Die Macht des Mythos und kulturellen Erbes
Der Historiker Ortwin Köhler hat sich drei Fantasyautoren und ihre Werke angeschaut, um zu untersuchen, inwieweit sich dort geschichtliche Einflüsse wiederfinden. Es zeigt sich, dass diese sich aus dem Schatz der Geschichte und der schon früher erzählten Geschichten bedienen.
Von Petra Neumann
Murrhardt. Von alten Geschichten, aus deren Quellen gleichsam die Fantasyautoren schöpfen, sprach der Historiker Ortwin Köhler in seinem Vortrag bei der Volkshochschule Murrhardt. Die Überschrift beziehungsweise Frage des Abends lautete: „Fantasy&Sagemaere – wie fantasievoll sind moderne Fictionautoren?“ Dabei ging Köhler ganz besonders auf die großen Fantasyzyklen „Herr der Ringe“ von John Ronald Reuel Tolkien (1892 bis 1973), „Die Chroniken von Narnia“ von Clive Staples Lewis (1898 bis 1963) und „Das Lied von Eis und Feuer“ (Game of Thrones) von George Raymond Richard Martin (geboren 1948) ein.
Im Grunde lassen sich viele Geschichten auf die Trias – das Gute und Böse sowie dazwischen der von diesen beiden Kräften gebeutelte Mensch – reduzieren. „Die Polarität ist nur eine scheinbare, denn nur durch die Existenz eines Dritten kommt es zu Veränderungen“, erklärte Ortwin Köhler. Tolkien wirkte als Literaturwissenschaftler an der Universität in Oxford. Er war begeistert von antiken Mythologien und verwob diese, aber auch andere Begebenheiten in seinen Fantasyzyklen, von denen „Der Herr der Ringe“ der berühmteste ist. Der Meisterring, den der finstere Sauron im Schicksalsberg geschmiedet hat, macht unsichtbar. Diese Feuer-Metall-Magie findet sich schon bei dem nordischen Allvater Odin, dessen Ring Draupnir dieselbe Eigenschaft besaß, und erinnert natürlich auch an die Tarnkappe aus der Nibelungensage, die im Übrigen schon reine Fantasy ist und auf Vorgängergeschichten basiert. Interessant im Zusammenhang von Ring und Schicksalsberg sind die Ringburgen der frühmittelalterlichen Awarenherrscher, die große Schätze beherbergten, aber nach der Zerstörung auch unheimlich wirkten und eine Inspirationsquelle gewesen sein könnten, erläuterte der Historiker. Der Begriff „Mittelerde“ wiederum geht auf „Midgard“ aus der Religion der nordischen Asen zurück. Das sind nur wenige Beispiele aus den zahlreichen Bezügen, die sich in den Fantasyepen des Schriftstellers finden lassen.
Der Meister der Spiele um den Thron hat sich gleichfalls von vielen historischen und mythischen Einflüssen inspirieren lassen. Seine fiktiven Reiche erinnern stark an England, zum Beispiel an die angelsächsischen Königreiche Essex, Wessex und Sussex. Der Name „Drogo“, den einer der Protagonisten trägt, ist fränkischen Ursprungs und der raue, unzivilisierte Norden, wo merkwürdige Wilde hausen, geht auf den Überfall der Wikinger aus dem Jahr 866 zurück, hat Ortwin Köhler rekonstruiert. Die wilden Männer sind gleichsam Nachfahren des Typus des „Wilden Mannes“, der ab dem frühen Mittelalter immer wieder in germanischen und slawischen Geschichten auftaucht.
Lewis war wie Tolkien ein Literaturwissenschaftler, der an der Universität in Oxford lehrte und wie dieser Mitglied der „Inklings“ (Tintlinge). Lange Zeit Atheist bekehrte er sich 1931 zum Christentum und die intensive Beschäftigung mit diesen Lehren nahmen auch Einfluss auf die Protagonisten seines Werks. Der Löwe ist nicht nur ein Symbol für Christus, sondern in den „Chroniken von Narnia“ der Erlöser selbst, der sich für sein Volk opfert, um es als Auferstandener von dem Widersacher in Gestalt eines falschen Propheten zu retten. „Aslan“ heißt im Mongolisch-Alttürkischen „Löwe“. „Als Humanist war dem Autor auch die geistige Welt der Griechen bekannt und so tummeln sich in seinem Roman neben Tieren wie Eisbären auch Zentauren und Minotauren“, erläuterte Ortwin Köhler. „Das Besondere an Lewis’ Romanen ist, dass sie ein Multiversum kreieren, das durch einen Schrank, der aus dem Holz eines aus der Anderswelt kommenden Apfelkerns gemacht wurde, von der Erde aus zu erreichen ist“, unterstrich der Referent. Auch einen Paradiesgarten gibt es, der keinen Baum der Erkenntnis ins Zentrum stellt, sondern einen Baum des Lebens, wie er in vielen Mythologien auftaucht. Der Name „Narnia“ ist lateinischen Ursprungs und steht für einen Ort. Dass die Pferde in Narnia sprechen können, ist den Steppenvölkern zu verdanken, beispielsweise den Skythen, die großartige Reiter waren. In slawischen Märchen kommen immer wieder solche redegewandten Säugetiere vor, aber auch im Märchen „Die Gänsemagd“. Die eher wild lebenden Huftiere sind vom Charakter her anders und können auch einmal ihre Zähne als Waffe einsetzen. Aus ihnen wurden die Menschenfleisch verspeisenden Pferde aus der Wolfdietrich-Sage, die um 1250 entstanden ist.
In diesem hoch spannenden Vortrag wurde klar, dass es durchaus noch einen mythologischen und historischen Schatz gibt, aus dessen Fundus sich spannende Romane dichten lassen, die auch deshalb so wirken, weil sie Teil unseres kulturellen Erbes sind.