Entwicklungen in Syrien

Der große Gewinner heißt Erdogan

Mit dem Ende des Assad-Regimes in Syrien wächst der Einfluss der Türkei im Nahen Osten. Damit Staatschef Erdogan seine neue Macht voll ausschöpfen kann, braucht es jedoch Stabilität in dem vom Bürgerkrieg verwüsteten Nachbarland.

Syrische Familien kommen am Cilvegozu-Grenzübergang in der Nähe der südtürkischen Stadt Antakya an, um von der Türkei nach Syrien zu gelangen.

© dpa/Metin Yoksu

Syrische Familien kommen am Cilvegozu-Grenzübergang in der Nähe der südtürkischen Stadt Antakya an, um von der Türkei nach Syrien zu gelangen.

Von Gerd Höhler

Nach dem Sieg der syrischen Rebellen über die Assad-Dynastie, die Syrien seit 1970 beherrschte, ist die Türkei unversehens zur einflussreichsten ausländischen Macht in Syrien geworden. Aber ob es Staatschef Recep Tayyip Erdogan gelingen wird, die weitere Entwicklung in dem von einem 13-jährigen Bürgerkrieg zerrissenen Land zu steuern und zu stabilisieren, ist ungewiss.

Elf Jahre war der Schlagbaum geschlossen, jetzt hebt er sich: Der türkisch-syrische Grenzübergang Yayladagi ist wieder geöffnet. Tausende syrische Flüchtlinge strömten am Dienstag über die Grenze aus der Türkei zurück in ihre Heimat. Auch am Übergang Öncüpinar herrschte Hochbetrieb. Familien schleppten ihre Habseligkeiten mit sich. Bevor sie syrischen Boden betraten, gaben sie den türkischen Grenzpolizisten ihre Aufenthaltsgenehmigungen zurück.

3,5 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei

Mit dem Exodus beginnt sich bereits eine große Hoffnung Erdogans zu erfüllen. Die Türkei beherbergt 3,5 Millionen syrische Flüchtlinge. Sie sind zunehmend unbeliebt. Viele Türken sehen in ihnen unliebsame Konkurrenten im Wettbewerb um Jobs, Wohnraum und Sozialleistungen. Das führt zu immer größeren sozialen Spannungen. Sie waren eine der Ursachen für die massiven Stimmenverluste der Erdogan-Partei AKP bei den Kommunalwahlen in diesem Frühjahr. Kehrten jetzt die Flüchtlinge wirklich zu Hunderttausenden oder gar Millionen zurück, wäre das nicht nur ein großer innenpolitischer Erfolg für Erdogan. Auch der Migrationsdruck an den EU-Außengrenzen würde zurückgehen.

Erdogan spielte beim Sturz des Machthabers in Damaskus eine Schlüsselrolle. Die syrischen Rebellen hatten die türkische Regierung schon vor sechs Monaten über die Pläne zu einer Großoffensive informiert und aus Ankara grünes Licht bekommen, berichten türkische Medien. Jetzt wird es darauf ankommen, ob das Land nach dem Zusammenbruch des Regimes stabilisiert werden kann oder noch tiefer ins Chaos versinkt. Bis zur vergangenen Woche waren Russland und der Iran die einflussreichsten ausländischen Mächte in Syrien. Das ist vorbei. Russland, seit Jahrzehnten mächtigster Schutzherr des Assad-Regimes, konnte oder wollte den syrischen Machthaber nicht retten. Assads andere Verbündete, der Iran und die Hisbollah, sind durch den Krieg mit Israel geschwächt.

Türkei bekämpft Milizen der kurdischen YPG

Umso mehr kommt es nun auf die Türkei an. Erdogan hat eigene Interessen in Syrien: Seit 2016 geht die Türkei im Norden Syriens militärisch gegen Milizen der kurdischen YPG vor, den syrischen Ableger der kurdischen Terrororganisation PKK. Das türkische Militär hält große Teile der Region besetzt, um zu verhindern, dass die syrischen Kurden an der Grenze zur Türkei eine Autonomiezone schaffen.

Erdogan unterstreicht seit Tagen immer wieder, die Türkei habe es nicht auf syrisches Territorium abgesehen. Es gehe ihr nur darum, „unsere Heimat vor Terrorangriffen zu schützen“. Er wünsche sich ein „vereintes Syrien“ mit einer „inklusiven“ Regierung. Damit verbindet er auch die Hoffnung auf gute Geschäfte. Die Türkei könnte künftig zum wichtigsten Wirtschaftspartner Syriens werden. Bisher waren das Russland, der Iran und China. An der Istanbuler Börse sind die Aktien der großen Bauunternehmen im Höhenflug. Die Anleger spekulieren auf Großaufträge beim Wiederaufbau des vom Bürgerkrieg verwüsteten Nachbarlandes. Das käme auch Erdogan gelegen. Die großen Bauunternehmer sind eng mit der Regierung verbandelt und wichtige Finanziers für Erdogans Wahlkämpfe.

Was entwickelt sich der sogenannte Islamische Staat?

Die Türkei ist also an Stabilität interessiert. Nur dann kann Erdogan seine neue Macht voll ausspielen. Eine offene Frage ist, ob der sogenannte Islamische Staat (IS), der in Syrien immer noch einige Landesteile kontrolliert, nun wieder erstarkt.

Trotz aller Ungewissheiten strotzt der türkische Staatschef, der ohnehin nie durch falsche Bescheidenheit aufgefallen ist, nur so vor Selbstbewusstsein. Bei einer Veranstaltung im südostanatolischen Gaziantep erklärte er, es gebe jetzt „nur noch zwei Führer in der Welt, mich und Wladimir Putin“. Alle anderen seien „eliminiert“ worden.

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Erstellt:
10. Dezember 2024, 16:08 Uhr

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