Fachmagazin „Science“

HIV-Schutz ist wissenschaftlicher Durchbruch des Jahres

Jährlich würdigt das wichtige Fachjournal „Science“ einen Forschungsdurchbruch des Jahres. In diesem Jahr wurde ein Medikament ausgewählt, das einen großen Fortschritt beim Schutz vor HIV bedeutet.

Bislang ist Lenacapavir unerschwinglich teuer: Für die Behandlung verlangt der US-Pharmakonzern Gilead mehr als 40.000 Dollar pro Person und Jahr.

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Bislang ist Lenacapavir unerschwinglich teuer: Für die Behandlung verlangt der US-Pharmakonzern Gilead mehr als 40.000 Dollar pro Person und Jahr.

Von Annett Stein (dpa)/Markus Brauer

Die Entwicklung des eine HIV-Infektion (wissenschaftlich: Human immunodeficiency virus) verhindernden Medikaments Lenacapavir ist für das renommierte Fachmagazin „Science“ der wichtigste Forschungsdurchbruch des Jahres. Damit werde der nächste, aber keineswegs letzte Schritt im Kampf gegen Aids gewürdigt, heißt es zur Begründung des „Breakthrough of the Year“.

Halbjährlich statt täglich

Weltweit leben nach Daten des UN-Programms UNAIDS rund 40 Millionen Menschen mit HIV, der Großteil in Afrika südlich der Sahara. Eine halbjährliche Spritze mit dem Medikament Lenacapavir schützt effektiv vor einer Infektion mit dem Virus, wie Studiendaten zeigten. Bisher verwendete Mittel zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wie Truvada müssen täglich als Tablette genommen werden.

Die Entwicklung des Medikaments stelle einen ähnlichen Fortschritt in der HIV-Prävention dar wie frühere Durchbrüche mit antiretroviralen Medikamenten, erläutert „Science“-Chefredakteur Holden Thorp. „Die sechsmonatige Wirkungsdauer von Lenacapavir macht einen großen Unterschied und bietet eine neue und bessere Möglichkeit, die Prophylaxe mehr Menschen auf der ganzen Welt zugänglich zu machen.“

Wertvolle Verbesserung

Sich zweimal jährlich spritzen zu lassen, sei wesentlich komfortabler als täglich an die Einnahme einer Tablette denken zu müssen, betonen Experten. Hinzu komme, dass es gerade in einigen stark von HIV betroffenen Ländern bei der täglichen Einnahme von Tabletten das Risiko gebe, im Umfeld als vermeintlich HIV-positiv abgestempelt zu werden. Eine nur zweimal jährlich verabreichte Spritze sei da sehr hilfreich.

Der Hersteller Gilead will die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragen. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet. Das Mittel soll prophylaktisch Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden.

In der EU ist Lenacapavir zur virushemmenden Behandlung bestimmter Patienten zugelassen, die schon infiziert sind. In Deutschland wurde das Medikament dafür bisher von Gilead nicht auf den Markt gebracht. Ob es als vorbeugendes Mittel hierzulande erhältlich sein wird, ist unklar.

Sehr teuer und anfällig für Resistenzen

Zur Behandlung bei bestehender Infektion eingesetzt kostet Lenacapavir in den USA rund 42.000 Dollar (40.000 Euro) pro Jahr. In dieser Größenordnung wäre es für Menschen in ärmeren Ländern unbezahlbar. Es sei zentral, dass der Zugang für solche Staaten ermöglicht werde, in denen das Mittel wirklich dringend gebraucht werde, betonte Astrid Berner-Rodoreda vom Universitätsklinikum Heidelberg.

Bei wem und unter welchen Lebensumständen die Wahl auf Lenacapavir fallen sollte, müsse jeweils gut abgewogen werden, ergänzt Max von Kleist von der Freien Universität Berlin. Denn es gebe – wie generell bei solchen Wirkstoffen – das Risiko der Bildung von Resistenzen.

Speziell bei Lenacapavir sei das Problem, dass der Wirkstoff nach einem Stopp der Impfungen noch etwa ein Jahr im Körper nachzuweisen sei. „Das fördert die Resistenzentwicklung“, so von Kleist. Resistent kann ein Erreger werden, wenn die Dosis eines Wirkstoffes nicht ausreicht, ihn zu beseitigen, ihn aber unter Selektionsdruck setzt.

Dritte Ehrung für Forschung zum Thema

Dass das HI-Virus die Immunschwächekrankheit Aids verursacht, ist seit Anfang der 1980er Jahre bekannt. In der Folge wurden antiretrovirale Präparate entwickelt, die den HIV-Spiegel so weit senken, dass die Übertragung gestoppt wird.

Es ist das dritte Mal, dass „Science“ eine Aids-Intervention als Durchbruch auszeichnet. Im Jahr 1996 markierte demnach die Entwicklung von Proteasehemmern als wirksame Waffe gegen HIV einen Wendepunkt. „Bei den meisten Patienten konnte diese Klasse antiretroviraler Medikamente in Kombination mit anderen antiviralen Wirkstoffen den HIV-Spiegel im Blut drastisch senken“, heißt es seitens „Science“.

Im Jahr 2011 habe dann die bahnbrechende klinische Studie „HPTN 052“ gezeigt, dass die Behandlung mit einem Cocktail dieser Wirkstoffe auch das Risiko einer sexuellen Übertragung des Virus auf andere Menschen erheblich verringert.

Das macht HIV mit dem Körper

Das HI-Virus schwächt das Immunsystem und macht den Körper anfällig für verschiedene Erkrankungen. Das Krankheitsbild heißt Aids. Bei früher Erkennung und Behandlung haben Infizierte praktisch eine normale Lebenserwartung.

Komplett beseitigen lässt sich die Infektion in den meisten Fällen allerdings nicht, darum ist die lebenslange Einnahme virushemmender Medikamente nötig.

Nach einem UN-Bericht steigt in 28 Ländern die Zahl der HIV-Ansteckungen. Weltweit leben 39,9 Millionen Menschen mit dem Virus, der Großteil in Afrika südlich der Sahara, wie das UN-Programms UNAIDS mitteilte. 2023 seien 630.000 Menschen im Zusammenhang mit Aids gestorben, 1,3 Millionen Menschen hätten sich neu mit dem HI-Virus infiziert.

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Erstellt:
12. Dezember 2024, 20:10 Uhr

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