MHP Arena, SSB-Betriebshof, Mobility-Hub
Bei diesen Stuttgarter Bauprojekten wurde zirkulär gebaut
Bauen heißt zerstören – außer man baut möglichst ressourcenfreundlich und zirkulär. Wie Architekten in Stuttgart mit innovativen Projekten vom Stadion bis zum Kaufhaus helfen, die miese CO2-Bilanz der Baubranche zu verbessern.
Von Nicole Golombek und Tomo Pavlovic
In Straubenhardt steht ein wunderschönes Depot aus Baumaterial, das zurzeit als Feuerwehrhaus seinen Dienst tut. Der Mix aus Streckmetall, Beton, Glas und ausgedienten Lösch-Schläuchen (als Kleideraufhängung) könnte jederzeit auseinandergebaut und anderweitig wieder verwendet werden. Mit Auszeichnungen gelobt dafür wurde das Stuttgarter Büro Wulf Architekten – und die mutige Bauherrin, die Stadt Straubenhardt südwestlich von Pforzheim gelegen.
Sie ließ sich auf das Wagnis des sogenannten Cradle-to-Cradle ein, wobei möglichst recycelte, emissionsarme und nachwachsende Materialien so verwendet werden, dass sie mit wenig Aufwand auseinandergebaut und weiterverwendet werden können. Sich derlei Gedanken zu machen, wie der CO2-Verbrauch zu senken ist, wird die nachfolgende Generation danken. Denn Bauen und Wohnen zählt zu den CO2-intensivsten Bereichen überhaupt. Vom jährlich anfallenden Bauschutt ganz zu schweigen, fallen in Deutschland an die 400 Millionen Tonnen Müll an.
Gebäude so entwerfen, dass sie anständig rückgebaut werden können ohne Abfall zu produzieren und die möglichst im Gebrauch CO2-neutral funktionieren, wie etwa auch die mehrfach ausgezeichnete Wohnsiedlung in Stuttgart-Bad Cannstatt von Werner Sobek Aktivhaus, ist ein Credo, dass Architekten und Ingenieure wie Sobek seit Jahrzehnten predigen und praktizieren.
Büros wie In situ und Zirkular in der Schweiz tun dies seit Jahrzehnten, sie blicken auf 25 Jahre Engagement im Bereich des nachhaltigen Bauens zurück, haben Gebäude umgebaut ohne neuen Materialverbrauch, allein durch die Verwendung bereits bestehender Baustoffe. In Hannover wiederum wohnen Mieter seit einigen Jahren in einem Einfamilienhaus, das auf einem Restgrundstück komplett aus Abfällen neu gebaut wurde – und das dabei die auch formal beste Figur abgibt in dem Neubauviertel in Niedersachsens Hauptstadt.
Das ist unter den Verfechtern des nachhaltigen Bauens die Königsdisziplin: Bauen ohne neue Baustoffe herstellen zu müssen. Das freilich ist nicht immer möglich, aber Umbau im Bestand wird immer häufiger dem Abriss und Neubau vorgezogen. So wie etwa am Stuttgarter Marktplatz. Da wartet das zum Beton-Skelett zurückgebaute ehemalige Bekleidungshaus Breitling, das vom Stuttgarter Büro asp Architekten in ein Haus des Tourismus umgebaut wird, auf eine neue Hülle. Auch wenn nur noch wenig Bestand erhalten werden kann, spart man doch 60 Prozent – also eine Menge CO2.
Teile des Breuninger-Parkhauses werden anderswo eingesetzt
Und auf der anderen Seite der Stuttgarter Stadtautobahn namens B14 prangt eine Megabaulücke. Wer in den vergangenen Wochen den Abbau des Breuninger-Parkhauses verfolgt hat, konnte sehen, dass da der Glasmetall-Lift ziemlich vorsichtig abgebaut wurde. Teile des Aufzugs werden wieder verwendet, wie die Bauingenieurin Jana Nowak vom Büro knippershelbig berichtet, im Mobilitäts Hub von haascookzemmrich STUDIO2050, der an der Stelle entsteht und im Kinder- und Jugendhaus Regenbogenwald in Darmstadt von blrm Architekten und Architektinnen.
Beim Mobility Hub, der in Stuttgart entsteht, zudem bleibt der Betonparkraum im Untergeschoss erhalten. „Darüber wird der Hub in Holzbauweise mit Fahrradreparaturwerkstatt, Fahrradparkplätzen, einem Café, einem Restaurant und Supermarkt umgesetzt“, sagt der Architekt von haascookzemmrich STUDIO2050, Martin Haas. Beim Hub gelte die Maxime der Durchmischung von Nutzungen, damit das Gebäude dauerhaft bespielt wird und nicht stunden- und tagelang ungenutzt da steht, auch das ist ein Aspekt des nachhaltigen Bauens.
Kreislaufgerecht bauen in der Stuttgarter Königstraße
Das Stuttgarter Büro ist außerdem am Stuttgarter Hauptbahnhof aktiv, in der Königstraße 1a/b. Es konnte mit seinem Ansatz, so viel wie möglich im Bestand umzubauen, das Dach zu begrünen, die Aufstockung in Holzbauweise zu planen, die Bauherren überzeugen. Die LBBW Immobilien-Gruppe revitalisiert das Schlossgartenquartier in der Innenstadt.
Stuttgarter Bauprojekte, bei denen alte Stoffe wieder verwendet werden:
- Königstraße 1a/b/c
- MHP Arena Bad Cannstatt
- Betriebshof Bad Cannstatt
- Mobilitäts-Hub an der B14 beim Breuninger Parkhaus
- SSB-Busbetriebshof Gaisburg
Dort werden dann Teile des Altbaus, die wieder verwertet werden sollen, in der Tiefgarage zwischengelagert. Denn sobald Material eine Baustelle verlassen würde, gälte es als Sondermüll und wäre nicht mehr einsetzbar. Den Start macht die Königstraße 1c durch das Münchner Architekturbüro Oliv: In Zusammenarbeit mit der auf das Thema spezialisierten Firma Concular werden im Sinne des zirkulären Bauens die Baumaterialien aus dem ehemaligen Kaufhaus noch während des Rück- und Umbaus weitervermittelt – von Geländern und Schaufenstern bis zu Pfosten-Riegel-Konstruktionen oder Rolltreppen.
Abgebrochener Beton aufgearbeitet und wieder im selben Gebäude an anderer Stelle eingesetzt wurde kürzlich zudem durch asp Architekten bei der 140 Millionen Euro teuren Erweiterung der MHP-Arena in Stuttgart Bad-Cannstatt. Neben der Haupttribüne wurden das Businesscenter, die Umkleiden, die VIP-Lounges grundlegend saniert und mehr Raum geschaffen.
Und beim Betriebshof in Bad Cannstatt wurde unbehandeltes Material, das leichter rezyklierbar ist, verwendet sowie ressourcenschonender Beton wieder eingesetzt. Das Büro plant derzeit zudem gemeinsam mit LXSY Architekten in Berlin einen Pavillon ganz im Geiste des zirkulären Bauens mit recycelten Materialien und Bauteilen sowie mit lokalen, nachwachsenden Rohstoffen.
Beim Neubau des SSB-Busbetriebshofs in Stuttgart-Gaisburg nach einem Entwurf des Stuttgarter Ingenieurbüros schlaich bergermann partner wird Holz zum Einsatz kommen,das Dachtragwerk soll eine filigrane, materialsparende Konstruktion werden, die seitlichen Außenwände werden als Sichtmauerwerk mit wiederverwendeten Mauerwerksziegeln geplant, sie sind begrünt, ebenso wie die Holzdachflächen.
Je ökologischer ein Gebäude geplant und umgebaut wird, desto stärker könnte sich dies auf den Wert auswirken. Gebäude ohne „Gebäuderessourcenpass“ werden irgendwann nicht mehr weiterverkaufbar sein, prognostiziert der Stuttgarter Architekt und Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen, Martin Haas vom Büro haascookzemmrich STUDIO 2050. In so einem Gebäuderessourcenpass steht, was verbaut wurde; sollte das Gebäude zurück- oder umgebaut werden, kann das Material im Sinne des sogenannten Urban Mining als Rohstoffdepot dienen – und anderswo in neuer Gestalt weiter leben.
Info
Zirkulär bauenbedeutet so zu planen, dass Bauteile, Materialien, Gebäude weiterverwendet und wiederverwendet und so lange wie möglich im Baukreislauf gehalten werden. Bei Umbauten werden möglichst viele bestehende Strukturen, etwa der Rohbau eines Gebäudes erhalten. Gegebenenfalls werden Material und Bauteile, die sich schon im Kreislauf befinden, eingesetzt oder aufgearbeitet oder recycelt.
Einfach bauenheißt soviel wie: weg von komplizierten Details! Nur so viel Technik und Material einsetzen, wie unbedingt nötig, dafür müssen allerdings auch die Bauherren umdenken.
Gebäude-Ressourcenpass Architekten fordern, so einen Pass als verbindliche Leistung zu installieren, davon profitiert auch der Bauherr, der dann weiß, was in seinem Gebäude verbaut – und was er wieder verwenden und verkaufen kann.
Bauteillager Wichtig wäre das Schaffen von Material-Hubs, Lager wie in einem Baumarkt. Bei kontrolliertem Abbau von Gebäuden könnte man die Bauteile einzeln aufnehmen und in einem Materiallager sammeln, über eine Bauteil-Börse auf eine Plattform stellen und so wieder für andere Projekte in den Verkehr bringen.