Grundsätzliche Fragen an die Wahrnehmung
Peter Henning stellt in der Volkshochschule Murrhardt Überlegungen des Konstruktivismus als Weltsicht und Erkenntnismodell vor
Von Petra Neumann
MURRHARDT. Wenn die Wirklichkeit eine Konstruktion des eigenen subjektiven Standpunkts ist, dann ist sie in dem Maße veränderbar, wie sich die Sicht auf die Welt wandelt. Aber ist das tatsächlich alles so einfach? Studienrat Peter Henning beleuchtete in seinem Vortrag „Die (Er)Findung der Welt – Wie Ihr Geist Ihre Wirklichkeit erschafft“ in der Volkshochschule Murrhardt, warum Philosophie und Wissenschaft erkannt haben, dass es keine objektive Wahrnehmung geben kann und die sogenannte Realität nur im Kopf existiert. Anhand verschiedener Philosophen, Wissenschaftler und Denker skizzierte er das Thema und die grundsätzlichen Fragestellungen. Der österreichische Physiker Heinz von Foerster definiere diese Lehrmeinung, die Konstruktivismus genannt wird, folgendermaßen: „Wenn der Begriff Entdeckung durch jenen der Erfindung ersetzt wird.“ Denn entdecken kann man nur, was bereits da ist, das Erfinden findet im Gehirn statt.
Bereits Xenophanes von Kolophon stellte fest, dass „in allem Schein Sein liegt“, denn kein Subjekt kann das essenzielle Wesen eines Dings oder Geschöpfs erkennen, sondern nur das Sichtbare als kleinen Teil davon. Gorgias von Leontinoi ging noch einen Schritt weiter, er konstatierte, dass es nichts gibt, und wenn doch, es der Mensch nicht erkennen könnte.
Der große Philosoph Platon positionierte sich gegen die Einstellung dieser Denker (Sophisten), er suchte nach der absoluten Wahrheit. Immanuel Kant jedoch griff deren Gedankengut wieder auf und unterschied zwischen dem unfassbaren Wesen einer Sache und ihrer äußeren Erscheinung, die wiederum in Bezug zum Betrachter steht. Die reine Wahrheit als solche entzieht sich dem Verstand, da er nicht ganzheitlich, sondern nur zergliedernd denken kann. Somit gilt die Behauptung, die Wahrheit (als Machtfaktor) in Händen zu halten, für diese Denkrichtung als falsch, erläuterte Henning.
Auch die moderne Wissenschaft, allen voran die Quantenphysik, erkannte, dass der Beobachter nicht trennbar vom beobachteten Objekt ist, sondern dass sich beide gegenseitig beeinflussen. Der Nobelpreisträger Werner Heisenberg stellte fest: „Bei den kleinsten Bausteinen der Materie aber bewirkt jeder Beobachtungsvorgang eine große Störung, er kann gar nicht mehr vom Verhalten des Teilchens losgelöst werden“, zitierte der Referent. Selbst kleinste Tiere wie Strudelwürmer verhielten sich anders, wenn der Beobachter ihnen positiv gegenüber steht. Allerdings wurde die Rolle des Observierenden erst im 20. Jahrhundert mit in die Betrachtungen aufgenommen beziehungsweise auf wissenschaftlicher Ebene mitreflektiert. Aber was ist die eigentliche Leistung des Beobachters? Er differenziert und trifft damit eine Unterscheidung. Ohne Unterscheidung ist nichts erkennbar und damit auch für den Betrachter als wahrnehmendes Subjekt existent. Das Leben als solches kennt diese Unterscheidung nicht, es gibt sich lediglich dem eigenen Leben hin.
Der indische Guru Jaggi Vasudev alias Sadhguru sieht in der Funktionsweise des Verstandes die Ursache aller Streitigkeiten: „Da das Wesen des Verstandes darin besteht zu unterteilen, hat sich die Menschheit im großen Stil der Spaltung, Diskriminierung und Zergliederung verschrieben.“
Wie aber erfolgt dann überhaupt die Wahrnehmung durch das denkende Subjekt? Es hat mehrere Filter, wie biologische, geschlechtliche und hormonelle, die es nur bedingt ausschalten kann, sagte Peter Henning. Weitere Filter sind kultureller und persönlicher Natur und damit eher veränderbar. Jeder bekommt die elterlichen und gesellschaftlichen Glaubenssätze auf seinen Lebensweg mit, auch der Umgang mit Sprache kann die Wahrnehmung verändern und natürlich spielt auch der Glaube, der nicht nur religiöser Natur sein muss, eine große Rolle. Kurzum, jeder sieht die Welt mit ihren Erscheinungen durch seinen Persönlichkeitsfilter. Daran kann man arbeiten, zumal alles in wechselseitiger Wirkung zueinander steht, so das Fazit des Referenten. In einem Seminar am Samstag, am 28. September, von 9 bis 13.30 Uhr vertieft er das Thema mit Blick auf die eigene Lebenspraxis. Weitere Infos unter www.vhs-murrhardt.de.

© Jörg Fiedler