„Es ist ein guter Einstieg für mich“

Das Interview: Julian Schieber schaut auf über zwölf Jahre in der Fußball-Bundesliga zurück. Er hat in fünf Vereinen und mit Trainern wie Jürgen Klopp viel erlebt. Als Co-Trainer der TSG Backnang schlägt der 32-Jährige ein neues Kapitel auf.

Nach 15 Jahren zurück im Etzwiesenstadion: Ex-Profi Julian Schieber steigt bei der TSG Backnang ins Trainergeschäft ein. Foto: Imago

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Nach 15 Jahren zurück im Etzwiesenstadion: Ex-Profi Julian Schieber steigt bei der TSG Backnang ins Trainergeschäft ein. Foto: Imago

Für Julian Schieber ist es kein Problem, dass in der Oberliga alles einige Nummern kleiner ist als in der Bundesliga. Hier wie dort geht es vor allem um Punkte und Tore, heute um 14 Uhr steht in seiner neuen Rolle bei der TSG Backnang die Heimspielpremiere gegen den FC Nöttingen auf dem Plan.

Hand aufs Herz: Wie schwer war es, bereits mit 32 Jahren als Profi aufzuhören, weil der Körper nicht mehr mitspielt?

Es war ein längerer Prozess, keine Nacht- und Nebel-Aktion. Es hatte auch mit der Situation in Augsburg zu tun, wo die Vorsaison unglücklich lief und ich zur U23 degradiert wurde. Ich war einfach zu oft verletzt, gerade in den ersten zwei Jahren in Augsburg, und deshalb hat die sportliche Leitung entschieden, nicht mehr mit mir in die neue Runde gehen zu wollen. Daran hatte ich eine Weile zu knabbern, habe es aber akzeptiert und mich selbst hinterfragt. Ich habe mehrere Wochen auf meinen Körper gehört und gespürt, dass ich an der Leistungsgrenze immer wieder Probleme bekomme. Wenn man nicht mehr auf 100 Prozent kommt und feststellt, dass man das Niveau von vor drei, vier Jahren nicht mehr erreicht, dann muss man sich eingestehen: Jetzt ist es vorbei.

Sie waren seit Ende 2008 in der Bundesliga, bestritten wegen vielen Verletzungen aber nur 167 Punktspiele. Betrachten Sie Ihre Karriere als unvollendet?

Nein, das wäre nicht die richtige Beschreibung. Ich war zwar oft verletzt, aber ich hatte auch viele tolle Momente, sonst hätten mich nicht fünf Bundesligisten geholt. Es waren immer Zeiten dazwischen, in denen es richtig Spaß gemacht hat und Erfolge da waren. Ich hatte fünf tolle Vereine, habe überall etwas mitgenommen und viele Menschen kennengelernt und bin selbst gereift. Ich möchte die Zeit nicht missen.

Weil Mittelstürmer mit deutschem Pass rar gesät sind, galten Sie in Ihrer besten Phase sogar als möglicher Nationalspieler. Hat Joachim Löw mal angerufen?

Nein, meine Leistungen waren auch nicht konstant genug. Ich hatte sieben Einsätze in der U21 und habe fünf Tore geschossen, aber ich konnte mich selbst einschätzen. Damit es fürs Nationalteam reicht, musst du Stammspieler auf höchstem Niveau sein – ich war in Dortmund Ergänzungsspieler hinter Robert Lewandowski und kam nie so richtig zum Zug, in Berlin kamen früh Verletzungen dazu. Ich hatte keinen Grund, mich mit der Nationalelf zu beschäftigen.

Sie haben in der Bundesliga, im DFB-Pokal und in der Champions League gespielt. Gibt es zwei, drei Partien, die Ihnen besonders in Erinnerung bleiben?

Natürlich ist das Spiel dabei, das alle VfB-Fans nicht vergessen haben – das 4:4 am Freitagabend unter Flutlicht in Dortmund vor 80000 Zuschauern, als ich zwei Tore gemacht habe. Diese Bilder schaue ich mir immer wieder gerne an. Dann das Spiel mit Dortmund in der Champions League gegen Málaga, das wir in der Nachspielzeit noch mit zwei Toren gedreht haben und bei dem ich den 3:2-Siegtreffer vorbereitet habe. In Dortmund wird immer mein Name mit der Partie in Verbindung gebracht, das macht mich stolz. Für mich war es noch ein schönes Spiel, als ich in Berlin nach der ersten großen Knieverletzung über ein Jahr raus war und dann gegen Freiburg als Joker das Siegtor in der Nachspielzeit erzielt habe.

Wo reiht sich vor dem Hintergrund Ihr erstes Oberligaduell als Co-Trainer der TSG beim FV Lörrach-Brombach ein?

Ich bin Sportsmann genug und wusste, auf was ich mich als Co-Trainer in der Oberliga einlasse. Mir war klar, dass es in Orte geht, die ich noch nicht kenne. Eine Busfahrt von dreieinhalb Stunden ist auch für Profis nichts Ungewöhnliches. Am Ende geht es um Punkte, und deshalb war es mit dem 2:0-Sieg eine gelungene Reise.

Wie kam es zur Entscheidung, in Ihrer Heimat ins Trainergeschäft einzusteigen und was waren die Alternativen?

Ich habe mich mit Alternativen kaum beschäftigt, weil ich nach vielen Umzügen in der Profizeit – meine drei Kinder sind alle in einer anderen Stadt geboren – eine Basis in Backnang für die nächsten Jahre haben wollte. Ich habe in Augsburg in der Zeit bei der U23 auch das Nachwuchsleistungszentrum (NLZ, d. Red.) kennengelernt und gemerkt, dass ich Trainer werden will. Dann kam der Kontakt zur TSG zustande, wir haben über die Möglichkeiten geredet. Ein starker Co-Trainer von Mario Marinic zu sein, ist ein guter Einstieg für mich, um im Fußballgeschäft zu bleiben und nebenher die DFB-Elite-Jugend-Lizenz zu machen.

Sie hatten Trainer wie Klopp, Labbadia, Hecking oder Dárdai. Von wem haben Sie sich etwas abgeschaut und haben Sie noch Kontakt zu Ihren Ex-Trainern?

Jeder Trainer ist ein Unikat und zurecht in der Bundesliga, weil er was Spezielles hat. Natürlich ist Jürgen Klopp der prominenteste Name, ihn kann man nicht kopieren oder nachahmen. Er ist ein Phänomen als Motivator, Mensch, Freund, Trainer, Autoritätsperson. Er verkörpert alles in einem und es macht Spaß, für ihn und mit ihm zu arbeiten. Ich rufe ihn nicht jede Woche an, aber nach speziellen Spielen und Erfolgen oder zum Geburtstag schreibe ich ihm und von ihm kommt immer etwas zurück. Spätestens nach 24 Stunden taucht sein Name auf meinem Handy auf. Wenn ich mal einen Rat bräuchte, steht er bestimmt parat. Ich hatte aber auch sonst viele tolle Trainer, auch wenn man als Spieler mal unzufrieden ist. Etwa Pál Dárdai, der klare Ansagen macht, aber damit konnte ich umgehen. Oder Dieter Hecking, ein sehr erfahrener Trainer 2010/2011 in Nürnberg, das war für uns junge Kerle sehr lehrreich.

Nun sind Sie als Co-Trainer der verlängerte Arm von Spielertrainer Mario Marinic an der Seitenlinie. Eine Rolle, an die Sie sich schon gewöhnt haben?

Ich wusste am Anfang nicht so richtig, was auf mich zukommt. Dazu war der Einstieg nicht optimal mit dem Schlüsselbeinbruch, den ich mir auf dem Mountainbike zugezogen habe. Das ist eine blödere Verletzung, als ich dachte. Inzwischen geht es mir besser und ich fühle mich immer wohler. Mario ist ein sehr impulsiver Trainer – da passt es ganz gut, der ruhigere Gegenpart am Spielfeldrand zu sein und ihn mit meiner sachlichen Analyse zu helfen. Es ist gut angelaufen, aber es bleibt ein Prozess. Trainer wird man nicht von heute auf morgen, so einfach ist das nicht. Ich muss noch viel lernen.

Mario Marinic ist als Chefcoach auch noch ein Neuling. Besteht nicht die Gefahr, dass Sie mit Ihrer Profivergangenheit denken, dies oder das wüsste ich jetzt besser als mein Vorgesetzter?

Es ist immer ein Miteinander. Er hat seine Ansichten, ich habe meine Ansichten. Wir sind manchmal nicht einer Meinung, das ist normal. Dann gilt es, Kompromisse zu finden. Wir harmonieren gut. Mario macht einen super Job, hat eine gute Ansprache, kommt bei den Jungs gut an. Wir sind auf einem guten Weg, sind ein gutes Team. Weil Mario die Doppelrolle als Spielertrainer auszufüllen hat, müssen ihn Saki (der zweite Co-Trainer Isaak Avramidis, d. Red.) und ich mit aller Kraft unterstützen, denn sein Spiel darf keinesfalls darunter leiden.

Sie wagten erst in der U19 den Sprung zum VfB. Keven Schlotterbeck war sogar 20, als er von der TSG nach Freiburg ging. Sehen Sie im aktuellen Kader einen ähnlichen Spätzünder?

Es gibt immer wieder Quereinsteiger, die es in den Profifußball schaffen. Wir haben eine junge, talentierte Truppe und es gibt Spieler, die sicher noch ein, zwei Klassen höher spielen wollen. Das merkt man. Sie kommen nicht, um ein bisschen zu kicken, sondern wollen Zug drin haben. Disziplin ist da und nur so geht’s, wenn man irgendwann den nächsten Schritt machen will.

Was trauen Sie der TSG diese Saison zu?

Für mich ist es als Oberliga-Neueinsteiger noch etwas schwer einzuschätzen. Ich kenne die Mannschaften noch nicht, aber wir haben das erste Auswärtsspiel in Unterzahl souverän gewonnen. Das ist zumindest ein erster Maßstab und ich denke, dass es das Ziel sein muss, im Mittelfeld zu landen. Wir wollen mit dem Abstieg nichts zu tun haben und die Großen immer wieder ärgern.

Ein letztes Mal die große Frage: Ist es wirklich ausgeschlossen, dass Sie die TSG-Fans auch als Spieler und Teil eines Sturmduos Schieber/Marinic sehen?

Ja, weil wir nur mit einem Stürmer spielen (lacht). Viele glauben immer noch, dass ich irgendwann dazustoße und wenn ich wie kürzlich beim Training neue Fußballschuhe auspacke, denken alle, jetzt ist es so weit. Nein, ich habe die Entscheidung getroffen, wegen der Gesundheit als Profi aufzuhören, und sehe jetzt keinen Grund, in der Oberliga zu spielen. Das bedeutet auch einen hohen Trainingsaufwand und ich merke jetzt, wo ich eine Weile raus bin, dass es dadurch ja nicht besser wird. Der Körper erholt sich, aber es fehlt die Muskulatur. Man ist nicht mehr so dynamisch, wie man es gewohnt war. Ich will Lücken im Training auffüllen und bei manchen Spielformen am Ball sein, aber ich werde kein Oberligaspiel machen.

Dann hat es sich auch erledigt, zum Abschluss noch einmal mit den alten Kumpels vom SV Unterweissach zu kicken?

Als ich diesen Gedanken hatte, war mein gesundheitlicher Zustand noch besser. Am Spaßfaktor liegt es nicht. Wenn ich einen Rasen wie beim Pokalspiel in Essingen sehe, dann kribbelt es bei mir schon. Ich hätte Bock, wieder zu kicken, aber ich kann meinen Körper ganz gut einschätzen.

Sie sind Profi im Ruhestand, Co-Trainer, dreifacher Familienvater, Mitinhaber des Cafés Fancy in Backnang. Haben Sie für sich eine Berufsbezeichnung?

Derzeit fühlt es sich noch wie Urlaub an, aber ich suche nach den Sommerferien auch tagsüber eine Beschäftigung. Ich will aber nichts übers Knie brechen. Ich will die Trainerlizenz intensiv angehen und mein Englisch verbessern, weil ein Trainer das auch braucht. Den August warte ich aber ab und genieße es wie einen Urlaub. Dafür habe ich ja abends bei der TSG jede Menge zu tun.

Das Gespräch führte Steffen Grün.

Julian Schieber

Am 13. Februar 1989 kommt Julian Schieber in Backnang zur Welt. Er wächst in Unterweissach auf, wo seine Familie eine Baumschule betreibt. Heute lebt der 32-Jährige mit Frau Stephanie, zwei Söhnen und einer Tochter wieder in seiner Geburtsstadt.

Schieber beginnt beim SVU mit dem Fußball. In der U17 geht es zur TSG, im WM-Sommer 2006 in der U19 zum VfB. Sein Bundesliga-Debüt feiert der Stürmer am 6. Dezember 2008: Er wird beim 3:0-Sieg in Cottbus in der 80. Minute eingewechselt. Sein erstes Bundesliga-Tor folgt am 15. August 2009 beim 4:2-Heimsieg gegen Freiburg.

Weitere Erstliga-Stationen: 1. FC Nürnberg (2010/2011), nach der Leihe nochmals der VfB (2011/2012), Borussia Dortmund (2012 bis 2014), Hertha BSC Berlin (2014 bis 2018) und der FC Augsburg (2018 bis 2021). Mit dem BVB wird Schieber zweimal Vizemeister und zieht 2014 ins DFB-Pokal-Finale ein. Der Höhepunkt ist das Champions-League-Endspiel 2013, obwohl er bei der 1:2-Niederlage gegen die Bayern vor knapp 90000 Zuschauern im Wembley-Stadion erst in allerletzter Minute eingewechselt wird.

Julian Schieber bestreitet 167 Bundesliga-Spiele (27 Tore/14 Vorlagen). Dazu kommen unter anderem 18 Champions-League-Partien (1/2) und 24 DFB-Pokal-Duelle (7/2).

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Erstellt:
14. August 2021, 06:00 Uhr

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