Proteste 2024

Als die Bauern ihren Mist in Stuttgart abluden

Dass eine Ampel symbolisch am Galgen hing, war Anfang 2024 für manche noch das Geringste. Haben die Bauern mit dem Sturz der Regierung im Kampf gegen Bürokratie und Abgaben gesiegt? Und wie geht es mit ihrer Bewegung weiter?

Bauern attackierten Grüne Politiker am Aschermittwoch 2024 in Biberach an der Riss  – nicht nur symbolisch.

© dpa/Silas Stein

Bauern attackierten Grüne Politiker am Aschermittwoch 2024 in Biberach an der Riss – nicht nur symbolisch.

Von Michael Maier

Was bleibt von den großen Bauernprotesten vor einem Jahr? Was zum Jahreswechsel 2023/2024 als Reaktion auf geplante Kürzungen im Agrarsektor begann, entwickelte sich zu einer imposanten Protestbewegung, die Eindruck machte – Traktorenmassen in Berlin und Misthaufen in der Landeshauptstadt Stuttgart inklusive.

Höhepunkt, aber gleichzeitig auch eine Art Schlusspunkt war am 30. Januar 2024 ein großer Protesttag, unter anderem mit 1000 Traktoren auf dem Cannstatter Wasen und einer improvisierten Autobahnblockade auf der A81 bei Sulz am Neckar (Kreis Rottweil).

Bauern-Attacken auf Grüne in Biberach

Zu dramatischen Szenen mit einem radikalisierten harten Kern wütender Landbewohner kam es noch einmal am Aschermittwoch, 14. Februar in Biberach an der Riss. Nach den dortigen Ausschreitungen mit tätlichen Angriffen auf Politiker der Grünen ebbte die Bewegung dann aber nach und nach ab.

Etliche Militante aus dem Umfeld der erbosten Landwirte wurden inzwischen rechtskräftig für die anti-grünen Übergriffe zu Geldstrafen in vierstelliger Höhe verurteilt – unter anderem ein Lehrer und Nebenerwerbslandwirt wegen Landfriedensbruch zu 80 Tagessätzen à 50 Euro. Da es aber weniger als 90 Tagessätze sind, gilt der Mann nicht als vorbestraft und kann grundsätzlich weiter unterrichten.

Teilweise hatte man den Teilnehmern der landesweiten Bauernproteste auch eine Nähe zur Querdenker-Szene oder die Verwendung von ultrarechten Symbolen vorgeworfen – etwa die schwarze Fahne der Bauernbewegung Landvolk aus den 20er und 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Ampel am Galgen – und jetzt weg

Dass eine Ampel symbolisch am Galgen hing, war Anfang 2024 für manche Radikale noch das Geringste und kam vielerorts vor: vom Bodenseee bis in den Nordschwarzwald. Inzwischen hat sich der von den Bauern damals geforderte Sturz der Ampelregierung tatsächlich vollzogen – wenn auch nicht durch äußeren Druck, sondern wegen ständiger interner Querelen.

Entsprechend befriedigt zeigte sich Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied Ende des Jahres bei einer Mitgliederversammlung in Fellbach: „Deutschland braucht endlich eine stabile und handlungsfähige Regierung, auch um die bedeutende Rolle in Europa nicht zu verlieren. Wir benötigen einen echten Kurswechsel in der Politik und eine Agenda, wie unsere Unternehmen wieder wettbewerbsfähig gemacht werden können. Unser Land benötigt ein Signal des Aufbruchs“, so Rukwied.

Bauern zahlen für Haushaltsloch der Ampel

Auslöser der Proteste war die Haushaltskrise nach dem Verfassungsgerichtsurteil Ende 2023, als der Bundesregierung plötzlich 60 Milliarden Euro im Budget fehlten. Die geplanten Einsparungen - insbesondere die Streichung der Agrardiesel-Subventionen und der Kfz-Steuerbefreiung - hätten die Landwirte mit etwa einer Milliarde Euro belastet. Dies führte zu massiven Protesten, die alle Bereiche vereinten – von kleinen Familienbetrieben bis zu großen Agrarunternehmen.

Aufsehen gab es unter anderem am 8. Januar 2024 in Schlüttsiel (Schleswig-Holstein), als militante Bauern über die Stränge schlugen und den grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck vorläufig am Verlassen einer Fähre hinderten. Halb Deutschland geißelte daraufhin die Proteste als mutmaßliche „Gefährdung der Demokratie“. Eine kleine Minderheit fühlte sich durch die Attacken auf das symbolische Feindbild Habeck erst recht angespornt.

Bilanz der Bauernproteste

Der Deutsche Bauernverband wertet die Protestaktionen trotz aller Wallungen unter dem Strich als Erfolg. Die Bewegung schuf eine nie dagewesene öffentliche Aufmerksamkeit für die Belange der Landwirtschaft und wirkte laut dem Verband sogar als Katalysator für ähnliche Proteste in ganz Europa.

Die Ampelregierung lenkte daraufhin teilweise ein: Die Kfz-Steuerbefreiung blieb erhalten, während die Agrardiesel-Subventionen schrittweise abgebaut werden sollen. Eine unionsgeführte Bundesregierung ab Februar oder März könnte daran womöglich noch einmal rütteln, obwohl bislang nichts Konkretes in diese Richtung bekannt geworden ist.

Agrarpaket für aufsässige Landwirte

Als Kompensation für die Landwirte wurde von der Ampel zudem ein Agrarpaket geschnürt, das unter anderem Bürokratieabbau verspricht und eine steuerliche Ermittlung von Durchschnittsgewinnen über mehrere Jahre ermöglicht. Ausreißer durch gute und schlechte Ernten werden dadurch besser verteilt.

Allerdings kritisieren viele Landwirte, dass das Paket hinter den Erwartungen zurückbleibe. So auch die Vereinigung „Land schafft Verbindung“ (LsV), deren Ziele weiter gehen als beim CDU/CSU-dominierten Bauernverband.

Landwirt Marc Berger von LsV kritisierte gegenüber dem SWR, dass die bürokratischen Hürden nach wie vor viel zu groß seien. „Unter dem Strich hat sich für uns eigentlich nichts verändert“, gab sich der Bauer aus Bad Liebenzell ernüchtert.

EU kippte den „Green Deal“

Die Proteste zeigten indes auch auf europäischer Ebene eine gewisse Wirkung. Nach massiven Demonstrationen in mehreren Ländern setzte die EU-Kommission unter Ursula von der Leyen (CDU) wichtige Teile des „Green Deals“ aus – zum Ärger von manch grün angehauchten Politikern in allen Parteien. Hier konnten sich die Bauern mit ihrer Entschiedenheit also gegen gut organisierte Konkurrenz-Lobbys durchsetzen.

Ein Jahr später bleiben aber viele zentrale Forderungen bestehen. Der Bauernverband drängt weiterhin auf eine Angleichung der Dieselbesteuerung an den europäischen Durchschnitt und einen konsequenteren Bürokratieabbau. Auch die Reform des Tierschutzgesetzes in Deutschland steht noch aus und wird wohl erst von der nächsten Bundesregierung angegangen, wenn sie sich überhaupt durchsetzen lässt.

Schlagkraft der Bauern

Trotz der gemischten Bilanz haben die Proteste eines deutlich gemacht: Die Landwirtschaft hat ihre politische Schlagkraft bewiesen und sich als gesellschaftlicher Akteur positioniert. Die Stimmen der Bauern seien gehört worden, auch wenn nicht alle Forderungen erfüllt seien, meint der Bauernverband in einer Pressemitteilung. Der Dialog zwischen Politik und Landwirtschaft habe sich intensiviert, und das Bewusstsein für die Herausforderungen der Branche sei gewachsen.

Aktuell plant der Verband offenbar keine großen Protestaktionen mehr, betont aber, dass die Umsetzung der Zusagen genau beobachtet werde. Dass vielleicht von freischwebenden Elementen oder von „Land schafft Verbindung“ im Bundestagswahlkampf noch der eine oder andere Akzent gesetzt werden könnte, lässt sich jedoch nicht völlig ausschließen, denn tief sitzt beim einen oder anderen noch die Wut auf Grüne und Brüssel, glauben Kenner des Landlebens.

Wieder Bauernprotest zum Einjährigen?

In Südbaden gab es kürzlich wieder „Mahnwachen“ zur Erinnerung an 2024, während Landwirte im benachbarten Frankreich ohnehin schon seit Jahrzehnten immer wieder aufs Neue rabiat auf die Barrikaden gehen.

Jüngster Anlass ist hier der Ärger über das umstrittene Freihandelsabkommen mit dem Mercosur in Südamerika, das von der EU auch als Gegengewicht zu Trump und seinen Zoll-Ideen mit hoher Priorität angestrebt wird. Potenziell gut für Verbraucher, Industrie und internationale Zusammenarbeit – für die Landwirtschaft im Ländle und den Regenwald am Amazonas dagegen eher problematisch.

Dass zum Jahrestag am 30. Januar noch einmal Misthaufen vor dem Intercontinental-Hotel an der B14 in Stuttgart abgeladen werden, ist unterdessen eher unwahrscheinlich. Zu nah haben die Bauern in Baden-Württemberg und ganz Deutschland wohl die mögliche Wahl eines konservativen Agrarministers und die Chance auf weitere Zugeständnisse vor Augen.

Özdemir und die Bauern

Die Nachfolge von Amtsinhaber Cem Özdemir (Grüne) ist aber bislang noch offen. Er will bekanntlich nach der Landtagswahl 2026 Ministerpräsident von Baden-Württemberg werden und hatte im Rahmen der Bauernproteste genug Courage, um mehrfach bei Veranstaltungen einer empörten Menge gegenüber zu treten und seine Politik zu verteidigen, während er gleichzeitig ein gewisses Verständnis für die Anliegen der Protestierer äußerte. Bei Freund und Feind hat Özdemir dadurch eindeutig an Profil gewonnen.

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Erstellt:
23. Januar 2025, 08:42 Uhr
Aktualisiert:
23. Januar 2025, 20:19 Uhr

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