Steuerbetrug in Milliardenhöhe

Gesetz torpediert Cum-Cum-Aufklärung

Eigentlich soll die Wirtschaft von Bürokratie entlastet werden. Aber ein geplantes Gesetz dazu torpediert die Aufklärung von Steuerdelikten. Das ruft harsche Kritik hervor.

Protest vor dem Prozessbeginn gegen einen Cum-Ex-Steuerbetrüger

© dpa/Thomas Banneyer

Protest vor dem Prozessbeginn gegen einen Cum-Ex-Steuerbetrüger

Von Thomas Magenheim

Es könnte eine Gesetzesnovelle werden, die Steuerkriminelle jubeln lässt. „Sobald das Gesetz in Kraft ist, werfen die ihre Schredder an“, fürchtet Anne Brorhilker. Als Ex-Staatsanwältin und Deutschlands lange führende Ermittlerin bei Steuerbetrug per sogenannter Cum-Ex-Aktiengeschäfte weiß die Geschäftsführerin der Bürgerorganisation Finanzwende, wovon sie spricht. Im Fokus hat sie mit Cum-Cum-Geschäften nun eine Variante des organisierten Steuerbetrugs, der bis 2020 allein geschätzte knapp 30 Milliarden Euro aus dem Steuersäckel geraubt haben dürfte und wohl bis heute weitergeht. Um solche Fälle strafrechtlich zu ermitteln, braucht es Buchungsbelege. Die Aufbewahrungsfristen dafür sollen nun per neuem Bürokratie-Entlastungsgesetz aber sinken.

„Das wird die Aufklärung von Steuerdelikten wie Cum-Cum erheblich erschweren, wenn nicht sogar verhindern“, sagt Brorhilker. Buchungsbelege, die von Banken demnächst nur noch acht statt heute zehn Jahre lang aufbewahrt werden müssten, seien für komplexe und langwierige Steuerermittlungen entscheidend. Bei Cum-Cum-Geschäften sind von Ausländern gehaltene Aktien zum Dividendenstichtag auf „Dividendenurlaub“ nach Deutschland geschickt worden um auf diese Weise im großen Stil Steuerpflichten zu umgehen, was 2015 höchstrichterlich als illegal gebrandmarkt wurde.

28,5 Milliarden Euro Steuerschaden

Im Gegensatz zur Cum-Ex-Variante seien Cum-Cum-Fälle bundesweit noch kaum ermittelt, betont Brorhilker. Geschätzt 28,5 Milliarden Euro Steuerschaden stünden bislang verschwindende 237 Millionen Euro an rückgeholten Steuergeldern gegenüber. Das ist weniger als ein Prozent. „Bei Cum-Cum kennen wir bisher nur die Spitze des Eisbergs, den Rest werden wir mit diesem Gesetz vielleicht nie kennenlernen“, sagt die Ex-Staatsanwältin. Beweismittel könnten dann legal vernichtet werden. „Die Täter wissen sehr genau, welchen juristischen Sprengstoff sie auf ihren Servern haben“, betont Brorhilker. Milliarden an Steuergeldern drohten mangels Ermittlungsmöglichkeiten unwiderruflich verloren zu gehen.

Deshalb will Finanzwende per im Internet mit laufender Petition und einem Protest kommenden Dienstag vor dem Berliner Reichstag das Gesetz im kritisierten Punkt noch zu Fall bringen. „Öffentlicher Druck kann etwas bewirken“, hofft Finanzwende-Chef Gerhard Schick. Aber die Zeit drängt. Kommenden Donnerstag wird das Gesetz im Bundestag final beraten. Im Bundesrat soll es Mitte Oktober die letzte Hürde nehmen. Danach könnte es in Kraft treten.

Verantwortlich für die Gesetzesänderung macht Finanzwende mit dem Bundesjustiz- und Finanzministerium zwei FDP-geführte Häuser. Speziell Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wirft Schick vor, Cum-Cum-Delikte völlig zu ignorieren, obwohl sie den größten Steuerbetrug in der Geschichte Deutschlands darstellten. Weil solche Verbrechen so schwierig aufzuklären sind, seien 2020 die Verjährungsfristen extra dafür von zehn auf 15 Jahre erhöht worden, erinnert Brorhilker. Aufbewahrungsfristen für die wichtigsten Beweismittel dafür auf acht Jahre zu verkürzen, sei schon deshalb absurd.

Zudem seien die Entlastungseffekte einer derart reduzierten Bürokratie minimal, rechnet die Expertin vor. Würden die von Löschung bedrohten Daten digital aufbewahrt, spare sich eine Bank im Schnitt jährlich zwölf Euro. Würden sie in Papierform gelagert, seien es 350 Euro. „Das steht in keinerlei Verhältnis zu den Steuerausfällen in Milliardenhöhe“, findet Brorhilker. Auch sie zeigte sich über Lindners Untätigkeit verwundert. Ihm würden hunderte Bundesbetriebsprüfer unterstehen, die er zur Aufklärung von Cum-Cum-Delikten einsetzen könnte, das aber nicht mache.

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Erstellt:
20. September 2024, 15:08 Uhr
Aktualisiert:
20. September 2024, 16:47 Uhr

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