Krise der Industrie
IG-Metall-Chefin: Haben nur noch einen Schuss frei
Die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, setzt die künftige Bundesregierung bereits unter Zugzwang, den Industriestandort vor dem Niedergang zu bewahren. „Selten werden die ersten 100 Tage nach einer Wahl so wichtig sein wie in diesem Jahr.“
Von Matthias Schiermeyer
Die IG Metall zeigt sich von der Wirtschaftslage in Deutschland alarmiert und dringt auf rasche politische Fortschritte. „Die Lage ist wirklich ernst“, sagt ihre Vorsitzende Christiane Benner in Frankfurt. „Zehntausende Arbeitsplätze, ganze Werke stehen auf dem Spiel – für die Beschäftigten, deren Arbeitsplatz gefährdet ist, ist das eine Katastrophe.“ Dies gelte auch für den Wohlstand des Landes. Insbesondere fordert die Gewerkschaft Politik und Unternehmen auf, eine Joboffensive zu starten.
Ohne moderne Industrie ein „armes Land“
Es müsse alles getan werden, um Wertschöpfung im Land zu halten und gleichzeitig neue Jobs und neue Industrien hier anzusiedeln, sagt Benner. So ließe sich zum Beispiel der Maschinenbau mit neuen Technologien wie KI und Digitalisierung verbinden. Die IG Metall „steht hier nicht auf der Bremse“. Ganz im Gegenteil: „Unsere Betriebsräte und Vertrauensleute stehen dem Wandel grundsätzlich positiv gegenüber.“ Es gebe „richtig was zu verlieren“, denn „ohne moderne Industrie ist Deutschland ein armes Land“. Gerade erst sei ihr bei einer Delegiertenversammlung in Stuttgart klar geworden, wie wichtig es sei, „dass die IG Metall einen Plan nach vorne hat“. Insofern fühle man sich nicht geschwächt, sondern wolle die Kräfte bündeln.
Aktionstag am 15. März – „dort, wo es massiv brennt“
Besonders nimmt sie die künftige Bundesregierung in die Pflicht: „Selten werden die ersten 100 Tage nach einer Wahl so wichtig sein wie in diesem Jahr.“ Die IG Metall erwarte „sofortige Maßnahmen, um einen modernen, innovativen Standort zu stärken, zu schaffen“. Die nächste Bundesregierung „trägt Verantwortung dafür, ob der Wandel unserer Wirtschaft gelingt oder scheitert“. Es gebe keine Zeit zu verlieren. „Ich glaube sogar, wir haben nur noch einen Schuss frei.“
Für den 15. März plant die IG Metall einen bundesweiten Aktionstag in fünf Großstädten. „Dort, wo es massiv brennt“, wie Benner sagt – also auch in Stuttgart. Die IG Metall habe sich bewusst entschieden, „auf die Koalitionsverhandlungen Einfluss zu nehmen, weil wir dann wissen, wer sozusagen am Ruder ist“. Dann sei eventuell auch die künftige Regierungskonstellation bekannt. „Wir sind dann präziser mit unserer Aktionsform.“
Um die Standorte zu stärken, verlangt die Gewerkschaft insbesondere eine „europäische Local-Content-Strategie“. „Für alle industriellen Produkte, die in Europa vermarktet werden, muss es einen verpflichtenden Anteil europäischer Komponenten geben“, sagt der Zweite Vorsitzende Jürgen Kerner. „Wer Europa als Markt sieht, der muss sich auch für Beschäftigung in Europa verantwortlich sehen.“ Wenn etwa chinesische oder US-amerikanische Pkw-Hersteller in Europa ihre Pkw verkaufen wollen, brauche es die Verpflichtung zu örtlicher Fertigung.
Die USA und China, so Kerner, würden lokale Wertschöpfung strikt vorantreiben, in manchen Branchen bis zu 100 Prozent. „So weit wollen wir nicht gehen“, sagt Kerner. Doch „die neue Bundesregierung muss sich hier klar positionieren und in Brüssel aktiv werden“. Die IG Metall selbst werde Branche für Branche anschauen, welcher Anteil an europäischer Wertschöpfung bis wann realisierbar sei. „Vielleicht ist es sinnvoll, mit niedrigen Schwellenwerten anzufangen, um überhaupt wieder industrielle Produktion in verschiedenen Stufen, die wir teilweise sogar ganz verloren haben, zu etablieren.“
„Wirtschaftswarntag“ in einmaliger Allianz
Die Arbeitgeber werden direkt einbezogen: Einst sei man mit einem „unausgesprochenen Konsens“ in die Transformation gestartet, wonach Klimaschutz und Arbeit kein Widerspruch sei. „Diesen Konsens haben viele Manager beim ersten Gegenwind wieder aufgegeben – sie fallen in alte Muster zurück“, kritisiert Kerner. „Es geht ihnen um kurzfristige Renditen und Margenoptimierung – doch Investitionen, Innovation, eine langfristige Zukunftsstrategie? Fehlanzeige.“ Dies sei „kurzsichtig und gefährlich“. Die Botschaft lautet: „Beim Umbau der Industrie sind wir Partner – beim Abbau der Industrie sind wir entschiedener Gegner.“
Benner forderte die Arbeitgeber auf, bei der Joboffensive mitzumachen. „Ich finde, sie können es gleich bei ihrem Wirtschaftswarntag tun.“ Gemeint ist die größte jemals gebildete Wirtschaftsallianz an diesem Mittwoch mit gut 100 Verbänden und Unternehmerinitiativen für eine „Wirtschaftswende“ – eine Kundgebung am Brandenburger Tor sowie in Stuttgart inklusive.