Der Architekt Bernhard Hoetger im Porträt
Die außergewöhnlichen Häuser eines verfemten Architekturstars
Der Architekt Bernhard Hoetger war in vielem seiner Zeit voraus, doch nicht frei von wahnhaften Ideen. Eine Wiederentdeckung seiner interessantesten Häuser und Werke in Darmstadt, Worpswede und Bremen.
Von Nicole Golombek
Die Aussichten, in Paris als Künstler Erfolg zu haben, waren gleich Null. Aber der Kunststudent Bernhard Hoetger wagte es trotzdem. Der 26-Jährige hatte mit rund 50 Millionen anderer Menschen im Sommer 1900 in Paris die Weltausstellung bestaunt. Er hatte außerdem die Skulpturen von Auguste Rodin entdeckt. Ein lebensveränderndes Erlebnis. Hoetger schmiss hin und blieb einfach da.
Auf den 1874 in Hörde (der Ort gehört heute zu Dortmund) geborenen Westfalen, der nach seiner Ausbildung zum Holz- und Steinbildhauer 1897 an der Düsseldorfer Akademie aufgenommen worden war, hatte in Europas führendem Kunstzentrum natürlich keiner gewartet.
Doch „Hoetger ist immer aufs Ganze gegangen“, so sein Biograf Albert Theile. Er hatte kein Geld, sprach nicht französisch, er kannte keinen seiner französischen Kollegen, „aber das war ihm egal“, sagte der Kunstkritiker Louis Vauxcelles 1905 mit gewisser Bewunderung. Zitiert werden die beiden Herren in dem Dokumentarfilm „Bernhard Hoetger – zwischen den Welten“, der anlässlich des 150. Geburtstags Hoetgers gedreht wurde.
Architektonische Bauten in Worpswede
Die Hybris wurde belohnt. Schon bald stellt er Arbeiten in den angesagten Ausstellungen aus, erhält glänzende Kritiken, verkauft Zeichnungen und Skulpturen. Zierliche Ballerinen-Figuren entstehen, ein Dandy mit Hut, ein knochig mächtiger Seekerl, dynamisch windschief wie im Sturm sich fortbewegend.
Bernhard Hoetger „avanciert als Impulsgeber einer neuen frühexpressionistischen Künstlergeneration zur Pariser Avantgarde“. Das Zitat steht auf den Planen, welche derzeit die Sanierungsbaustelle seines Ausstellungshauses Kaffee Worpswede schützen. Denn Hoetger war nicht nur Bildhauer, er arbeitete auch als Architekt. Dass davon heute nur wenige wissen, hat weniger damit zu tun, dass Hoetger künstlerisch schwer einzuordnen ist – „nie habe ich einen Stil gewollt“, gab er zu Protokoll. Sondern eher mit seinen Wahnideen. Hoetger hat sich über die Jahrzehnte von politisch ziemlich links bis radikal rechts positioniert.
Ermöglicht hatte ihm seine Karriere die kunstsinnige Pariser Wirtin Madame Charlotte, die den zunächst erfolglosen Künstler mit Suppe versorgte und ihm ein Atelier anmietete. Ohne Glück geht es nicht. In Deutschland waren es später Wirtschaftsmagnaten, die ihn schätzten.
Der Keksfabrikant Hermann Bahlsen beispielsweise beauftragte Hoetger nicht nur, seine Söhne zu porträtieren, er sollte in Hannover eine Fabrik- und Angestelltenstadt im ägyptischen Stil zu errichten. Daraus wurde nichts. Der Kekschef starb 1919, und seine Erben fanden für das viele Geld offenbar andere Verwendung.
Keine ägyptisch anmutende Stadt, aber ein Museum
Gebaut hat Hoetger dennoch, vor allem in Worpswede, einem Dörfchen in Norddeutschland, idyllisch mit Moorlandschaft, das um die Jahrhundertwende zum Künstlerort wurde. Hier wirkten die Maler Paula Modersohn-Becker und Otto Modersohn sowie der Jugendstilkünstler Heinrich Vogeler.
Dass Worpswede heute noch so eine bildungsbürgerliche Pilgerstätte ist, in dem 100 Künstlerinnen und Künstler leben und arbeiten, liegt auch an Hoetgers Bauten. Beispielsweise an dem stilistisch sachlichen Museum Große Kunstschau oder auch an dem 18 Meter hohen expressionistischen Monumentaldenkmal mit abstraktem Adler für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs, dem 1922 eingeweihten Niedersachsenstein, gegen den die Worpsweder zunächst einen Baustopp erwirkt hatten, weil ihnen das Ganze zu gigantisch erschien.
Die Realisierung der außerordentlichen Bauten wurde von dem Bremer Kunstmäzen und Kaffeehändler Ludwig Roselius (1874-1943) unterstützt. Wie Hoetger war er ein Fan der Arbeiten von Paula Modersohn-Becker. Beiden gemeinsam war auch ein Schwärmen für völkische Gedanken, ein „mythisch überhöhtes Germanentum“, das sich ästhetisch in einem urtümlich verspielten Stil zeigte. Zu sehen bei dem an die Große Kunstschau angrenzenden Haus Kaffee Worpswede mit dem ausladenden Giebel und seinen wie handgezimmert krumm geschwungenen Balken, von 1925 bis 1927 mitten im Dorf entstanden.
Und auch bei seinem eigenen Wohnhaus, dem 1921 bis 1923 gebauten Hoetger Hof. Dieser Backsteinbau kommt fast ohne rechte Winkel oder irgendwelche Symmetrien aus „Ihn dürste nach einem ,reinigenden Bade im Urland’“, zitiert Bettina Vaupel in einem Artikel auf monumente.de den Künstler. Zahlende Gäste können heute in einer Wohnung im Hause Ferien im Urland machen.
Roselius ermöglichte ihm dann auch noch in Bremen das Projekt Böttcherstraße, Backsteinbauten im vornehmlich ornamental-expressionistischen Stil mit Werkstätten, Lichtbringerfiguren, samt Museum für Paula Modersohn-Becker. Der Besuch des einzigartigen Ensembles wird von keinem Kulturtouristen ausgelassen – ebenso obligatorisch ist der Besuch des Hauses für Paula Modersohn Beckers Werk, das heute das nach der Künstlerin benannte Museum beherbergt.
Die Malerin hatte überhaupt einigen Anteil daran, dass Hoetger von Worpswede hörte. 1906 besuchte sie das Pariser Atelier von Rodin und lernte dort Hoetger kennen. Sie schwärmte ihm von dem magischen Ort vor, er wiederum bestärkte sie in ihrer Kunst.
Vor Worpswede aber rief 1911 der Adel nach Darmstadt. Großherzog Ludwig von Hessen verschaffte ihm eine Professur. In dem Film sieht man den Schauspieler Moritz Führmann als Bernhard Hoetger über die ihn offenbar wenig inspirierende Stadt lästern. Für Ausstellungen in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe hatte er Plakate geschaffen sowie eine Figurengruppe im Platanenhain.
Dann ging es doch gen Norden in jenes Dorf, wo so Künstler aller Sparten von einem besseren, freien Leben abseits der von Industrielärm und Dreck geprägten Städte träumten. Ebenso wie der Maler Heinrich Vogeler es mit dem Umbau einer Fischerhütte zum Künstlertreff mit Atelier namens „Barkenhoff“ seit 1900 vorgemacht hatte versuchte Hoetger sich dort von 1914 an als Gesamtkunstwerker. Kaufte ein Haus, baute es um, schuf einen Garten, baute am Dorfrand ein neues Haus, den schon erwähnten Hoetger Hof, als nordisch anmutende organisch verknarztes Gesamtkunstwerk.
Und der Künstler nutzte geschickt, was da war. Künstlerfreund Heinrich Vogeler nämlich war nach den erschütternden Erlebnissen im Ersten Weltkrieg vom Sozialismus begeistert und errichtete eine Art Kommune. Gemeinsam arbeiten und sich selbst versorgen, solche Sachen. Nach dem Scheitern des Projekts brach Vogeler gen Russland auf, er starb dort 1942, völlig mittellos.
Und Hoetger? Übernahm die Strukturen, die Werkstätten, die Mitstreiter und animierte sie dazu, für ihn zu arbeiten. Ein Menschenfänger. Kunst und Kunstgewerbliches wurde aber nicht nur irgendwo verkauft: Lange bevor es Museumsshops mit Impressionismus-Krawatten und Van-Gogh-Teetassen zu kaufen gab, richtete Hoetger neben Kunsthütten-Werkstätten ein Café ein, in dem die Kunst zu erwerben war, das Kaffee Worpswede.
Fatale Anbiederung bei den Nationalsozialisten
Seine in Paris ausgebildete expressionistische Kunstauffassung veränderte sich mit den Jahren. Hoetger, der sich auch mit Arbeiterfiguren, denen man die harte Arbeit ansah, einen Namen gemacht und der in Bremen ein Revolutionsdenkmal „Mutter mit totem Sohn (Pietà )“ aus rotem sächsischem Marmor für die gefallenen Arbeiter und Revolutionäre der Bremer Räterepublik 1919 entworfen hatte, entdeckte das Völkische. Damit begann der Absturz des Künstlers.
Er befasste sich mit Sonnenkult und mit nordisch-germanischem Gedankengut. Später diente er sich den Nationalsozialisten an, wiewohl sie sich in der SS-Zeitung „Das Schwarze Korps“ 1935 über seine „rassisch minderwertigen verkrüppelten Jammergestalten“ mokierten. Bereits 1933 hatten sie Arbeiten von ihm – 1933 etwa sein Friedrich-Ebert-Denkmal in seinem Geburtsort Hörde – als entartet bezeichnet und zerstört.
Hoetger wollte es nicht glauben, entwarf sogar ein riesiges NS-Forum in Hakenkreuz-Form, das höhnisch abgelehnt wurde. Der gedemütigte und am Boden zerstörte Künstler emigrierte und starb 1949 im Schweizer Exil. Der fatale Irrweg mag ein Grund dafür sein, dass Bernhard Hoetger zeitweise in Vergessenheit geraten ist. Umso wichtiger, dass mit Ausstellungen und Filmen daran erinnert wird: Hoetgers und Worpswedes Kunst ist und bleibt: politisch.
Info
WorpswedeDer Hoetger Hof, Hinterm Berg 14, in Worpswede, ist ein Wohnhaus und begehbares Kunstwerk, das Bernhard Hoetger entworfen hat. Es finden dort Seminare statt, gelegentlich werden auch öffentliche Führungen angeboten, etwa wieder am 10. November und am 15. Dezember. Anmeldungen sind nur per Email möglich unter kitzmann@hoetger-hof.de – Außerdem ist ein Teil des Hauses als Ferienwohnung für Urlaubsgäste verfügbar. Infos unter www.hoetger-hof.de – Ein nach Plänen und alten Fotografien restaurierter Garten von Bernhard Hoetger findet sich am Diedrichshof (Ostendorfer Straße 2) in Worpswede. Mittendrin liegt die Villa mit Tagungshotel Diedrichshof. – Neben dem Hoetger Hof, dem Niedersachsenstein, dem Kaffee Worpswede, der Großen Kunstschau Worpswede und dem Skulpturenpark von Hoetger steht im Zentrum von Worpswede das 1928 gebaute Philine-Vogeler-Haus von Bernhard Hoetger. In dem Backstein-Haus befindet sich heute die Tourist-Information für Worpswede und das Teufelsmoor. Es diente von 1928 bis 1930 als Werkstatt und Wohnhaus für die Weberin Elisabeth Vatheuer. Bereits 1930 folgte die Schwägerin des berühmten Worpsweder Jugendstilkünstlers Heinrich Vogeler und etablierte die „Kunsthalle Philine Vogeler“, der das „Philine Vogeler-Haus“ seinen Beinamen verdankt, und das viele Jahre als Ausstellungsort genutzt wurde.
AusstellungenNur noch bis zum 3. November ist die Jubiläumsausstellung „Zwischen den Welten“ im Museum Große Kunstschau in Worpswede zu sehen. – Die Mathildenhöhe Darmstadt präsentiert in der Schau „4-3-2-1-Darmstadt“ bis zum 27. April 2025 auch Arbeiten von Bernhard Hoetger. – Das Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen zeigt vom 25. Januar bis 18. Mai 2025 „Camille Claudel & Bernhard Hoetger – Emanzipation von Rodin“.
HördeIn Bernhard Hoetgers Geburtsort, der heute zum Süden Dortmunds zählt, ist die nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaute Friedrich Ebert Skulptur zu sehen – und weitere Werke sind in der Siedlung Am Schallacker, umbenannt in „Bernhard Hoetger Siedlung“, aufgestellt.
Film Gabriele Roses informativer Doku-Fiction-Film „Bernhard Hoetger – zwischen den Welten“ (Farbfilm-Verleih) beruht auf Original-Zitaten von Hoetger-Experten und Expertinnen und wird kombiniert mit Spielszenen. Das 90-minütige Werk erscheint am 22. November auf DVD.