Neue OP-Methode im RBK Stuttgart
Eine Prothese für rissige Gefäße
Reißt die Hauptschlagader, drohen lebensgefährliche Blutungen. Jedes Jahr erleiden 4000 Bundesbürger eine solche Aortendissektion. Eine Ärztin im Robert Bosch Krankenhaus Stuttgart will das verhindern und setzt Risikopatienten frühzeitig eine Prothese ein.

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Mit dieser Prothese, die an einen Elefantenrüssel erinnert, kann die vorgeschädigte Hauptschlagader im Brustkorb eines Patienten ersetzt werden.
Von Regine Warth
Wie es sich anfühlt, wenn das Leben auf Messers Schneide steht, weiß Adam (Name geändert) genau: Es fuhr ein kaum vorstellbarer Vernichtungsschmerz durch seinen Brustkorb hinunter bis zum Bauchnabel. In seinem Innersten waren die Gefäßwände der Hauptschlagader, die aus dem Herzen kommt und den Oberkörper durchzieht, eingerissen. Es drohten schwere innere Blutungen und die Gefahr, dass andere Gefäße, die zu Organen wie Leber oder Nieren führen, von der Blutversorgung abgeschnitten werden. Der damals 27-Jährige musste notoperiert werden: Dabei wurde der geschädigte Teil der Aorta mit einer flexiblen Kunststoffprothese ersetzt.
Doch damit war die Gefahr nicht endgültig gebannt: Immer wieder drohte die Aorta neu einzureißen. Auch eine zweite Operation, bei der ein weiterer Teil der Hauptschlagader mittels einer neuen, diesmal steifen Prothese ersetzt worden ist, half nicht langfristig. Jetzt, sechs Jahre später, liegt Adam ein drittes Mal im Robert Bosch Krankenhaus Stuttgart. Nun hatte sich seine gesamte Hauptschlagader bis in den Bauchraum hinein gefährlich erweitert. Ein erneuter Riss war zu erwarten.
Dem will Dorothee Bail, die Leitende Ärztin der Gefäßchirurgie, zuvorkommen: Sie hat im Südwesten eine Operationsmethode etabliert, die Risikopatienten mit Erkrankungen an der Hauptschlagader präventiv vor solchen Gefäßeinrissen schützt. „Wir ersetzen die Aorta lückenlos mit einer neuartigen Gefäßprothese und zwar mittels eines viel schonenderen Eingriffs als es bisher üblich ist“, sagt Bail. Bisher war eine offene Operation mit Öffnung des Brustkorbes und des Bauchraumes der Standard – ein sogenannter Zweihöhleneingriff. Der Nachteil dabei: „Die OP dauert mehrere Stunden, der Patient muss dabei an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden“, sagt Bail.
Auch ein Gendefekt führt zu einem Riss in der Aorta
Warum es bei manchen Menschen zu einer Schwächung der Aorta-Innenwände bis zum Einriss kommt, ist bisher nicht vollständig geklärt. Aktuelle Studien zeigen eine Häufigkeit von bis zu 12 Fällen auf 100 000 Einwohner. Männer erkranken dabei bis zu dreimal so häufig wie Frauen. Das Alter der Betroffenen liegt um die 60 Jahre, sagt Dorothee Bail aus ihrer Arbeit als stellvertretende Leiterin des Aortenzentrums im RBK weiß: „Die Arterien und die Aorta im Körper werden vor allem aufgrund eines ungesunden Lebensstils stark geschädigt.“ Hauptrisikofaktoren dafür sind Bluthochdruck, Gefäßverkalkungen oder Diabetes.
In seltenen Fällen steckt eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche hinter krankhaften Veränderungen der Aorta. So wie bei Adam. Er ist mit dem sogenannten Marfan-Syndrom auf die Welt gekommen. Dieser Gendefekt führt dazu, dass das Bindegewebe und auch die Gefäße des Herz-Kreislauf-Systems erweitert werden und einreißen. Das kann schon in sehr jungen Jahren auftreten. „Gerade für diese Patientengruppe bietet die neuartige Prothese die Möglichkeit einer langfristigen Versorgung“, sagt Bail, die im RBK auch die Marfan-Sprechstunde betreut – in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik der Uniklinik Tübingen.
Patienten müssen nicht am offenen Brustkorb operiert werden
Die neu entwickelten Aortenprothese ist rund 40 Zentimeter lang, aus Kunststoff und mit mit einer Gefäßstütze – Stent genannt – verbunden. Die steife Prothese, die für jeden Patienten individuell angefertigt wird, ist mit mehreren Ästen ausgestattet, an die einzelne Arterien der Bauchorgane verbunden werden.
Der Vorteil dieser Prothese ist, dass sie ausschließlich über den Bauchraum eingesetzt wird – ohne den Brustkorb zu öffnen und den Patienten an die Herz-Lungen-Maschine anzuschließen. „Um die Zugänge an die Gefäße der Bauchorgane wie Leber oder Nieren anzunähen, müssen diese nur kurz abgeklemmt werden“, sagt Bail. Das senke die Risiken für den Patienten beträchtlich. „Wir haben dann weniger Beatmungskomplikationen und die Verweildauer auf der Intensivstation sowie die Gefahr von Infektionen ist ebenfalls verringert.“
Patienten müssen regelmäßig medizinisch überwacht werden
Entwickelt wurde die Hybridprothese namens Thoracoflo an der Uniklinik Hamburg, im Jahr 2022 wurde das Verfahren erstmals auf einem Medizinkongress vorgestellt: „Als ich dort von der Methode gehört habe, wollte ich sie bei uns einführen“, so Bail. Inzwischen wurden im RBK drei solcher Operationen durchgeführt – von 50 Eingriffen weltweit. Adam war der 35. Eingriff. Die Operationen im RBK wurden alle unter der Federführung von Bail und Bartosz Rylski, dem Chefarzt der Herz- und Gefäßchirurgie vorgenommen. „Bislang zeigen alle unsere Patienten einen sehr guten Genesungsverlauf.“
Auch Adam ist auf einem guten Weg. Er wird auch weiterhin regelmäßig medizinisch untersucht, sagt Bail. Studien haben gezeigt, dass langfristige und regelmäßige Kontrollen per Computertomografie sowie Blutdruckmessungen die Chance auf ein längeres Leben vergrößern – zusammen mit einem gesunden Lebensstil.