Internationales Bachfest Stuttgart
Feier des peruanischen Barock
Das Bremer Alte-Musik-Ensemble Los Temperamentos hat beim Bachfest mit seiner „Fiesta Peruana“ das Publikum im Theaterhaus begeistert.

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Das Ensemble Los Temperamentos
Von Verena Großkreutz
Was ist Musik? Die verbreitete Annahme, sie sei eine universelle Sprache, lässt außer Acht, dass musikalische Ausdrucksweisen mindestens so vielfältig sind wie die natürlichen Sprachen. Ja, Musik funktioniert geradezu wie ein Schwamm, der ständig alle Stile, alle Klänge in sich aufsaugen kann.
Rhythmisch befeuert
Beim Bachfest, im großen Saal des Stuttgarter Theaterhauses, konnte man ein hochinspirierendes Konzert miterleben: mit barocker Musik aus dem Peru des 18. Jahrhunderts, als das Land nach blutiger Eroberung unter spanischer Krone stand. Das Bremer Alte-Musik-Ensemble Los Temperamentos in der Leitung von Néstor Fabián Cortés Garzón spielte unter dem Motto „Fiesta Peruana“ die Musik aus dem Kodex des Martinez Compañón, eines Bischofs, der in den 1780er Jahren Peru bereiste, um kulturell Interessantes dokumentarisch aufzeichnen. Musik, die unsere Vorstellung, wie barocke Musik zu klingen hat, schlagartig erweitert.
Mit der religiösen oder elitär-steifen höfischen Kultur, die die meisten mit dem Barock assoziieren, hat sie jedenfalls wenig gemein. Sie ist rhythmisch enorm versiert (Rumba, Tango, Flamenco lassen grüßen), sie verbindet Tanz mit Gesang, der auf Texten basiert, die bei aller Poesie oft auch den Alltag der Menschen widerspiegeln, und sie zeigt Haltung: etwa im herzergreifenden „Tonada el Tupamaro“, einem Trauergesang für Atahualpa, dem letzten Inkaherrscher, der von den spanischen Konquistadoren 1533 hingerichtet wurde.
Ratschende Eselskieferknochen
Ein Konzert, das das musikalische Prinzip der Fusion auf sehr plastische Weise hörbar machte: Im Gesang und auf der Flöte entfalten sich die Melodien der indigenen Kulturen; in der Harmonik und der Besetzung von Streichern, Cembalo und Barockgitarre werden Einflüsse der Europäer erlebbar; in der Rhythmusgruppe aus Kistentrommeln, Marimbol und ratschenden Eselskieferknochen offenbart sich die Musik der afrikanischen Bevölkerung – der von den Spaniern nach Peru verschleppten Sklaven, denen es verboten war, ihre traditionellen Trommeln zu spielen. Acht Tanzprofis des Ballet Folclórico del Perú in wechselnden authentischen Kostümen standen den zwölf Musizierenden zur Seite, befeuerten deren mitreißenden, lebensbejahenden Drive durch körperlich in Szene gesetzte Tanzwut und mit wesentlich weniger Bodenhaftung, als wir es aus Europa kennen – ob in Paar-, Gruppen- oder Ringtänzen. Das Publikum am Ende frenetisch jubelnd, das Ensemble davon gerührt.