TV-Produktionsbranche rechnet mit ersten Insolvenzen

Der „Tatort“ kostet nun zwei Millionen Euro

Die deutsche Produktionsbranche klagt über massive Auftragseinbrüche und rechnet bald mit ersten Insolvenzen. Für die weitere Entwicklung wichtig: Werden die Länder einer Erhöhung des Haushaltsbeitrags zustimmen? Und welchen Effekt wird die Reform der Filmförderung haben?

Dreharbeiten vor zehn Jahren , wie hier  für den MDR-Tatort „Türkischer Honig“, waren viel günstiger als heutzutage.

© MDR/Saxonia Media/Junghans

Dreharbeiten vor zehn Jahren , wie hier für den MDR-Tatort „Türkischer Honig“, waren viel günstiger als heutzutage.

Von Tilmann P. Gangloff

Produzenten klagen immer, lästert man in den Sendern gern. Derzeit wären solche Bemerkungen jedoch nicht angebracht: Viele der rund 375 Mitgliedsunternehmen, teilt die Produktionsallianz mit, „berichten von massiven Auftragsrückgängen“. Gerade von den kleineren Firmen, die ebenso wie die großen ihren Teil zu filmischen Vielfalt beitragen, werden wohl einige auf der Strecke bleiben. Eine der Ursachen ist die Kostenentwicklung.

Vor zehn Jahren, erzählt ein erfahrener ARD-Redakteur, habe ein „Tatort“ noch 1,5 Millionen Euro gekostet, mittlerweile nähere man sich der Zwei-Millionen-Marke. Inflation, Tariferhöhungen, „Green Producing“: All das treibe die Ausgaben in die Höhe. Außerdem habe Qualität ihren Preis: „Einen ausgezeichneten Kameramann kriegen Sie nicht für den Tariflohn.“ Eine weitere Herausforderung sei der digitale Transformationsprozess, also die Verlagerung vom linearen Fernsehen in die Mediathek: „Einzelstücke lösen geringere Impulse aus als Reihen und Serien, also werden mehr Serien produziert. Serien sind aber teurer als Fernsehfilme. Dieses Geld muss irgendwie eingespart werden. Wenn es nicht zu einer Beitragserhöhung kommt, werden wir noch stärker in der Bredouille stecken.“

Kurzfristige Absagen

Der Markt, fasst Björn Böhning, Geschäftsführer der Produktionsallianz, die allgemeine Stimmung zusammen, „wird durch große Unsicherheit und Zurückhaltung beherrscht. Viele Produktionen werden auf die lange Bank geschoben. Dazu kommen jährliche Kostensteigerungen von mindestens 6 Prozent, die kaum refinanziert werden können“. Wirtschaftlich starke und breit aufgestellte Produktionsfirmen können mit dieser Herausforderung besser umgehen als kleine Unternehmen. Für sie stelle die derzeitige Entwicklung eine existenzielle Bedrohung dar, sagt Uli Aselmann, Geschäftsführer der film GmbH: „Die großen Firmen können ihre Umsätze auf andere Aktivitäten verschieben, aber wir sind auf Kino- und Fernsehfilme spezialisiert, wir können nicht plötzlich anfangen, Entertainmentformate zu entwickeln und zu produzieren.“

Als Sky im Sommer 2023 ankündigte, keine deutschen Filme und Serien mehr in Auftrag zu geben, war das für die gesamte Branche ein Schock. Zu Beginn dieses Jahres folgte Paramount+. Einige Produktionen waren bereits in Auftrag gegeben worden und wurden kurzfristig abgesagt. Im inoffiziellen Gespräch schieben die Sender den Schwarzen Peter prompt den Streamingdiensten zu. Eine Netflix-Sprecherin versichert jedoch: „Wir investieren seit vielen Jahren massiv in deutschsprachige Filme, Serien sowie Non-Fiction-Programme und werden das auch in Zukunft tun.“ Amazon teilt mit, man habe das Auftragsvolumen für deutsche Prime-Video-Produktionen über die letzten Jahre kontinuierlich gesteigert.

Vorhersagen kann keiner machen

Im Vergleich zur enormen Menge öffentlich-rechtlicher Aufträge wirkt die Anzahl der Streaming-Produktionen allerdings überschaubar. Auch die Privatsender spielen als Auftraggeber eine große Rolle. Ein Vertreter von ProSiebenSat.1 lässt mitteilen, für die kommende TV-Saison produziere die Gruppe „mehr fiktionale Programme als in den vergangenen fünf Jahren zusammen“. RTL, sagt ein Sprecher, habe die Zahl der Aufträge ebenfalls nicht verkleinert: „Wir konnten unsere großen Investitionen in Programminhalte in den vergangenen Jahren trotz erheblicher wirtschaftlicher Herausforderungen steigern und verstetigen.“

Auch beim ZDF, heißt es, zeige sich aktuell kein Auftragsrückgang. Das Volumen an Auftragsproduktionen, Koproduktionen und Kofinanzierungen habe in den letzten Jahren vielmehr zugenommen. Thomas Schreiber, Geschäftsführer der ARD-Tochter Degeto, räumt immerhin ein, angesichts massiver Kostensteigerungen habe man die Zahl der Donnerstags- und Freitagsfilme reduzieren müssen.

Wie es weitergeht, kann niemand vorhersagen. Die Entwicklung hängt an zwei Fragen: Werden die Länder einer Erhöhung des Haushaltsbeitrags zustimmen? Und welchen Effekt wird die Reform der Filmförderung haben? Der Filmstandort Deutschland, betont Björn Böhning, brauche die Reform „als Gesamtstrategie mit Steueranreizmodell und Investitionsverpflichtung, sonst wird er dauerhaft vom internationalen Wettbewerb abgehängt“. Bislang gebe es für Netflix & Co. keinerlei Verpflichtung zur Beauftragung deutscher Produktionsunternehmen; „fair ist das nicht“.

Vieles muss sich ändern

Unterstützung erhält die Produktionsallianz von Helge Lindh, SPD-Obmann im Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag: „Internationale Streamingdienste machen Milliardenumsätze mit Abos in Deutschland, müssen den Großteil hier aber weder versteuern noch reinvestieren. Das muss sich ändern.“

Frankreich habe vorgemacht, welche Auswirkungen eine Investitionsverpflichtung habe: Das Produktionsvolumen von Netflix & Co. sei anschließend sprunghaft von 21 Millionen Euro auf 345 Millionen Euro gewachsen.

Entscheidender ist jedoch die öffentlich-rechtliche Gebührenfrage. Aselmann hat große Zweifel, ob die empfohlene Beitragserhöhung um 58 Cent pro Monat mit der nötigen Einstimmigkeit durchgewunken werde. Kleine Firmen, sofern sie größtenteils für ARD und ZDF produzieren, hingen daher „erheblich in der Luft“, ergänzt sein Kollege Benedik Böllhoff (Viafilm). Selbst eine Beitragserhöhung werde für manche zu spät kommen: „Es wird keinen öffentlichen Aufschrei geben, allenfalls eine Notiz in der Fachpresse. Kleine Unternehmen verschwinden eher still.“

Zum Artikel

Erstellt:
25. September 2024, 15:44 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen