Ein Preis für die Demokratie
Das Bürgerprojekt Die Anstifter verleiht den Friedenspreis 2024 an das Recherchenetzwerk Correctiv und an dasEberhard-Ludwigs-Gymnasium.
Von Heidemarie A. Hechtel
Stuttgart - Ein neues Wort alarmierte 2023 alle demokratisch gesinnten Bundesbürger: Remigration. Bedeutet Rückwanderung, war aber von der AfD bei einem geheimen Treffen in einer Potsdamer Villa im Sinn geplanter Abschiebung von Minderheiten, Asylanten und Flüchtlingen propagiert worden. Aufgedeckt hat diesen Masterplan das Recherchenetzwerk Correctiv, dem das Bürgerprojekt Die Anstifter den mit 5000 Euro dotierten Stuttgarter Friedenspreis 2024 verliehen hat. Der Jugendpreis (2500 Euro) ging an das Fritz-Bauer-Projekt des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums (Ebelu), mit dem Schülerinnen und Schüler Leben und Wirken des ehemaligen Ebelu-Schülers, Juristen und beharrlichen Verfolgers von Naziverbrechern würdigten.
„Sie haben die gesamte Gesellschaft wachgerüttelt“, dankte die Laudatorin Nathalie Reinhardt dem Correctiv-Team bei der Friedensgala am Sonntag im Theaterhaus. Die Journalistinnen und Journalisten hätten mit ihrer Arbeit nicht nur Licht in die dunklen Machenschaften extremistischer Kreise gebracht, sondern auch die Bedeutung von unabhängigem und investigativem Journalismus unter Beweis gestellt. Als Sinteza, so die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, wisse sie aus eigener Erfahrung, dass Mut zu dieser Recherche gehöre: „Wenn es so weit ist, holen wir Dich ab“, hätte man ihr aus dem Milieu der Rechten offen gedroht. „Schockiert hat mich die Selbstsicherheit dieser Formulierung“, die sie an die Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten erinnert hätte. Sie rief ins Gedächtnis, dass der Reichsführer der SS, Heinrich Himmler, am 16. Dezember 1942 die Deportation und Vernichtung der Sinti und Roma angeordnet habe. Daraufhin seien 90 Prozent der Sinti und Roma ermordet worden, knapp 5000 hätten überlebt. „Mit ihrer erneuten menschenverachtenden Politik stehen diese neuen Nazis in einer Tradition, die Deutschland vor 80 Jahren zerstört, geteilt und geächtet zurückgelassen hat“, zitierte Natalie Reinhardt Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrates der Sinti und Roma in Deutschland.
Während eine Gruppe aus dem Kreis der Anstifter vor dem Theaterhaus auf Flugblättern ihre Ablehnung dieses Preisträgers deutlich machte, weil Correctiv durch Konzerne und den Staat finanziert würde, lieferte Chefredakteurin Anette Dowideit in ihrer Dankesrede eine aktuelle Bestätigung für die Bedeutung ihrer Arbeit: Jetzt, zur gleichen Stunde, finde wieder eine Zusammenkunft von Neonazis und finanzkräftigen Unternehmern statt, die der Meinung seien, dass 60 Millionen Einwohner in der Bundesrepublik genug seien und man alle Einwanderer und nicht genügend assimilierte Bundesbürger loswerden wolle. Die Unterstellungen auf den Flugblättern wies sie als Fake aus den sozialen Medien zurück: Correctiv habe 100 000 Abonnenten und finanzielle Unterstützung von 160 000 Menschen. Der Staat fördere nicht die journalistische Arbeit, sondern die Ausbildung junger Menschen.
Ein leuchtendes Beispiel als Kämpfer für Menschenrechte und Demokratie ist auch Fritz Bauer, der, davon kann man ausgehen, über die aktuelle Erstarkung der Rechten verzweifelt wäre. Sein 120. Geburtstag am 16. Juli 2023 war für Ebelu-Schüler Anlass, diesem großen Sohn der Stadt und des Gymnasiums ein vielfältiges Projekt zu widmen: mit Lesung und Diskussionen, einem Stadtspaziergang zu den Stationen seines Stuttgarter Lebens, mit Geburtstagskonzert, einer Gedenkstele und einer Performance. Damit brillierte die Gruppe auch im Theaterhaus und ließ das Publikum Fritz Bauer als leidenschaftlichen Kämpfer für die Demokratie erleben. Zum Schluss appellierte Peter Grohmann, Gründervater der Anstifter und Kandidat für den „Stuttgarter des Jahres“: „Nicht fertig werden mit dem Widerstand!“