Filmfestival in Venedig

Halb Psychothriller, halb Seifenoper

Beim Filmfestival in Venedig glänzen Cate Blanchett in „Dislcaimer“, Nicole Kidman in „Babygirl“ und Ursula Corbero in „Kill the Jockey“.

Cate Blanchett in der Serie  „Dislcaimer“

© Biennale / Verleih

Cate Blanchett in der Serie „Dislcaimer“

Von Patrick Heidmann

Dass sich vor allem in den ersten Tagen der großen Filmfestivals die Superstars auf dem roten Teppich – oder im Fall von Venedig auch am Bootsanleger des Hotel Excelsior – geradezu die Klinke in die Hand geben, ist üblich. Die 81. Internationalen Filmfestspiele von Venedig stellen da keine Ausnahme dar. Nach Winona Ryder und Angelina Jolie machte auch Cate Blanchett auf dem Lido Station. Genau wie in Cannes ist die Oscar-Gewinnerin auch hier Stammgast, doch anders als sonst hatte sie dieses Mal keinen Film, sondern eine Serie im Gepäck.

Die siebenteilige Romanadaption „Disclaimer“ ist das neue Werk von Alfonso Cuarón, seinerseits ein alter Venedig-Bekannter, der 2018 mit „Roma“ sogar den Goldenen Löwen gewann. Warum er – jenseits von Finanzierungsgründen – aus dem Stoff keinen Film gemacht hat, bleibt ein wenig unklar: Seine Serie lässt sich sehr langsam an und bemüht unnötig oft plumpe Off-Kommentare, um der auf verschiedenen Zeitebenen erzählten Geschichte etwas mehr Tiefe abzuringen. Blanchett spielt eine erfolgreiche Fernsehjournalistin, deren (Familien-)Leben zusehends aus der Bahn geworfen wird, als ein pensionierter Professor (Kevin Kline) ihr einen offenkundig eigens für sie geschriebenen Schlüsselroman zuspielt, der ein düsteres Geheimnis ihrer Vergangenheit beinhaltet.

Halb Psychothriller, halb Seifenoper weckt „Dislcaimer“ nach ein paar Folgen genug Interesse, das einen unbedingt weitergucken lassen will. Ein ganz großer Wurf, wie man ihn von Cuarón in der Vergangenheit schon fast erwarten konnte, ist die Serie trotzdem nicht. Was nicht nur am Format, sondern auch an den Dialogen liegt. Und daran, dass im Ensemble längst nicht alle mit Blanchetts Qualitäten mithalten können.

„Babygirl“

Von Sex mit jüngeren Männern und Heimlichkeiten mit Sprengkraft geht es auch im Film „Babygirl“, mit dem die niederländische Halina Reijn erstmals im Wettbewerb vertreten ist. Blanchetts Landsfrau Nicole Kidman spielt darin die CEO einer Robotertechnik-Firma, die zwar erfolgreich im Job und glücklich im Alltag mit Mann (Antonio Banderas) und Kindern ist, aber dann ausgerechnet mit einem Praktikanten (Harris Dickinson) ihre lange unterdrückten sexuellen Fantasien auszuleben beginnt.

Reijn, die ihre Karriere als Schauspielerin begann und in ihrem Regiedebüt „Instinct“ von der Beziehung zwischen einer Gefängnistherapeutin und einem Serienvergewaltiger erzählte, interessiert sich weniger für die arbeitsrechtlichen oder moralischen Zusammenhänge dieser Affäre. Viel mehr beschäftigt sie sich in ihrem Erotikthriller über Machtspiele zwischen Dominanz und Unterwerfung damit, welche Konsequenzen es gerade für Frauen auch heutzutage noch haben kann, ihren intimsten Bedürfnissen nachzugehen, wenn diese nicht den allgemein akzeptierten gesellschaftlichen Konventionen entsprechen. Bei einigen, oft männlichen und italienischen Journalisten schien das Aufräumen mit Tabus und der Fokus auf weibliche Orgasmen im ersten Presse-Screening für hörbares Befremden zu sorgen. Doch gerade Kidman lebt ihre Vorliebe für emotionale Extreme in diesem gelungenen Film einmal mehr mit Wonne aus.

„Kill the Jockey“

Zu den Höhepunkten im Rennen um den Goldenen Löwen gehörte auch der argentinische Beitrag „Kill the Jockey“ von Luis Ortega. Die schräge Mischung aus schwarzer Komödie und Gangsterthriller handelt von einem drogensüchtigen Jockey (Nahuél Perez Biscayart, sonst eher aus französischen Produktionen bekannt und hier mal wieder in Hochform), der nach einem Unfall mit den skrupellosen Verbrechern aufräumt, mit denen er sich eingelassen hat, während seine Reit-Kollegin (Ursula Corbero aus „Haus des Geldes“) von ihm ein Kind erwartet. So surreal und eigenwillig, zwischen grandiosen Tanzszenen und einer großen Portion Queerness an Frühwerke von Ozon oder Almodóvar erinnernd und mit visuellen Parallelen zu Kaurismäki, ging es im Wettbewerb der ersten Festivaltage bislang noch nicht zu.

„September 5“

Ohne Probleme in der Hauptreihe hätte man auch „September 5“ programmieren können, der stattdessen in der Sektion Orizzonti Extra als Eröffnungsfilm lief. Der in der Schweiz geborene Regisseur Tim Fehlbaum erzählt in diesem deutschen Film vom Terroranschlag während der Olympischen Spiele 1972 in München und konzentriert sich dabei kammerspielartig ganz auf die Arbeit der US-amerikanischen Fernsehcrew, die damals vor Ort live von den schrecklichen Ereignissen berichtete, bei denen am Ende alle neun israelischen Geiseln, ein deutscher Polizist und ein Großteil der Attentäter ihr Leben verloren.

Was Spannungsaufbau und Intensität angeht, kann Fehlbaums hochdramatischer Workplace-Thriller locker mit Hollywood-Vorbildern mithalten, was auch am exzellenten Ensemble liegt, zu dem neben Peter Sarsgaard, John Magaro und Ben Chapin auch Leonie Benesch gehört. Und der europäisch geprägte Mangel an Pathos und Patriotismus macht den Film noch besser. Dafür ließ sich der Absolvent der Münchener HFF in Venedig feiern – und brach dann am Freitag prompt zum Telluride Film Festival in die USA auf, für die nächste Premiere von „September 5“. Genau wie übrigens auch Angelina Jolie und Cate Blanchett.

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Erstellt:
30. August 2024, 19:24 Uhr

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