Die vielen Gesichter eines Weihnachtsfests

Heiligabend und die Feiertage gehören für Pfarrer Steffen Kaltenbach salopp gesagt zum Kerngeschäft und sind wichtige Ereignisse im Kirchenjahr. Weihnachten ist vielleicht das am stärksten von der Familie geprägte Fest und hat insofern emotional viele Facetten.

Pfarrer Steffen Kaltenbach holt sich an der Fornsbacher Kirche noch ein Friedenslicht ab. Fotos: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Pfarrer Steffen Kaltenbach holt sich an der Fornsbacher Kirche noch ein Friedenslicht ab. Fotos: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Murrhardt. Wenn Pfarrer Steffen Kaltenbach an seine ersten als Kind bewusst erlebten Weihnachten zurückdenkt, taucht ein Bild auf. „Da war der Blick durchs Schlüsselloch, aber nicht dorthin, wo der Baum stand, sondern wo die Modelleisenbahn aufgebaut war“, erzählt er und lächelt. Später konnten sein Bruder und er sich dann in die jeweils eigene Strecke vertiefen, auf der die Spielzeugeisenbahnen ihre Runden drehten – auch mal mit Marzipanschweinchen. „Ich durfte mir auch wünschen, was es an Weihnachten zu essen geben sollte“, sagt Kaltenbach und verrät, dass er sich meist für ein nicht ganz typisches Kindergericht entschieden hat – Ochsenzunge. Bei seiner Oma in Stuttgart, der Mutter seiner Mutter, nahm die Familie zu einem großen Gansessen Platz.

Damals wusste Steffen Kaltenbach noch nicht, dass er viele Weihnachtsfeste auch als evangelischer Pfarrer in der Kirche, also im beruflichen Gewand, verbringen würde. In seinen acht Jahren als Landesschülerpfarrer hatte er zunächst noch frei. Offiziell. „Aber ich bin da einmal für einen Kollegen in Schwäbisch Gmünd eingesprungen, der erkrankt war und seinen Dienst nicht machen konnte.“ Manchmal überlegt er, ob das schon verdächtig nahe an ein Helfersyndrom heranreicht, umgekehrt haben ihn aber auch schon Pfarrerin Margit Bleher oder der Dekan Willfried Braun an Ostern unterstützt, als er selbst unerwartet ausfiel. „Wir brauchen einander.“

Das letzte berufliche Weihnachtsfest

Anfangs in Fornsbach als Pfarrer tätig, übernahm Steffen Kaltenbach auch Jugendarbeitsthemen in der evangelischen Gemeinde Murrhardt, nach dem Weggang des Pfarrerehepaars Winter kam als zweite Gemeinde Kirchenkirnberg hinzu. Das Besondere dieses Jahr ist, dass es sein letztes berufliches Weihnachtsfest in den beiden Kirchengemeinden als Pfarrer sein wird, da er sich im Sommer 2024 in den Ruhestand verabschiedet. Angesichts der Vorbereitung fallen ihm außerdem wieder die alleinige Regie und entsprechende Vorarbeit zu.

Während der Ausbildung der beiden Vikare Christian Schmitt und Jacob Wahl gab es sozusagen im Gegenzug zur Betreuung die Unterstützung, dass diese auch Weihnachtsgottesdienste übernahmen. „Das hat mir schon auch viel Freiheit gegeben.“ Nun, angesichts der in beiden Kirchengemeinden zu haltenden sieben Feiern an Heiligabend und am 25. und 26. Dezember (siehe Meldung zweite Lokalseite), hofft er, alles gut und stimmungsvoll hinzubekommen . Von Vorteil ist dann, ohne Glatteis zwischen beiden Gemeinden hin- und herdüsen zu können. „Vermutlich werden sich erst ein paar Wehmutstränen bemerkbar machen, wenn ich nach der Predigt in ,Oh du Fröhliche‘ mit einstimme.“ Lässt er Predigten und Feiern in der Kirche zu Weihnachten Revue passieren, ist da eine Szenerie, an die er sich besonders gerne erinnert. Um einmal die Unangepasstheit, das Anecken und das Provokationspotenzial des menschgewordenen Gottessohnes zu thematisieren, hatte Steffen Kaltenbach in einem Jahr entschieden, sich als Motorradfahrer in Ledermontur zu werfen – und zwar mit Überraschungseffekt, nachdem ihm eine extra lang ausgedehnte Gesangspassage mit vielen Strophen die nötige heimliche Umzugspause verschafft hatte, in der er den Talar gegen die Motorradkluft tauschen konnte.

Als er dann in Rockermanier, mit Sturmhaube und Sonnenbrille durch den Haupteingang der Kirche treten wollte, wurde ihm klar, wie gut sein Rollenwechsel funktioniert hatte. Weil ihn die stehenden Zuhörer am Eingang nicht erkannten, wollten sie ihn eigentlich auch gar nicht durchlassen. Bei der Reaktion auf den seltsamen Gast waren Irritation und aufgestellte Härchen zu spüren. Genau das, was sich Kaltenbach erhofft hatte, um später das Thema theologisch zu vertiefen. „Ich hab mich durchgekämpft“, sagt er. Die Gesichter nach seiner Enttarnung hat er zwar nicht gesehen, geht aber davon aus, dass die Sache gut funktioniert hat. „Gott ist ja durch Jesus zum Menschen geworden, sonst wäre er mir auch fremd.“ Diese Brücke will er auch bei anderen Themen immer wieder schlagen.

Sehr verletzlich sind die Menschen, wenn sie eine wichtige Bezugsperson verloren haben, und auch das ist ein Thema, das mit Weihnachten insofern verbunden ist, weil es wie kein anderes ein Familienfest ist. „Das sind dann die schwierigsten Tage“, sagt der 62-Jährige mit Blick auf Betroffene und, dass ein Gewahrwerden eines trauernden Gemeindemitglieds sich auch in die Predigt einreihen und der Fröhlichkeit einen Zahn ziehen kann. Als Seelsorger versucht Steffen Kaltenbach, den Umgang Einzelner mit der Situation schon im Vorfeld anzusprechen, um möglicherweise auf Angebote hinzuweisen oder gemeinsam zu überlegen, was helfen kann. „Es kann auch sein, dass eine Scheidung über Weihnachten liegt oder die Trennung ins Fest platzt“, was er im Rahmen der Konfirmation zum Thema macht.

Mitschwingen bei Trauer und Freude

Als Pfarrer zweier noch ländlich geprägten Kirchengemeinden bekommt er im Vergleich zu einem Geistlichen in der Großstadt mehr von den Menschen mit. Diese Nähe hat genauso seine zwei Seiten – das Mitschwingen bei Trauer und das Teilen der Vorfreude. „Man bereitet sich auch gemeinsam als Dorf vor.“ Neben den Jahresabschluss- oder Adventsfeiern, die aufs Fest hinführen, hat Kaltenbach zwei jüngere Traditionen für sich entdeckt – das Christbaumloben und das Christbaumbesorgen in der Gruppe. Spontan beim Nachbarn oder Bekannten zu klingeln, um bei einem Schnäpsle auf die geschmückte Tanne anzustoßen, hat für ihn genauso viel Charme wie im Verbund den Baum auszusuchen. Aus der Gruppe kommen die entscheidenden Hinweise, weil eben klar ist, ob der Weihnachtsbaum wirklich ins Wohnzimmer passt, oder weil der andere um die Schwäche weiß, vor allem dem Händler etwas Gutes zu tun und weniger nach einem idealen Repräsentanten zu schauen.

Das Weihnachtsfest im großen Kreis in der Kirche mit 200 Menschen, die man kennt, zu feiern, „ist einfach schön“ – mal in der heimeligen Geborgenheit der Fornsbacher Kirche, mal im majestätischer ausgelegten Kirchenkirnberger Gotteshaus. Dafür, dass seine Frau Iris Scheuer, auch Pfarrerin, dieses Immer-im-Dienst-Sein auch an Weihnachten mitträgt, ist Steffen Kaltenbach sehr dankbar. Die Bescherung an Heiligabend findet spät statt, Scheuers beide erwachsenen Kinder kommen zu Besuch. Auch diese ganz privaten Stunden will er nicht missen. „In meinen ersten Berufsjahren hab ich gesagt, ich will auf Geschenke verzichten, mich von dem ganzen Tand abgrenzen“, erzählt er. „Mittlerweile würde mir ganz ohne sie etwas fehlen.“ Das schließt auch das herzhafte Lachen über die klassische, weiche Ware wie Schlafanzug oder Socken mit ein, die den Geschmack vielleicht nicht immer zu 100 Prozent trifft. „Darüber freu ich mich auch!“

Um den Blick noch mal im Sinne großer, globaler Themen zu weiten: Zu den geschätzten Dingen gehört für Steffen Kaltenbach auch das Friedenslicht von Bethlehem, das seit einigen Jahren über die Pfadfinder seinen Weg zu verschiedenen ausgewählten Standorten findet. Die Fornsbacherinnen Martina Uecker-Dietrich und Linda Goller haben es organisiert, dass das Friedenslicht auch vor Ort seinen Platz findet. Angesichts des Kriegs in der Ukraine und in Nahost ist es eine Herausforderung, die Hoffnung nicht aufzugeben. „Die Sehnsucht nach Frieden ist groß“, sagt Steffen Kaltenbach und dass das Weihnachtsfest mit der Geburt des Friedenstifters schlechthin nun vor der Tür steht.

Das Friedenslicht steht an der Fornsbacher Kirche in einer schmucken Laterne. Dort lässt es sich über weitere Kerzen mit entsprechendem Windschutz auch mit nach Hause nehmen.

© Stefan Bossow

Das Friedenslicht steht an der Fornsbacher Kirche in einer schmucken Laterne. Dort lässt es sich über weitere Kerzen mit entsprechendem Windschutz auch mit nach Hause nehmen.

Kaltenbach wird auch in der Kirchenkirnberger Kirche mit der Gemeinde feiern.

© Stefan Bossow

Kaltenbach wird auch in der Kirchenkirnberger Kirche mit der Gemeinde feiern.

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Erstellt:
23. Dezember 2023, 06:00 Uhr

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