Kabarettist Gerhard Polt kommt ins Theaterhaus
Herr Polt, stirbt der Humor aus?
Grandseigneur der Kleinkunst und Naturgewalt des bayrischen Kabaretts: Gerhard Polt spricht über Alltagsmenschen als Entertainer, die Generation junger Comedians, den Triumph der AFD, den flackernden Trump und Spaziergänge durchs zerbombte München.

© imago/Sven Simon/Frank Hoemann/-
Er würde den Humor unter Artenschutz stellen: Gerhard Polt
Von Roland Müller
Gleich zweimal, am Dienstag und Mittwoch dieser Woche, tritt der 82-jährige Gerhard Polt zusammen mit den Well-Brüdern im Stuttgarter Theaterhaus auf. Auch in seinem neuen Programm „Apropos“ geht er mit Meckerlachen und grantigem Blick dem Gedankenunrat in den Köpfen der Menschen nach.
Herr Polt, was erwartet das Publikum in „Apropos“?
Es wird sich nicht groß umstellen müssen. Es kennt unser Muster: alte und neue Geschichten mit musikalischer Begleitung durch die Well-Brüder. Den exakten Ablauf legen wir kurzfristig fest, manchmal in dem mit Instrumenten vollgepackten Van, mit dem wir von Station zu Station fahren, manchmal auch erst, für den zweiten Teil von „Apropos“, in der Pause. Da ich mit den Well-Brüdern seit 45 Jahren unterwegs bin, können wir aus unserem Repertoire schöpfen und dazu einige neue Nummern spielen.
In Ihren Bühnenfiguren verbünden sich Gedankenlosigkeit, Gefühlsarmut und Grausamkeit gegen den Rest der Welt. Warum?
Weil ich Menschen gerne studiere. Ich höre ihnen zu, was sie erzählen, wie sie erzählen, was sie meinen. Dann kommen all diese auf fragliche Weise unterhaltsamen Typen raus. Als Entertainer ist der Mensch unschlagbar.
Da Sie den Leuten aufs Maul schauen: Wundert Sie der Triumph der AfD bei den Bundestagswahlen?
Er wundert mich nicht, aber mit meinen kabarettistischen Erkundungen hat das nichts zu tun. Eine der besten Serien des Bayerischen Fernsehens war „Die Löwengrube“, die Geschichte der Familie Grandauer von 1890 bis 1950. Darin wird geschildert, wie Menschen in der Weimarer Zeit von Überzeugungen abrücken. Wie ökonomische Abhängigkeiten, soziale Beziehungsgeflechte und Obrigkeiten in ihr Leben eingreifen. Wie dieses spinnwebige Netz dazu führt, dass Haltungen und Ansichten kippen und die gesamte Gesellschaft von Hysterien erfasst wird. Leider Gottes hat die ARD die „Löwengrube“ nie im Ersten gezeigt, auch in der Mediathek ist die Serie nicht zu finden. Sie hatte die Kraft von Oskar Maria Graf, Lion Feuchtwanger oder Ödön von Horváth. Horváth ist für mich sowieso der beste deutschsprachige Dramatiker: Die Figuren, die er entwirft, sind nicht nur zeitlos aktuell, sondern heute sehr akut.
Vor fünf Jahren haben Sie in München eine „Kundgebung gegen AfD und rechten Terror“ unterstützt. Hilft so etwas gegen den Spuk?
Ich glaube nicht. Ich bin kein Aktivist. Ich werde oft gefragt, ob ich mit meiner Arbeit die Welt verändere. Das tue ich nicht. Aber: Ein Mensch, der auf der Bühne steht, kann im Glücksfall die Sichtweise eines anderen Menschen ändern. Bei mir war’s so. Leute wie Karl Valentin haben mich tief beeindruckt.
In einem kurzen, griffigen Manifest schreiben Sie: „Humor macht immun gegen Radikalismus.“ Wenn ich auf die gesellschaftliche und politische Entwicklung schaue, muss ich dann folgern, dass der Humor bei uns ausstirbt?
So weit würde ich nicht gehen. Aber er wird weniger und müsste unter Artenschutz gestellt werden. Es ist paradox: Bei einer Straßenumfrage sagen gewiss weit mehr als neunzig Prozent der Menschen, dass sie Humor haben, aber eine hohe Anzahl von ihnen weiß auch ziemlich genau, wo der Humor aufhört. Sie fällen schnell Urteile und verlernen das heitere Abwägen.
Auch Ihr Humor ist schon oft beanstandet worden. Zuletzt in Ihrem aktuellen Theaterstück „A scheene Leich“ in den Münchner Kammerspielen.
Ich hatte den Vorschlag gemacht, darin unter anderem die Figur eines indischen Pfarrers in der bayerischen Diaspora zu schildern. Sofort kamen Bedenken aus der Dramaturgie, die einen Shitstorm befürchtete. Die berühmte Korrektness! Ich wohne 40 Kilometer außerhalb von München in einem kleinen Ort und habe selbst erlebt, wie ein sehr sympathischer Inder bei einer Totenmesse auf verlorenem Posten stand, erst recht in einem Landstrich mit ausgeprägtem bayrischen Dialekt. Der Pfarrer hat die Messe auf Englisch gehalten, auf Deutsch war er noch weniger zu verstehen. Das war schon komisch. Aber wenn ich das schildere, gilt es als rassistisch. In München, vermutlich auch in Stuttgart, hat man sowieso kaum eine Ahnung vom Landleben mit all seinen Traditionen, Brauchtümern und Redeweisen. Was in der Stadt bisweilen als derbe Beleidigung gilt, wird auf dem Dorf als humorvoll empfunden.
Ändert sich der Humor heute generell?
Durch die jungen Comedians, ja! Internet und soziale Medien beschleunigen das Redetempo und verkürzen beim Publikum die Aufmerksamkeitsspanne. Die Diktion ist anders als die früherer, belesener Kabarettisten, die ihren geschliffenen Stil noch an der Literatur geschult haben. Heute schulen sich wohl viele Comedians nur noch am Handy.
Von der kabarettistischen zur weltpolitischen Bühne: Einen Monat nach dem Überfall auf die Ukraine, im April 2022, gehörten Sie zu den Erstunterzeichnern eines Offenen Briefs an Olaf Scholz . . .
. . . worin wir aus Angst vor einem Dritten Weltkrieg an den Bundeskanzler appellierten, seine besonnene Haltung nicht aufzugeben. Dazu stehe ich bis heute. Das Risiko einer Eskalation ist schließlich nicht gebannt.
Aber ist es nicht gemildert durch die von Trump und Selenskyj angestrebte Waffenruhe?
Wenn sie denn kommt. Abgesehen davon, dass auch Putin dazu bereit sein muss, weiß man bei Trump nie, woran man ist. Ein erratischer, flackernder, irrlichternder Mensch, der seine Meinung mehrmals am Tag ändert. Aber den Menschen in der Ukraine würde ich nichts mehr wünschen als Frieden, selbst wenn der Preis dafür hoch ist. Als kleiner Bub bin ich nach Kriegsende durch die Straßen von München gegangen. Es sah aus wie in Gaza: nichts als Ruinen. Fürchterlich! Das prägt mich bis heute.
Der Bühnenmensch Gerhard Polt
Freundschaft Der 1942 in München geborene, in Schliersee lebende Gerhard Polt arbeitet seit mehr als fünfzig Jahren als Kabarettist. Unmittelbar nach dem Beginn seiner Karriere lernte er in München Werner Schretzmeier kennen. Seitdem verbindet ihn mit dem Chef des Stuttgarter Theaterhauses eine enge Freundschaft – und freut sich, dass das Kulturzentrum Ende März sein 40-Jahr-Jubiläum feiern kann.
Vergnügen Ans Aufhören denkt der bald 83-jährige Kabarettist nicht. Was er reduzieren will, sind ausgedehnte Tourneen; auf Auftritte will er aber nicht verzichten, solange sie ihm Vergnügen bereiten – und den Zuschauern auch.
Termine Polt und die Well-Brüder gastieren am Dienstag und Mittwoch, 18. und 19. März, um 20 Uhr im Theaterhaus.