchten wir, was sich die Stadt von ihrem Engagement verspricht. Wir fragen den Verband Special Olympics, wie es um die Inklusion im Sport steht. Wir stellen drei Aktive aus dem Kreis vor, die in Berlin starten, berichten vom Host-Town-Tag am Mittwoch in Backnang und fragen, was davon bleibt.
Zur Person Kristin Dawood und zu den Special Olympic World Games

Zur Person Die 37-jährige Kristin Dawood ist die Presse- und Öffentlichkeitsreferentin des Landesverbands Special Olympics Baden-Württemberg. Der hat seinen Sitz in Karlsruhe und ist die Sportorganisation für Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung.

Special Olympics Die 16. Sommerspiele für geistige und mehrfache behinderte Menschen finden dieses Jahr vom 17. bis 25. Juni statt. Deutschland ist das erste Mal Gastgeberland. Die Special Olympics World Games gabs elfmal auch als Winterspiele. 2025 findet deren zwölfte Auflage in Turin statt. Gründerin der Special Olympic World Games ist Eunice Kennedy-Shriver. Die 2009 verstorbene Aktivistin für Menschen mit Behinderung war die vier Jahre jüngere Schwester des 1963 ermordeten US-Präsidenten John F. Kennedy.

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Erstellt:
13. Juni 2023, 06:00 Uhr

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