Das erste Wasserstoffmüllauto ist startklar
Die Murrhardter Firma Schäf wird ab 2024 ein Abfallsammelfahrzeug mit einem Wasserstoff-Brennstoffzellenantrieb einsetzen. Diese Premiere im Kreis ist ganz im Sinn ihres Auftraggebers, der Abfallwirtschaft Rems-Murr, und des Landkreises, der alternative Technologien fördern will.
Von Christine Schick
Murrhardt. Wenn Oliver Härer mit dem nagelneuen Abfallsammelfahrzeug, dessen Antriebstechnik wasserstoffbasiert läuft, unterwegs ist, fällt ihm vor allem eins auf: „wie leise es ist“. Bei einer Runde über die Landesstraße1066 nahe des Standorts von Schäf Städtereinigung in der Murrhardter Weststadt ist von innen sogar zu hören, wie der mächtige 18-Tonner durch die Pfützen rollt, was bei einem herkömmlichen Müllauto völlig untergehen würde. Der Werkstattmeister ist einer der drei Mitarbeiter, die das neue Fahrzeug mit Wasserstoff-Brennstoffzellentechnik ab dem kommenden Jahr fahren werden. Er ist gespannt, wie es sich im Alltag und auf den oft hügeligen Strecken schlagen wird. Maximal lassen sich neun Tonnen an Abfall auf der jeweiligen Tour zusätzlich einsammeln. Eingesetzt werden soll das erste Wasserstoffmüllfahrzeug mit Brennstoffzelle im Rems-Murr-Kreis in Murrhardt, Backnang und Winnenden, erklärt Geschäftsführer Edgar Schäf. Ein Fixpunkt bei der Streckenplanung ist die Wasserstofftankstelle in Fellbach, und die lässt sich auf dem Weg zur Abladestelle für Biomüll in Stuttgart-Münster sozusagen gut mitnehmen, erläutert der Seniorchef.
Technologieoffenheit und Erprobung
Bei der Präsentation des neuen Gefährts, zu der unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von Land, Kreis und der Abfallwirtschaft Rems-Murr gekommen sind, steht ihm Landrat Richard Sigel sozusagen zur Seite. Nach dem Einfahren mit Musik und filmreifem Premierennebel steigen Schäf und Sigel aus dem Fahrzeug. Die große Bühne passt für den Landrat. Er freut sich, dass in Murrhardt nun der Startschuss für das erste wasserstoffbetriebene Müllfahrzeug fällt. „Es sind einfach verschiedene Bausteine, die sich nach und nach zusammenfügen müssen“, sagt er später. Sigel erinnert daran, dass der Kreis 2020 früh seine Wasserstofftechnologie auf den Weg gebracht hat und so gezeigt habe, am Puls der Zeit zu sein. Weitere Stichworte sind die bald eröffnungsreife Wasserstoffwerkstatt an der gewerblichen Schule in Backnang und die Ausschreibungen für die Wasserstofftankstelle in Waiblingen. „Wenn wir es mit der Technologieoffenheit ernst meinen, müssen wir die Dinge ausprobieren.“
Edgar Schäf macht klar, dass auch er als Unternehmer in Bezug auf diese Zielsetzungen nicht zurückstehen wollte. „Wir hatten den Wunsch, etwas für die Umwelt zu tun“, sagt er. Die Investition ist keine kleine, im Wasserstoffmüllauto stecken etwa „zwei Einfamilienhäuser“. Insofern hieß es auch, sich um Fördermittel des Bundes zu kümmern. Die Anschaffung wird in Bezug auf die Mehrkosten im Vergleich zu einem konventionellen Fahrzeug beziehungsweise Antrieb zu 80 Prozent unterstützt. Auch für Edgar Schäf ist die Frage, wie sich das wasserstoffbetriebene Müllauto bewährt angesichts teils steiler Strecken, einer möglicherweise kälteempfindlichen Elektronik und einer nicht um die Ecke gelegenen Tankstelle in Fellbach. Um diese konkrete Erprobung für den ländlichen Raum gehe es, sagt Schäf. Der Einsatz des Fahrzeugs
in diesem Sinn ist auch als Premiere für Baden-Württemberg zu sehen. „Ich danke Ihnen für Ihren Mut“, sagt Jochen Haußmann, der für die FDP im Landtag sitzt, an den Unternehmer gewandt und schließt dabei auch den Kreis mit ein. Wer es mit der Energiewende ernst meine, müsse auch in die konkrete Umsetzung gehen.
Mit Fragen der Erprobung beziehungsweise Begleitung in Bezug auf die Technik hat vor allem auch Henning Eggers zu tun. Er ist Diagnosetechniker bei der Firma Faun, die gemeinsam mit Enginius als Fahrzeughersteller verantwortlich zeichnet. Der Kfz-Mechatroniker-Meister hat die Einführung sowie Schulung der Fahrer bei Schäf übernommen und wird gerufen, wenn es technische Probleme gibt. Zurzeit deckt er dabei Baden-Württemberg, Thüringen und Bayern ab. „Die meisten Fahrzeuge sind in Berlin und im Ruhrpott unterwegs“, berichtet er. Baden-Württemberg kommt zurzeit mit neun Wasserstoffmüllautos in Freiburg, zwei in Stuttgart und mit dem in Murrhardt auf zwölf Exemplare. Insofern bestätigt er auch, dass der Einsatz des Fahrzeugs im Rems-Murr-Kreis der erste im explizit ländlichen Raum ist. Was die Betankung mit Wasserstoff anbelangt, wäre im Kontext der Abfallwirtschaft für ihn eine Art Kreislaufmodell denkbar: Mithilfe der Müllverbrennung auf einer Deponie ließe sich Strom herstellen, der wiederum zur Produktion von Wasserstoff verwendet werden könnte. Nach einer groben Einschätzung seien die Betriebskosten eines Wasserstoffmüllautos im Vergleich zu einem herkömmlichen aber vergleichbar. Der entscheidende Unterschied ist der Antrieb, der als Hybridvariante umgesetzt ist. In den Brennstoffzellen wird aus der Reaktion von Wasserstoff und Sauerstoff Energie gezogen, mit der die Batterie für das Auto aufgeladen wird. Zurück bleiben keine CO2-Emissionen, sondern nur Wasser, vorausgesetzt der Wasserstoff ist entsprechend grün hergestellt.
Fahrzeug Das Wasserstoffabfallsammelfahrzeug mit Brennstoffzelle verfügt über eine Batterie mit 85 Amperestunden. An der einen Flanke des Wagens sitzen vier Wasserstofftanks und gegenüber zwei Brennstoffzellen mit je 30 Kilowatt Leistung. Getankt werden können 16 Kilogramm Wasserstoff. Je nach Geländebedingungen reicht eine Tankfüllung für eine Strecke von etwa 150 bis 180 Kilometern.
Die Kosten für das Fahrzeug belaufen sich auf rund 880000 Euro, das sind ungefähr 550000 Euro mehr als für ein herkömmliches, somit werden 80 Prozent letzterer Summe mit Fördergeldern bezuschusst. Schäf Städtereinigung ist mit seiner rund 70 starken Fahrzeugflotte im Rems-Murr-Kreis und im Kreis Schwäbisch Hall als Entsorgungsdienstleister unterwegs.
Quoten Nach dem Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz müssen bis 2025 zehn Prozent der Müllautos mit alternativen Antrieben (ohne CO2-Emissionen) ausgestattet sein, wie Marcus Siegel, Vorstandsvorsitzender der Abfallwirtschaft Rems-Murr, berichtet. 2030 sollen es 15 Prozent sein. Höher sind die Quoten bei den Linienbussen, dort liegt 2025 die Marke bei 45 Prozent, fünf Jahre später bei 60 Prozent.