Koalitionsstreit

Dramatisches Ringen um Auswege aus Koalitionskrise

Alle Augen im politischen Berlin sind auf den Koalitionsausschuss am Mittwochabend gerichtet. Platzt die Ampel? Die Spitzen verhandeln unter Hochdruck.

Im Kanzleramt könnten wegweisende Entscheidungen fallen.

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Im Kanzleramt könnten wegweisende Entscheidungen fallen.

Von dpa

Berlin - SPD, Grüne und FDP ringen um Auswege aus der schweren Koalitionskrise. Bei einem Treffen der Ampel-Spitzen am Mittwochabend könnte es um den Fortbestand des Regierungsbündnisses gehen. Strittig ist angesichts der Konjunkturflaute in Deutschland der Kurs vor allem in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Außerdem müssen im Bundeshaushalt für das kommende Jahr noch Milliardenlücken geschlossen werden. Begleitet wurde die Suche nach Auswegen aus der Krise von gegenseitigen Vorwürfen der Ampel-Partner. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hält eine Einigung auf gemeinsame Positionen noch für möglich. 

Vor dem Koalitionsausschuss am Mittwochabend mit den Spitzen der Ampel-Fraktionen- und Parteien sind am Vormittag und Nachmittag zwei weitere Treffen von Scholz, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit Staatssekretären geplant, wie die Deutsche Presse-Agentur in Berlin aus Koalitionskreisen erfuhr. Scholz, Lindner und Habeck könnten sich auf ein Papier einigen, über das der Koalitionsausschuss berät. Gelingt dies nicht, könnte die Ampel vor dem Aus stehen.

FDP-Politiker machten die Erwartung deutlich, dass von Lindner vorgeschlagene Maßnahmen für eine "Wirtschaftswende" umgesetzt werden müssen. In dem Papier wird etwa als Sofortmaßnahme die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener gefordert, ein sofortiger Stopp aller neuen Regulierungen sowie ein Kurswechsel in der Klimapolitik. Dagegen gibt es erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen.

Scheitert die Ampel?

Scholz, Lindner und Habeck kamen am Dienstagvormittag erneut im Kanzleramt zusammen. Ein Stand der Verhandlungen drang nicht nach außen.

Scholz sagte später bei einem Treffen mit dem somalischen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamud in Berlin, bei den Gesprächen über den Haushalt, die Wirtschaft, über Arbeit und Industrie müsse im Vordergrund stehen, dass man das "Miteinander" voranbringe. "Was die Situation betrifft der weiteren Arbeit der Regierung geht es darum, dass man sich dem Land verpflichtet fühlt, dass es nicht um Ideologie geht", sagte der Kanzler. "Und klar ist, es ginge. Insofern ist die Frage nicht, ob man es überhaupt hinkriegen kann, sondern es ist möglich, und da müssen jetzt alle arbeiten."

Habeck: Habe vorgelegt

Habeck sieht in der Krise der Koalition nun SPD und FDP am Zug, um ein vorzeitiges Aus des Bündnisses abzuwenden. Habeck hatte sich am Montag bereiterklärt, frei werdende Fördermilliarden zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden. "Nun erwarte ich allerdings auch, dass die anderen auch im eigenen Bereich mal Vorschläge machen und nicht immer nur – und das ist ja das schlechteste Spiel – immer den anderen sagen, was sie von ihnen erwarten", sagte Habeck in den ARD-"Tagesthemen". Er habe jetzt vorgelegt. 

Der Intel-Konzern hatte den Bau eines Werks in Magdeburg verschoben, den Deutschland fördern wollte. Vorgesehen waren staatliche Fördermittel von 10 Milliarden Euro, über mehrere Jahre verteilt. Diese waren eigentlich im Klima- und Transformationsfonds vorgesehen. Das ist ein Sondertopf, aus dem die Regierung Projekte für mehr Klimaschutz finanziert. Habeck wollte eigentlich, dass die Intel-Gelder dort verbleiben. Der Schritt Habecks ist ein Entgegenkommen in Richtung Lindner.

Habeck hatte am Montag vor einem Aus der Ampel gewarnt: "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert." Er verwies auf die Lage in der Ukraine, die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA und die schwierige wirtschaftliche Lage in Deutschland.

Finanzministerium: Reicht nicht

Finanz-Staatssekretärin Katja Hessel schrieb auf der Plattform x mit Blick auf Habecks Entgegenkommen bei den Intel-Milliarden, es gehe gerade nicht um das Stopfen von Haushaltslöchern, um zehn Milliarden mehr oder weniger. "Geld, das man gar nicht hat, kann man erst recht nicht ausgeben, wenn ein Vorhaben entfällt. Es gibt im Haushalt kein Spielgeld für einzelne Parteien, das sie nach Belieben hin und herschieben können." Es gehe darum, das Wachstum in Deutschland zu stärken.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr sagte, das notwendige Einsparvolumen im Haushalt 2025 bewege sich im einstelligen Milliardenbereich. "Das ist grundsätzlich stemmbar." 

Am 14. November ist die sogenannte Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant. Dies ist eine entscheidende Sitzung für den Etat 2025, sie könnte aber theoretisch verschoben werden. Beschlossen werden muss auch noch ein Nachtragshaushalt für das laufende Jahr. Grund sind unter anderem Milliarden-Mehrausgaben für die Förderung der erneuerbaren Energien.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Bundeswehr brauche 2025 etwa 58 Milliarden Euro, um Fähigkeitslücken schnell zu schließen. "Nach jetzigem Stand werden uns rund 52 Milliarden zugesprochen. Damit fehlen uns fast sechs Milliarden Euro im nächsten Jahr."

FDP will Richtungswechsel

FDP-Fraktionschef Dürr forderte die Ampel zu einem "echten Richtungswechsel" auf. Lindner habe ein durchgerechnetes Papier mit Maßnahmen für einen Aufschwung vorgelegt. Dieses finde große Zustimmung in der Wirtschaft.

Dürr machte die Erwartung der FPD deutlich, dass im Lindner-Papier vorgeschlagene Maßnahmen umgesetzt werden. "Große Reformen erfordern auch große Kraft. Die Frage ist, ob die Koalition dazu bereit ist, diese Kraft gemeinsam aufzubringen." 

Mit Blick auf das umstrittene Papier sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich: "Egal wer dieses Papier geschrieben hat, es hat nicht alle in Deutschland komplett überzeugt." Die anstehenden Krisen-Gespräche seien nicht über Lindners Papier zu führen, sondern über die richtigen Entscheidungen für Deutschland, sagte Mützenich vor einer Fraktionssitzung. Zugleich kündigte er an, "dass wir über alles sprechen". 

Kritik von Grünen

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge nannte Lindners Papier in der ARD eine "gezielte Provokation" gegen die Koalitionspartner. Sie kritisierte zugleich seine Absage, die Schuldenbremse zu lockern. Diese habe sich zu einer Wachstumsbremse entwickelt. 

Lindner schrieb zum Vorwurf der Provokation auf der Plattform X, viele aus Wirtschaft und Wissenschaft fänden seine Vorschläge sinnvoll für Wachstum und Arbeitsplätze. 

Wie Habeck bekannte sich auch Dröge ausdrücklich zum Fortbestand der Ampel. "Wir wollen in dieser Koalition Verantwortung übernehmen", sagte sie vor einer Fraktionssitzung.

Die Frage ist, welche Auswirkungen ein Wahlsieg des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump auf das Ringen hätte. Die damit verbundenen Herausforderungen für Deutschland und Europa zum Beispiel in der Sicherheitspolitik könnten die Ampel womöglich noch einmal zusammenschweißen.

Opposition verlangt Klarheit

Unionsfraktionschef Friedrich Merz verlangt von SPD, Grünen und FDP Klarheit über die Zukunft ihrer Koalition. "Entweder rauft sie sich zusammen und versucht, wenigstens die letzten zehn Monate dieser Wahlperiode anständig zu regieren. Oder sie geht auseinander und macht den Weg anständig frei für Neuwahlen." Das Hin und Her und Streitereien könne sich Deutschland nicht mehr leisten, sagte der CDU-Chef vor einer Fraktionssitzung.

Am Morgen kamen die Spitzen der Ampel-Parteien erneut zusammen.

© Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Am Morgen kamen die Spitzen der Ampel-Parteien erneut zusammen.

Die drei entscheidenden Personen.

© Michael Kappeler/dpa

Die drei entscheidenden Personen.

Die FDP will eine Wirtschaftswende.

© Alina Grünky/dpa

Die FDP will eine Wirtschaftswende.

Grünen-Fraktionschefin Dröge bekennt sich zur Ampel.

© Alina Grünky/dpa

Grünen-Fraktionschefin Dröge bekennt sich zur Ampel.

Kanzler Scholz ist besorgt um die Zukunft seines Bündnisses.

© Hannes P. Albert/dpa

Kanzler Scholz ist besorgt um die Zukunft seines Bündnisses.

Der Verteidigungsminister will mehr Geld.

© Carsten Koall/dpa

Der Verteidigungsminister will mehr Geld.

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Erstellt:
5. November 2024, 05:16 Uhr
Aktualisiert:
5. November 2024, 17:18 Uhr

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