Aufrüstung
Europa wappnet sich für einen drohenden Krieg
Angesichts der Bedrohung aus Russland hält die EU-Kommission einen Überfall für nicht mehr ausgeschlossen. Deshalb legt Brüssel eine Strategie zur Aufrüstung Europas vor.

© AFP/NICOLAS TUCAT
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen präsentiert ein Strategiepapier zur Aufrüstung Europas.
Von Knut Krohn
Es kommt selten vor, dass die EU-Kommission römische Militärstrategen zitiert. „Qui desiderat pacem, bellum praeparet“, schreibt Vegetius etwa 400 Jahre nach Christi Geburt. In einem am Mittwoch vorgelegten Brüsseler Strategiepapier zur Zukunft der europäischen Verteidigung heißt es daran angelehnt: „Wenn Europa den Krieg vermeiden will, muss es bereit für den Krieg sein.“ Die EU schätzt die Gefahr eines groß angelegten Angriffes mit Russland als sehr real ein und fordert zum Handeln auf. „Die Geschichte wird uns Untätigkeit nicht verzeihen“, warnt die EU-Kommission.
Russland betreibt längst eine Kriegswirtschaft
Woher die Gefahr droht, ist für Brüssel eindeutig: Russland sei unwiderruflich auf dem Weg zu einer Kriegswirtschaft und setze seinen Angriffskrieg in der Ukraine fort, heißt es in dem sogenannten Weißbuch. Gleichzeitig bereite sich der Kreml auf künftige Konfrontationen mit europäischen Demokratien vor. Das Papier ist Diskussionsgrundlage für die EU-Staats- und Regierungschefs, die am Donnerstag in Brüssel zu einem Gipfel zusammenfinden.
Die Präsentation des Strategiepapieres ist der zweite Schritt auf dem Weg, die Rüstung in Europa anzukurbeln. Bereits vor einigen Tagen wurde von der EU-Kommission angekündigt, dass zu diesem Zweck in den kommenden Jahren rund 800 Milliarden Euro mobilisiert werden sollen. Dafür sind unter anderem EU-Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro sowie Ausnahmen von den strengen EU-Schuldenregeln vorgesehen.
Europa hat aus dem Verlauf des Krieges gelernt
Deutlich wird, dass die Kommission aus dem Verlauf des Krieges in der Ukraine gelernt hat. So werden sieben Bereiche definiert, in denen bestehende militärische Fähigkeitslücken geschlossen werden müssen. Dazu gehören etwa die Luftverteidigung und Raketenabwehr, Drohnensysteme sowie die elektronische Kriegsführung.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte tags zuvor in einer Rede beim Besuch der dänischen Militärakademie in Kopenhagen unterstrichen, dass Europa bis 2030 „die Fähigkeiten für eine glaubwürdige Abschreckung entwickelt haben“ müsse. Dazu müssten „groß angelegte Projekte entwickelt und die Zusammenarbeit bei der Beschaffung“ verstärkt werden.
Das Weißbuch ist ein diplomatischer Drahtseilakt
Aus dem Europaparlament kommt Zustimmung zur grundsätzlichen Analyse der aktuellen Situation. Tobias Cremer, verteidigungspolitischer Sprecher der Europa-SPD, sind die darin gemacht Aussagen allerdings zu eng gefasst. „Im Weißbuch fehlt insbesondere eine klare Vision, die Verteidigungsausgaben in eine umfassende Investitionsstrategie einbettet“, beklagt der Europaparlamentarier. Er wünscht sich „eine Strategie, die nicht nur die militärischen Fähigkeiten stärkt, sondern auch die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und soziale Resilienz Europas fördert“.
Das Strategiepapier entpuppt sich auch als ein diplomatischer Drahtseilakt. In Kopenhagen warnte Ursula von der Leyen noch sehr deutlich, dass US-Präsident Donald Trump seinen Fokus nicht auf Europa habe. „Die Sicherheitsarchitektur, auf die wir uns verlassen haben, dürfen wir nicht mehr für selbstverständlich nehmen,“ sagte sie. In dem Weißbuch wird hingegen ausdrücklich darauf geachtet, dass das Papier von Washington nicht als eine Art Scheidungsurkunde interpretiert werden könnte. Im Gegenteil, es wird die Notwendigkeit einer „starken transatlantischen Verbindung“ im Rahmen der Nato betont.
Mühsames Ringen um die richtige Wortwahl
Wie sehr in Brüssel um die richtige Wortwahl gerungen wurde, belegt eine frühere Version des Papieres. Darin wird noch vor einer zu großen Abhängigkeit von den USA gewarnt, die möglicherweise die Nutzung von zentralen Komponenten unterbinden könnten, indem sie etwa wichtige Software-Updates nicht liefern. Besonders gilt dies für Hightech-Produkte wie die neuesten Kampfjets des Typs Lockheed F-35. Deutschland hatte von ihnen erst vor drei Jahren 35 Stück bestellt. Diese kritische Passage hat es allerdings nicht in das offizielle Papier geschafft. Auch in diesem Fall hat Europa aus dem Krieg in der Ukraine gelernt. Die USA hatten aus der Ferne den Einsatz von US-Waffen eingeschränkt, weil die Regierung in Kiew sich offensichtlich weigerte, einen in ihren Augen unzumutbaren Rohstoff-Deal abzuschließen.
Wie es aus Berliner Regierungskreisen am Mittwoch hieß, hoffe man, dass Donald Trump die Anstrengungen Europas beim Aufbau einer eigenen Verteidigungsstruktur nicht als Abnabelungsprozess verstehe. Ganz im Gegenteil: dadurch werde die Nato noch enger zusammenwachsen, da der europäische Pfeiler der Allianz massiv gestärkt werde. Das sei schließlich eine Forderung, die der US-Präsident immer wieder formuliert habe.