Wort für Wort das Ankommen vertiefen
Beim Sprachcafé, das die Arbeiterwohlfahrt Murrhardt anbietet, haben geflüchtete Frauen die Möglichkeit, sich in alltäglicher Kommunikation zu üben. Das Leitungsduo Patricia Wirth und Ute Eilers nutzt die Treffen auch für kleine Bildungsinputs, Tipps und Beratung.
Von Christine Schick
Murrhardt. Auf dem Tisch stehen Getränke und ein paar Kleinigkeiten zum Knabbern. Die meisten Besucherinnen haben sich schon einen Platz gesucht, manche haben etwas zu schreiben dabei, manche legen ihr Handy vor sich auf den Tisch, um etwas nachschauen zu können. Die Frauen sind zum Sprachcafé der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Murrhardt gekommen, zu dem Geschäftsstellenleiterin Patricia Wirth gemeinsam mit Ute Eilers immer donnerstags einlädt. Bei einer Vorstellungsrunde geben die Einzelnen ein paar Stichworte zu ihrer Situation – und können gleichzeitig das Sprechen üben. „Ich heiße Salia, komme aus der Türkei, bin verheiratet und habe einen Sohn. Mein Beruf ist Köchin und ich bin seit einem Jahr und drei Monaten hier“, sagt die 36-Jährige und lächelt.
Erste Lernschritte vom Mutterwerden und Corona unterbrochen
Fatima Housseini aus Afghanistan ist ebenfalls verheiratet und hat eine achtjährige Tochter und einen vierjährigen Sohn. Die gelernte Schneiderin ist schon um einiges länger in Deutschland – es sind mittlerweile acht Jahre. Sie hat auch bereits einen Sprachkurs gemacht, aber neben den Anforderungen des Ankommens und später
als Mutter kamen dann auch Einschnitte durch die Pandemie. „Corona war für viele schwer, hat sie sprachlich zurückgeworfen. Es hat ja einfach nichts mehr stattgefunden“, sagt Ute Eilers.
Die Herkunftsländer und Hintergründe der geflüchteten Frauen, die das Sprachcafé besuchen, sind ganz verschieden. Sie kommen aus Tunesien, dem Iran, Syrien, Armenien, der Türkei und Afghanistan. Viele von ihnen sind Ehefrauen und haben Kinder, aber in der Runde finden sich auch zwei 20-jährige Türkinnen, die Biologie beziehungsweise Chemie studiert haben und nun die gewerbliche Schule in Backnang besuchen. Bevor sie möglicherweise wieder an ein Studium anknüpfen können, müssen sie sich vor allem Deutschkenntnisse erarbeiten. Einige haben auch verschiedene Stationen beziehungsweise Umzüge hinter sich, was einem kontinuierlichen Spracherwerb nicht immer zuträglich ist.
„Jetzt lernen sie Deutsch mit uns und über ihre Kinder“, sagt Ute Eilers. Apropos: Damit die Frauen sich rund anderthalb Stunden ganz dem gemeinsamen Sprechen und Üben widmen können, werden die jüngeren Kinder (bis zur 2. Klasse) in dieser Zeit beim „Zwergentreff“ im Zentrum für Vielfalt betreut. „Die Kooperation haben wir seit etwa zwei Monaten“, erzählt Patrizia Wirth. Die Awo-Geschäftsstellenleiterin beschreibt das Sprachcafé als niederschwelliges Angebot, bei dem die Frauen die Scheu vor dem Sprechen verlieren und die Möglichkeit erhalten sollen, sich in guter Atmosphäre auszutauschen. „Uns ist es wichtig, dass sie für den Alltag ein bisschen Sicherheit bekommen“, sagt sie.
Dazu machen Patricia Wirth und Ute Eilers Angebote auf verschiedenen Ebenen. Zum einen geht es um das konkrete Sprechen, beispielsweise über ein Hobby oder den Familienstand, zum anderen wird bei jedem Treffen ein Thema ausgeleuchtet und besprochen. Das ist in der Regel der Part von Ute Eilers, die dann etwas vorbereitet hat und die das Sprachcafé als Ehrenamtliche begleitet. Manchmal gibt es aber auch Gäste im Sinne von Referentinnen oder Referenten. „Wir hatten auch schon eine Polizistin hier, die von sich und ihrer Arbeit berichtet hat“, erzählt Patricia Wirth. Zudem wird einmal im Monat zusammen gekocht.
Ein Beispiel für ein weiteres Thema und eine Art spontanen Aufhänger: Die Entscheidung, sich der Demonstration „Demokratie kennt keine Alternative“ im Februar in Murrhardt anzuschließen, wurde genutzt, um gemeinsam Schilder zu entwerfen und zu beschriften. „Die Frauen haben alle Möglichkeiten, können natürlich auch Nein sagen. Es ist wichtig, dass sie sich und ihre Meinung vertreten“, erklärt Patricia Wirth. Ute Eilers ergänzt: „Das Sprachcafé ist ein geschützter Raum. Es werden auch Sorgen und Nöte geteilt, manchmal fließen Tränen, aber es wird auch ganz viel gelacht.“
Ute Eilers gibt Einblick in die Geschichte des 1. Mai als Tag der Arbeit
Und wenn es mal in der Verständigung hakt oder ein Wort nicht ganz klar in der Bedeutung ist? „Dann zieh ich die Übersetzer-App zurate“, sagt Patricia Wirth. Die wird auch bei den Erläuterungen von Ute Eilers mal gezückt, die den Frauen das Thema 1. Mai mitgebracht hat. Sie erklärt, dass der in Deutschland ein Feiertag ist. „Die meisten haben frei und arbeiten nicht“, sagt sie und kommt auf die mit ihm verbundene Geschichte zu sprechen. Sie erläutert, dass Menschen sich ihre Arbeitssicherheit und einen Achtstundentag erkämpfen mussten. Zu den weiteren Errungenschaften gehört beispielsweise die Lohnfortzahlung bei Krankheit. „Gibt es das in der Türkei auch?“, erkundigt sie sich. Teils, teils lautet die Antwort der türkischen Frauen, sprich, es kommt vermutlich auf die Region und das Unternehmen an. Ute Eilers geht neben den weiteren Anliegen wie Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Lohn für gleiche Arbeit sowie Aufstiegschancen auch auf die mit dem Thema verbundenen Demonstrationen ein und erzählt von Bräuchen und Traditionen wie dem Maibaumaufstellen, Tanzen und Wandern rund um den 1. Mai. Die Zeit vergeht wie im Flug und nach den anderthalb Stunden müssen sich viele der Frauen auf den Weg machen, um ihre Kinder abzuholen.
Im Vorfeld des Treffens und beim Ausklang sind aber auch noch kurze Gespräche möglich, bei denen Patricia Wirth und Ute Eilers bei Fragen oder Problemen unterstützen, beispielsweise wenn ein Kitaplatz gesucht wird oder eine größere Arztrechnung ins Haus flattert. „Mir macht das so große Freude mit den Frauen“, sagt Patricia Wirth, insbesondere wenn sie sich die sprachliche Entwicklung Einzelner vergegenwärtigt. „Donnerstag ist mein schönster Tag in der Woche“, stellt sie fest. Die junge Türkin Deniz grinst und sagt: „Meiner auch!“
Arbeiterwohlfahrt Das Sprachcafé erhält eine Förderung über das Projekt „Partnerschaft für Demokratie Oberes Murrtal“, das zum Förderprogramm „Demokratie leben!“ des Bundesfamilienministeriums gehört. Mittlerweile besteht das Sprachcafé seit etwas mehr als einem Jahr. Anfangs fanden sich auch Männer im Kreis, es aber für Frauen zu reservieren, hat sich für Patricia Wirth und Ute Eilers im Sinne eines geschützten Raums als sinnvoll erwiesen. Männer haben im Zentrum für Vielfalt ein vergleichbares Angebot, berichten sie. Die Awo Murrhardt bietet zudem einen Lesetreff für Kinder in der Walterichschule an. Weitere Infos zu den beiden Treffs gibt es bei der Awo Murrhardt, Helfergasse 25 in Murrhardt, unter Telefon 07192/9399999 oder per E-Mail an die Adresse kontakt@awo-murrhardt.de, zur weiteren Arbeit unter www.awo-murrhardt.de.
Weitere Angebote Im Zentrum für Vielfalt in der Murrhardter Hauptstraße gibt es ebenso Treffen, bei denen Geflüchtete und Neuankömmlinge die Sprache und Kommunikation unter Anleitung üben können. Insgesamt werden vier verschiedene Gruppen angeboten. Weitere Infos gibt es bei Jochen Schneider unter der Mobilnummer 0176/34228063 oder via E-Mail an jochen.schneider@pyramidea.de.