Eine Chance, über die keiner redet
Dieter Schäfer, der sich lange Zeit für eine grüne Energieproduktion aus Bürgerhand in Murrhardt engagiert hat, sieht in der neuen EU-Richtlinie „Renewable Energy Directive“ (RED II) eine entscheidende Weichenstellung. Nach seiner Einschätzung ist sie aber in Deutschland gar kein Thema.
Von Christine Schick
Murrhardt. Salopp ließe sich sagen – Dieter Schäfer hat immer noch Energie. Das Thema gemeinschaftliche Produktion aus erneuerbaren Energiequellen wie Sonne, Wind und Wasser lässt ihn einfach nicht los. Er bleibt immer noch dran. Beispielsweise hat er bereits um die Jahrtausendwende mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern das Windrad auf dem Grünen Heiner bei Weilimdorf realisiert, das von der Autobahn81 aus gut zu sehen ist. Später, ab 2011, kamen die Etappen und Initiativen rund um die Energiegenossenschaft Murrhardt hinzu, die er mitbegründet hat.
Allerdings ist vieles nicht so gelaufen, wie er es sich erhofft hatte. Eine gemeinschaftliche Stromproduktion auf breiter und regenerativer Basis, die nach und nach auch die Möglichkeiten neuerer Technologie wie modernen, internetangebundenen Zählern nutzt, blieb Zukunftsmusik. Dabei spielten nach seiner Einschätzung auch strukturelle Hürden eine Rolle wie der Wegfall des Grünstromhändlerprivilegs. Ebenso der Vorstoß für einen Murrhardter Modellversuch um 2018 hatte keinen Erfolg.
Grundsätzlich hat Dieter Schäfer dabei immer auf das Recht gepocht, die Produktion aus erneuerbaren Energien in die eigene Hand nehmen zu können beziehungsweise den Menschen vor Ort dies zu ermöglichen. Ein Gedanke, der in der Zwischenzeit auch auf europäischer Ebene angekommen ist. Die Europäische Union (EU) versprach 2015 eine Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie, in „deren Mittelpunkt die Bürgerinnen und Bürger stehen, die Verantwortung für die Energiewende übernehmen, neue Technologien zur Senkung ihrer Energiekosten nutzen und aktiv am Markt teilnehmen“, zitiert Schäfer auf einer gemeinsamen Homepage zum Thema (siehe Infokasten). Und er stellt fest: „Die EU hat Wort gehalten.“ Mit der „Renewable Energy Directive“ (RED II) vom 11. Dezember 2018 ermöglicht die EU Bürgerinnen und Bürgern über sogenannte Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften die aktive Teilnahme am Markt.
Auch er selbst hat besagte EU-Richtlinie, die für ihn eine echte Weichenstellung bedeutet, nicht sofort wahrgenommen. Ein Weggefährte, Ulrich Jochimsen, machte ihn auf sie aufmerksam. Im Jahr 2019 haben Umwelt- und Energieverbände die Thematik dann in einer Broschüre „Europa entfesselt. Die Energiewende in Bürgerhand“ aufgearbeitet. Was den 71-Jährigen aber sehr irritiert, ist, dass die Chancen, die sich daraus ergeben, überhaupt nicht diskutiert werden. Und das wäre insofern wichtig, weil die Richtlinie in den jeweiligen Mitgliedsstaaten in nationales Recht überführt beziehungsweise umgesetzt werden muss. „Stell dir vor, die entscheidende EU-Richtlinie kommt und keiner redet drüber“, kommentiert Dieter Schäfer die Situation, wie er sie in Deutschland wahrnimmt. Weder Umweltschutz- und Energieverbände hätten das Thema und die Möglichkeiten weiterverfolgt, noch bei der neuen Regierung hat er etwas in dieser Hinsicht wahrgenommen.
Sind die Menschen überlastet, zu bequem oder haben sie sich zu sehr an die oftmals zentral organisierten Strukturen gewöhnt? „Ich weiß es nicht“, sagt Dieter Schäfer. Nicht zuletzt kämpfen Einzelne, Organisationen und Institutionen auch mit einer unüberschaubar gewordenen Informationsflut. Aber der 71-Jährige will nicht resignieren, obwohl er kurz vor dem Aufgeben war. Es ist und bleibt für ihn erstrebenswert, dass die Menschen die Energieproduktion – wenn sie es denn wollen – selbst übernehmen können, sie sollen das Recht dazu haben, Energiegemeinschaften zu bilden. Das hat zum einen mit seinem Demokratieverständnis zu tun, zum anderen ruft auch die Struktur der erneuerbaren Energien geradezu nach einer dezentralen, in kleineren Einheiten organisierten Produktion. Wind, Sonne und zum Teil auch Wasser lassen sich nicht zentral, sondern lokal ernten und sind insofern für eine bürgerschaftliche Struktur prädestiniert. Schäfer hat innerhalb seiner Netzwerke gewirbelt und mit Mitstreitern – als Initiativgruppe REDinD – eine thematische Homepage auf die Beine gestellt, allerdings bisher ebenfalls ohne große Resonanz. Was ihn aber bei der Stange hält, ist die Entwicklung in Österreich. Denn die Nachbarn sind in die Umsetzung der EU-Richtlinie eingestiegen. Auf der Homepage werden Beispiele vorgestellt, wie Vorreiteranlagen und -initiativen aussehen können.
„Ich sehe auf dem Land nach wie vor großes Potenzial zur Stromerzeugung genauso wie die Chance, diese Energie an größere Städte zu verkaufen“, sagt er. Neben der noch verbindlicheren Struktur und Tradition, sich untereinander auszuhelfen, könne möglicherweise die Motivation hilfreich sein, ähnlich wie beim Anbau im eigenen Garten, Energie in Eigenregie herzustellen. Auch ließe sich der Preis moderater gestalten. „Bisher sehe ich nur niemand, der diese Steilvorlage der EU aufnimmt.“ Ob er die Abgeordneten des Rems-Murr-Kreises auf Bundes- und Landesebene darauf ansprechen will, weiß er noch nicht genau. Nüchtern stellt er fest: „Die Ampelkoalition will im Sommer liefern. Es gibt aber keinerlei Hinweis, dass die Umsetzung der EU-Richtlinie RED II darin enthalten sein könnte. Im Gegenteil: Als die Abgeordneten des Ausschusses für Klimaschutz und Energie und die Regierung im Bundestag über die Energieversorgung der Zukunft debattierten, wurde RED II nicht einmal erwähnt.“
Sicher ist sich Dieter Schäfer aber, dass er weiter genau nach Österreich schauen will, wie sich die lokalen Initiativen und Beispiele dort entwickeln, um die Werkzeuge im übertragenen Sinne zu pflegen und immer einsatzbereit zu halten.
EU-Gesetzgebung In der Broschüre „Europa entfesselt. Die Energiewende in Bürgerhand“ heißt es: Das 2018 von der EU vereinbarte „Clean Energy Package“, beginnend mit der Neufassung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie (EE-RL) – so die Bezeichnung der Rahmenrichtlinie dort –, schafft für die Bürgerinnen und Bürger völlig neue Voraussetzungen. Diese und Energiegemeinschaften in der EU haben jetzt eine Reihe von Garantien, die Investitionen in erneuerbare Energien absichern und sie von der Energiewende profitieren lassen. Die Anerkennung ihrer Rolle, die Förderung und das neue Bürgerrecht, erneuerbare Energie erzeugen, verbrauchen, handeln und speichern zu können, sind jetzt gesetzlich verankert (...). Nach der Verabschiedung der Richtlinie durch die EU-Institutionen sind die EU-Mitgliedsstaaten aufgefordert, die Bestimmungen in nationales Recht zu überführen, um es an EU-Recht anzugleichen.
Fazit Speziell in Deutschland könnte die Umsetzung der Richtlinie eine Trendwende einleiten: Nach Jahren des Booms wurde die Bürgerenergie ab 2012 immer weiter ausgebremst, so die Einschätzung der Herausgeber der Broschüre. Die Motivation der Bürgerinnen und Bürger ist weiterhin groß – sofern ihnen die Chance zur Teilhabe an der Energiewirtschaft gegeben wird. Die neuen EU-Regeln könnten daher eine Entfesselung und Entbürokratisierung der Bürgerenergie in Deutschland bewirken.
Infos Die Broschüre „Europa entfesselt. Die Energiewende in Bürgerhand“ stellt das Thema ausführlich dar. Das Heft lässt sich im Internet unter folgendem Link herunterladen: https://tinyurl.com/kkxm3ffn.
Weitere Infos finden sich auf der Homepage der Gruppe „Initiativgruppe REDinD“ rund um Dieter Schäfer unter der Adresse www.redind.eu.