Was tun mit dem Familienerbe?
Ein Mannheimer fotografiert verlassene Elternhäuser
Der gebürtige Mannheimer Jörg Egerer fotografiert im Auftrag verlassene Elternhäuser und die Dinge darin. Das erste war sein eigenes.
Von Lisa Welzhofer
Auf dem blauen Plastikbalkonstuhl saß der Vater gern und blickte in seinen Garten. Wie ein alter König von der Loge aus über sein vergehendes Reich. Vielleicht fiel sein Blick auf die zarten Iris, die dort wuchsen, den sich langsam verkrautenden Rasen oder den Kaktus, der in seinem Topf hing wie der sagenhafte schiefe Turm. Manchmal war auch der weiße Terrassenstuhl sein Lieblingsplatz, den loyalen Gartenzwerg zur Linken, während die anderen Gefährten das Haus im Mannheimer Umland längst verlassen hatten. Auf den Fotos, die der Sohn gemacht hat, sind die Stühle leer, nur Jörg Egerers Erinnerung setzt den Vater wieder an diese Orte, die nach dem Verkauf von neuen Bewohnern bespielt werden.
In ganz Deutschland ist der freiberufliche Fotograf unterwegs, um Familienwohnsitze zu fotografieren. Die Eltern seiner Auftraggeber sind umgezogen oder gestorben, die Kinder wünschen sich Bilder von ihren Erinnerungen, bevor der Entrümpler sie verlädt.
Bilder, die vielen etwas sagen
Angefangen hat es mit jenen Fotos von Jörg Egerers eigenem Elternhaus, die auf dieser Seite zu sehen sind. Sie entstanden 2020. Der demente Vater lebte schon im Heim, kurz darauf starb er. Zunächst nur fürs private Archiv gedacht, zeigte Egerer 15 Motive in einer Schau und stellte fest: Die Bilder, für die er alles lässt, wie es ist, fassen viele an. Eltern, die sich fragen, wer die Dinge in ihren zu groß gewordenen Häusern brauchen kann. Deren Kinder, die die Orte ihres Aufwachsens abwickeln müssen. Dass diese gleichzeitig Gehäuse intimer Biografien wie Sinnbilder einer beispiellos friedlichen und prosperierenden westdeutschen Nachkriegsgesellschaft sind, macht den Umgang damit wohl so besonders bedeutungsschwer.
Tatsächlich schreibt sich die Boomer-Generation ihre Entrümpelungs-Erfahrungen mittlerweile in Bestsellern von der Seele. In „Adieu, Elternhaus“ erklärt Christina Erdmann, wie man „das Auflösen des Elternhauses umsichtig und ohne Stress bewältigt“. Wie sie sich dabei an die Eltern heranarbeitete, beschreibt Ursula Ott in „Das Haus meiner Eltern hat viele Räume“. Auch in Romanen sind die verlassenen Familientempel ein Topos. Die Hauptfigur in „Du fehlst“ von Joyce Carol Oates ringt campierend im Haus der verstorbenen Mutter mit dieser. In „Wir hätten uns alles gesagt“ schreibt Judith Hermann: „All das ist deins und muss es aber nicht sein. Du kannst hier sein und musst dich aber für nichts verantwortlich fühlen.“
Es ist die besondere Qualität von Jörg Egerers Fotografien, dass sie – still und ohne jede Ratgeberhaftigkeit – gleichsam so melancholisch und versöhnlich daher kommen. Vergangenes schmerzt vielleicht weniger, wenn ein gutes Bild davon bleibt.
Elternhausfotografie
Der FotografJörg Egerer, Jahrgang 1970, stammt aus Mannheim und lebt heute in Bayern. Seine künstlerischen Arbeiten als freier Fotograf wurden mehrfach ausgezeichnet und ausgestellt. Außerdem ist er als Kleindarsteller regelmäßig in verschiedenen Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen (etwa in Der Alte, Rosenheim Cops oder Sturm der Liebe).
Elternhausfotografie Für Fotos von Elternhäusern kann man Jörg Egerer deutschlandweit buchen. Infos zu Ablauf und Kosten des Angebots finden sich auf www.elternhausfotografie.de Am 18. und 19. Oktober kann man ihn und seine Bilder an Stand E11 auf der Messe „Leben und Tod“ in Freiburg besuchen.