Freilichtspektakel als Zeichen der Zeit
Christian Schweizer informiert in einem Vortrag umfassend über die Römerfestspiele zwischen 1925 und 1928, bei denen zahlreiche Murrhardter Bürger sowie Tiere mitwirkten. In der Inszenierung spiegelten sich auch damalige Themen und politische Stimmungslagen wider.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Mitte der 1920er-Jahre lockten die Römerfestspiele Tausende von Zuschauern in die Walterichstadt und auf den Festplatz am Römersee. In seinem reich mit historischen Bildern illustrierten Vortrag erläutert Christian Schweizer vor etlichen Interessierten die Hintergründe dieses Großprojekts und ordnet es historisch ein. Dafür hat der Urenkel des einstigen Festspielleiters Carl Schweizer in historischen Quellen, Zeitzeugenberichten und Fachliteratur recherchiert.
Nach der schweren Krisenzeit Anfang der 1920er-Jahre galt es, sich wieder als attraktives Fremdenverkehrsziel und Luftkurort zu präsentieren und möglichst viele Gäste in die Walterichstadt zu locken. Diesen wollten Stadtverwaltung, Bildungsbürgertum und Teile der Bevölkerung ein historisches Freilichtfestspiel bieten, das die Geschichte der Germanen und Römer am Limes erzählte. Im Zuge der Heimatkunstbewegung, die Natur und Kultur verbinden wollte, gab es in der Region einige Vorbilder wie die Backnanger Festspiele oder die Freilichtspiele in Schwäbisch Hall.
Schauspiel mit 300 Personen
Hinzu kam der nationalistisch-völkische Zeitgeist mit Sehnsucht nach „besseren Zeiten“ und Vergangenheitsverklärung, erläuterte Schweizer. Aufsehen erregte ein Festzug beim Bauerntag 1924 mit Reitern, die Germanen in Fellen und mit Hörnerhelmen darstellten. Zur Jahreswende von 1924 auf 1925 bildete sich ein Festausschuss und gründete sich der Verein „Festspielgemeinde“. Studienrat Reinhold Schöpfer, Lehrer an der Lateinschule, schrieb dazu das von älteren Werken ähnlichen Inhalts inspirierte Schauspiel „Am Römerwall“ und war künstlerischer Festspielleiter. Die Hauptrollen übernahmen Carl Schweizer als Germanenhäuptling Gundobad, der nicht verwandte Wilhelm Schweizer trat als Römerkommandant Quintus Aurelius auf. Es war ein großes Wagnis und überaus aufwendig: Rund 300 Personen verwandelten sich in ehrenamtlich engagierte, enthusiastisch agierende Laiendarsteller, hinzu kamen zahlreiche Pferde. Eine besondere Rolle spielte ein Bär, den ein Mann im Bärenkostüm darstellte, so der Museumsleiter.
Die dramaturgisch spannend aufgebaute Inszenierung veranschaulicht, wie Germanen in einem idyllischen Dorf die Befreiung von den Römern planen. Doch ein Spion verrät dies den Römern, worauf diese die Germanen überfallen und sie für sich als Sklaven und Dienerinnen arbeiten lassen. In der zweiten Fassung kam ein Floralienfest hinzu: Dazu schleichen die Germanen sich ein und übertölpeln die Römer. Am Schluss tritt ein frühchristlicher Wandermissionar auf, ein Hinweis auf Walterich. Für die Aufführungen erweiterte man die Sitzreihen aus Holzstangen und baute eine Germanenhütte auf dem Festplatz. Handwerkerfamilien schufen die umfangreichen Ausstattungen und Requisiten, die Stadtverwaltung trug zur Finanzierung bei, Robert Franck und Wilhelm Schweizer waren Sponsoren. Ein außergewöhnliches, bei Freilichtspielen nicht übliches Vorspiel war der Festzug vom Marktplatz hinauf zum Römersee. Zur Premiere am 21. Juni kamen über 2000 Zuschauer, weitere Aufführungen folgten Ende Juni, im Juli, August und September 1925.
Leider gab es gesellschaftliche Spannungen. Ungeklärt blieben eine Brandstiftung, die den Rindenschuppen bei der Lederfabrik Schweizer einäscherte, und ein Luftgewehrschuss auf das Pferd von Carl Schweizer, der trotz Armbruch weiter mitspielte. 1926 zeigte man erstmals den 1925 gedrehten Film, doch wegen wirtschaftlicher Probleme gab es nur drei Aufführungen. In der Überarbeitung des Stücks kamen nationalistische Elemente hinzu, worauf Carl Schweizer die technische Festspielleitung niederlegte.
1927/28 übernahmen diese der aus dem Elsass stammende Schriftsteller Hans Karl Abel und Wilhelm Schweizer, sie ergänzten die Handlung um Massenszenen und einen Gladiatorenkampf. 1928 führte man das neue Stück „Hiltmar“ auf, ebenfalls von Reinhold Schöpfer, das die Vorgeschichte zum „Römerwall“ erzählt.
Parallelen zur damaligen Zeitgeschichte
Darin besetzen und unterwerfen die Römer das freie Germanien mit einem ungerechten Vertrag. Die Handlung weist klare Bezüge zum Friedensvertrag von Versailles auf, die Römer werden verschlagen und verkommen dargestellt, ähnlich den Franzosen.
Die Germanen treten hingegen als edle, starke Helden auf, aber ihr Schlachtengesang wirkt fast schon wie ein nationalsozialistisches Kampflied, das den „Führer“ verherrlicht. Das für Laiendarsteller ungeeignete Stück kam jedoch beim Publikum nicht an. Darum entschied man im Oktober 1928, keine weiteren Aufführungen zu machen.
Abschließend zeigt Schweizer den von Fotograf Friedrich Weber 1925 gedrehten und von Karl Rössle aufbereiteten unvollständig erhaltenen Originalfilm. Dieser Film vermittelt gute Eindrücke vom Spiel mit wilden Kampf- und anmutigen Tanzszenen sowie den Gegensatz zwischen urwüchsigen Germanen und genusssüchtigen Römern.