Nostalgie in der Weihnachtszeit

Früher war mehr Lametta

„Früher war mehr Lametta!“, erinnert sich der Opa in Loriots Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“. Doch stimmt das wirklich? War früher tatsächlich mehr Lametta? Und war früher alles besser? Wann ein bisschen Nostalgie gut tut und wo man aufpassen muss.

Weihnachten anno 1959: Die Eltern schmücken im trauten Heim gemeinsam den Weihnachtsbaum.

© Imago/Serienlicht

Weihnachten anno 1959: Die Eltern schmücken im trauten Heim gemeinsam den Weihnachtsbaum.

Von Markus Brauer/dpa

Lametta ist out. Die schmalen goldenen und silberfarbenen Glitzerstreifen, die früher fast jeden Christbaum schmückten und ihn wie ein Wesen aus einem Märchenland aussehen ließen, sind längst in der Mottenkiste weihnachtlichen Brauchtums verschwunden. Vom Kassenschlager zum altbackenen Ladenhüter.

„Weihnachten bei Hoppenstedts“ 

 

 

„Früher war mehr Lametta“, klagt Opa Hoppenstedt im legendären Loriot-Sketch „Weihnachten bei Hoppenstedts“ Ende der 1970er. Darin sagt der Vater (Heinz Meier) an Heiligabend: "Jetzt wird erst der Baum fertig geschmückt, dann sagt Dicki ein Gedicht auf, dann holen wir die Geschenke rein, dann sehen wir uns die Weihnachtssendung im Ersten Programm an, dann wird ausgepackt, und dann machen wir's uns gemütlich . . ."

Und Evelyn Hamann als Mutti antwortet: "Nein, Walter, erst holen wir die Geschenke rein, dann sagt Dicki ein Gedicht auf und wir packen die Geschenke aus, dann machen wir erst mal Ordnung, dabei können wir fernsehen, und dann wird's gemütlich."

War früher wirklich mehr Lametta?

Lametta ist quasi ein Symbol für den gesellschaftlichen Wandel des Weihnachtsfestes. Früher war nicht nur mehr Lametta – früher waren auch mehr Vorlesegeschichten, mehr selbst gesungene Weihnachtslieder vor dem geschmückten Tannenbaum, mehr selbst gebackene Lebkuchen und Plätzchen.

Zeitlose weihnachtliche Rituale

Nicht zu vergessen die wochenlange Vorfreude auf die Bescherung, der man als Kind entgegenfieberte, weil man bis zuletzt nicht wusste, was das Christkind bringen würde. Und dann die Erzählungen von Peter Rosegger, die zu jedem Fest dazugehörten.

Das Herz hängt an solchen liebgewonnenen Bräuchen. Zum Glück gibt es immer noch die zeitlosen Rituale: das Glöckchen, das zart die Bescherung einläutet, der illuminierte Christbaum, die vielen bunten Kugeln, das üppige Festtagsessen.

Wann wird der Weihnachtsbaum aufgestellt?

Jedes Jahr werden rund 25 Millionen Weihnachtsbäume in Deutschland verkauft. Der Christbaum zu Hause wird einer neuen Umfrage zufolge immer früher aufgestellt. So ergab die diesjährige Befragung des Portals "Statista":

  • 30 Prozent der Weihnachtsbaum-Käufer stellen den Tannenbaum schon Anfang Dezember auf. In einer vergleichbaren Umfrage vor fünf Jahren sagten dies nur 18 Prozent.
  • Rund 28 Prozent machten in der Umfrage 2024 die Angabe, den Baum Mitte Dezember aufzustellen (2019: 26 Prozent).
  • 29 Prozent platzieren und schmücken den Tannenbaum wenige Tage vor Heiligabend (2019: 38 Prozent).
  • 12 Prozent schmücken ihn an Heiligabend selbst (16 Prozent vor fünf Jahren).

Amerikanisierung in deutschen Wohnungen?

Weit mehr als die Hälfte derjenigen, die sich einen Baum ins Zuhause holen, stellt den Baum daheim also schon mehr als eine Woche vor dem Fest auf. Manche sprechen von einer Amerikanisierung. In den USA holen sich viele Menschen einen Baum schon direkt nach Thanksgiving Ende November ins Haus. Er fliegt dann entsprechend schon vor Silvester wieder raus, während in Deutschland den Baum viele bis ins neue Jahr als Mitbewohner haben.

Früher, im noch christlicher geprägten (West-)Deutschland, war es in vielen Familien eine gängige Tradition, den Baum erst am Tag vor Heiligabend aufzustellen, ihn knapp vor der Bescherung sogar erst zu schmücken.

Zeit der Rückbesinnung

 

 

Das Jahresende ist auch die Zeit der Rückbesinnung. Man denkt zum Beispiel an die vielen schönen Erlebnisse des Jahres zurück, erinnert sich an die Weihnachtsfeste als die Großmutter noch lebte und wie aufregend Silvester als Kind war. Ein wenig wehmütig fühlt man sich dabei.

Aber es ist auch ein wohliges Gefühl, in Nostalgie zu schwelgen. Früher schien vieles besser gewesen zu sein und das Leben angesichts einer Welt in gefühltem Dauerkrisenmodus deutlich einfacher. Aber war das tatsächlich so? Und welche Gefahr birgt dieses Gefühl?

Was ist Nostalgie? Eine Spurensuche

 

 

Um das zu beantworten, muss man zunächst klären, was Nostalgie eigentlich ist. „Nostalgie bedeutet, dass man sich nach etwas aus der Vergangenheit sehnt, das man vermisst“, erklärt der Historiker Tobias Becker von der Freien Universität (FU) in Berlin. Er beschäftigt sich schon länger mit der Geschichte der Nostalgie und hat gerade ein Buch dazu veröffentlicht.

Nostalgie habe aber auch immer etwas Schmerzhaftes, so Becker. „Wir erinnern uns an etwas Schönes zurück, aber wir wissen, dass der Moment vorbei ist und wir ihn nicht wiederholen können.“

Nostalgie als psychologische Ressource

 

 

Kriege in der Ukraine und in Gaza, regelmäßig wiederkehrende Nachrichten über Naturkatastrophen, die Klimakrise: Gerade in Zeiten von Umbrüchen schwelgten die Menschen in Nostalgie, sagt der Kölner Medienpsychologe Tim Wulf. „Nostalgie kann eine psychologische Ressource sein.“ Wenn man zum Beispiel eine Prüfung bestehen müsse, dann könne man sich an Momente zurückerinnern, in denen man etwas Ähnliches bewältigt habe.

Objektiv betrachtet war in früheren Zeiten natürlich nicht alles besser. Da reicht schon ein Blick in die Geschichtsbücher. „Letztlich weiß man immer auch, wenn man nostalgisch ist, dass es nie so war, wie das, wonach man sich da gerade sehnt. Dass das natürlich eine imaginierte Vergangenheit ist“, betont der Germanist Stephan Pabst von der Universität Halle.

Zurückträumen in die Vergangenheit

 

 

Trotzdem habe es etwas Anheimelndes und Stabiles, sich in vergangene Zeiten zurückträumen, sagt Becker. „In unserer eigenen Gegenwart wissen wir ja nie, wie es ausgeht. Wir haben immer das Gefühl, wir leben in einer Krisenzeit.“ Die Vergangenheit sei dagegen abgeschlossen, der Ausgang bekannt. Krisen, Zwischen- und Wendezeiten bedeuten immer auch Ungewissheiten und Wagnisse. Geborstenes wird weggeräumt, Neues aufersteht aus Ruinen.

„Ich würde sagen, dass wir seit 20, 30 Jahren in einer Konjunktur der Nostalgie leben“, erläutert Pabst. Im Vergleich zu den späten 1990er und 2000er Jahren, in denen eine ästhetische Konsumartikel-Nostalgie im Vordergrund gestanden habe, sei die Nostalgie nun in die Politik gewandert. „Etwas Vergangenes, das es nie gab und von dem niemand weiß, was das eigentlich gewesen sein soll.“

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Erstellt:
8. Dezember 2024, 12:00 Uhr

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