Zucht von Bachforellen auf der Agenda

40000 Fische sollen in Zukunft jährlich in der Murr ausgesetzt werden – Projekt der Hegegemeinschaft Einzugsgebiet Murr

40000 junge Bachforellen sollen in Zukunft jährlich in der Murr ausgesetzt werden – vom Ursprung in Vorderwestermurr bis zur Mündung in den Neckar bei Marbach. Dies hat sich die Hegegemeinschaft aus anliegenden Anglervereinen neben anderen Renaturierungsmaßnahmen auf die Agenda gesetzt. Finanziert wird das Projekt durch Spenden und Patenschaften.

Nachzucht von Murrforellen: Züchter Christian Veitinger entnimmt Forellen mit der Pipette. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Nachzucht von Murrforellen: Züchter Christian Veitinger entnimmt Forellen mit der Pipette. Foto: J. Fiedler

Von Ute Gruber

MURRHARDT. Zuerst sieht man nur die Augen. Als zwei deutliche, schwarze Punkte erscheinen sie im Inneren des kugelrunden, glasig-transparenten, gelblichen Eies. Nach dem Schlüpfen aus der engen, durchsichtigen Schale erkennt man schon die längliche Fischform, aber wie ein Embryo schleppen die blassen Tierlein unbeholfen einen gelben Dottersack am Bauch mit sich herum. „Daraus ernähren sie sich, bis alle Organe fertig ausgebildet sind, zum Beispiel die Maulspalte“, erklärt Christian Veitinger, während er Wanne um Wanne aus seinem isolierten Aufzuchtbecken herbei trägt.

In der nächsten Wanne sind die Fischlein kaum größer, aber sehen schon genauso aus, wie eine fertige Bachforelle: Den graugrünen Leib übersät mit dunklen Punkten zur Tarnung im flirrenden Bachwasser, schlängeln sie sich mit flinken Bewegungen durchs Becken, verharren dann, die filigranen, durchsichtigen Bauchflossen wie eine Hand gespreizt. Um Details zu sehen, bräuchte man allerdings eine Lupe, denn die Miniaturforellen sind gerade mal einen Daumennagel lang. „Jetzt aber brauchen sie kontinuierlich Futter“, erklärt der passionierte Ziehvater, der sonst beruflich als Bauphysiker unterwegs ist, und streut ein Löffelchen staubfein gemahlenes Fischmehl ins Wasser. Gierig machen sich die angehenden Raubfische über ihr Mikrovesper her.

Christian Veitinger beschäftigt


sich schon lange mit Fischzucht

Als glückliche Fügung bezeichnet Justin Guest die Tatsache, dass der 31-jährige Murrhardter Gewässerwart schon vor zwei Jahren aus persönlichem Interesse begonnen hatte, sich engagiert mit der äußerst heiklen Vermehrung von heimischen Bachforellen zu beschäftigen. „Als wir vor einem Jahr die Hegegemeinschaft gründeten, kam der Gedanke auf, die Forellenbesiedlung der Murr sollte doch mit einer eigenen Zucht beschleunigt werden, also mit vorgestreckter Brut“, erzählt der studierte Biologe mit Fachrichtung Aquakultur, der als Naturschutzreferent der Hegegemeinschaft fungiert. „Aber das mache ich doch schon“, kam da der Einwurf von Hobbyfischer Christian Veitinger. Man kann sich die erstaunte Freude im Vorstandsgremium bildlich vorstellen.

Unter den jüngeren Anglern seien der Sachverstand und das Interesse am Naturschutz ohnehin hoch, „die sind ja schon in diesem Kontext aufgewachsen“, stellt Justin Guest fest. „Denn spätestens, wenn der Angler sich damit beschäftigt, wovon seine Forellen leben, merkt er, wie wichtig eine intakte Flussaue ist.“ Verschiedene Fließgeschwindigkeiten durch einen mäandrierenden Bachlauf, umgestürzte Bäume als Deckung, Uferbäume als Schattenspender. Zu Letzterem beteiligt sich die Hegegemeinschaft am Programm 1000 Bäume für 1000 Kommunen mit der Schwarzpappeln-Pflanzung entlang der Murr. Finanziert werden die (durch den Verlauf des Flusses) kreisübergreifenden Projekte unter anderem durch Patenschaften ab 200 Euro.

Einer der ersten begeisterten Förderer war der Bürgermeister der Murrgemeinde Oppenweiler, Bernhard Bühler. Er überzeugt sich bei einem Besuch an den Murrhardter Fischteichen persönlich vom Wohlergehen seiner kleinen Patenkinder und ist begeistert: „Es ist faszinierend, das so hautnah zu erleben.“

Die Aufzucht in Wasser aus dem Einzugsgebiet des späteren Lebensraumes ist bedeutsam, weiß Fischexperte Justin Guest: „Die Fische suchen das Aroma ihres Heimatgewässers. Sonst würden die später abwandern.“ Außerdem müssten die Erbanlagen der gefangenen Tiere kontinuierlich durch Wildtiere aufgefrischt werden: „Die degenerieren sonst innerhalb von ein bis zwei Generationen.“ Ausgesetzt werden müssten sie im ersten Jahr, damit sie als sogenannte Fingerlinge noch lernen, in der Natur Futter zu finden: „Sonst fressen die nur noch pelletiertes Futter“ und verhungern praktisch am gedeckten Tisch der Natur. Mit der räuberischen Forelle soll auch dem invasiven, eingeschleppten Signalkrebs der Kampf angesagt werden, welcher derzeit das ökologische Gleichgewicht in der Murr massiv stört.

Das Zubehör bastelte


er sich selbst zusammen

Geduldig erklärt Forellenzüchter Christian Veitinger jetzt sein Vorgehen: Wie fast alle Angler hatte er früher seine Jungfische von externen Berufszüchtern gekauft, amerikanische Regenbogenforellen, speziell für die Teichhaltung, welche schon sein Vater betrieben hatte. Dann wollte er selber züchten, bastelte sich das Zubehör zusammen, zum Beispiel aus einer großen Weinbrandflasche, bei der er den Boden abgesägt hat. Aber die Ergebnisse mit den überzüchteten Teichfischen waren unbefriedigend, er fing sich wilde Bachforellen. Und siehe da: 95 Prozent Schlupfrate.

Mitten im Winter, kurz vor der Eiablage, streicht er sie behutsam aus: Die Eier aus den Weibchen – Rogner genannt – die milchigen Spermien aus den Männchen, den sogenannten Milchnern, und mischt sie in einer Keramikschale mit frischem Quellwasser. Dort findet die Befruchtung sozusagen in vitro statt, wie sonst in einem Kiesbett im Fluss. Von denen gibt es durch die Begradigungen inzwischen viel zu wenig, wie Alexander Schaal von den Backnanger Anglern erklärt. Man hofft hier auf flankierende Maßnahmen durch das Regierungspräsidium, sollte die Ansiedelung nachhaltig sein: „Wenn man das Ökosystem versteht, kann man korrigieren, wo’s hakt.“

Vom befruchteten Ei über das Augenpunkt- und das Dottersackstadium bis zum Anfütterbrütling brauchen die Hoffnungsträger monatelang vor allem eins: reinstes, sauerstoffreiches, sanft fließendes Quellwasser. Das kommt bei Veitingers aus einer eigenen Quelle. Und Fürsorge: Kranke Tiere und leere Eihüllen müssen entnommen, der Wasserzufluss und die Futterdosis laufend kontrolliert werden. Nach einem Jahr sind sie gerade mal so groß wie eine Sardine, und bis die Kleinen mit mindestens 30 Zentimetern ausgewachsen sind und den gewünschten Nachwuchs zum Auswildern zeugen, werden insgesamt drei bis fünf Jahre ins Land gehen. Weshalb die Forellen-Patenschaften auch von vornherein über fünf Jahre abgeschlossen werden.

Damit das Warten aber nicht so lange wird, sollen an die beteiligten Kommunen schon bald symbolisch ein paar Exemplare der neuen Generation verteilt werden, verspricht der Vorsitzende der Hegegemeinschaft Vlado Pajurin: „Dann kriegt jeder Bürgermeister eine Tüte mit Fischen in die Hand gedrückt, zum Aussetzen.“ Und notfalls kann man ja immer mal bei Veitingers vorbeischauen zum Forellenstreicheln, so wie Bernhard Bühler. Jeder kann zu einem guten Ergebnis beitragen.

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Erstellt:
2. März 2020, 06:00 Uhr

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