Im Mikrokosmos von Krabblern und Co.
Der Förster Jörg Brucklacher gibt im ersten Teil seiner Vortragsreihe „Lebensspuren im Wald“ an der Volkshochschule Murrhardt Einblicke in die komplexe Lebensgemeinschaft aus Pflanzen und Tieren, die von Menschen meist unbemerkt bleibt.
Von Elisabeth Klaper
Murrhardt. Die alte Weisheit, dass man viel mehr entdeckt, je mehr man weiß, gilt besonders in der Natur. Seit Langem dokumentiert Förster Jörg Brucklacher bei seiner Arbeit nebenher fotografisch Begegnungen mit den Lebewesen und deren Spuren im Wald. Diese hat er gesammelt und dazu umfangreich im Internet recherchiert. Dabei bekam er Unterstützung von Wissenschaftlern und Hobbyforschern aus aller Welt, die ihre Erkenntnisse in Foren weitergeben. Daraus konzipierte Brucklacher die Vortragsreihe „Lebensspuren im Wald“, die er an der Volkshochschule Murrhardt anbietet.
Bereits deren erster Teil bot zahlreichen Zuhörerinnen und Zuhörern im Casino der Kreissparkasse eine Fülle von Einblicken in das faszinierende, überaus komplexe und vielfältige Netzwerk von Beziehungen zwischen Pflanzen und meist kleinen, kaum bekannten Tieren. „Das Leben brodelt unter unseren Füßen und über unserem Kopf: Jede Art ist ein Kunstwerk der Natur und verdient Wertschätzung“, stellt er fest. Darum ist es das Ziel des Försters, mit seinen Vorträgen den Wahrnehmungshorizont um den Mikrokosmos des Waldes zu erweitern und zum Natur- und Artenschutz zu motivieren. Bisher seien erst etwa zehn Prozent aller Arten weltweit bekannt und wissenschaftlich dokumentiert, pro Tag werden etwa 50 neue entdeckt, zugleich verschwinden aber etwa 150 durch menschliche Eingriffe.
Erstaunlich große Artenvielfalt
Dabei verblüfft die enorme Artenvielfalt vor allem im Reich der Insekten: Insofern bilden beispielhafte Betrachtungen von Käfern, Schmetterlingen, Wanzen und Zikaden, Bienen und Wespen, Mücken und Fliegen, von denen viele Arten in unseren Wäldern leben, den Schwerpunkt der Vortragsreihe. So gibt es beispielsweise in Mitteleuropa über 7000 bekannte Arten von Schlupfwespen. Manche entwickeln sich in Kokons, die wie Fässchen aussehen. Besonders auffällig sind die metallisch glänzenden Grünrüssler: Dies ist nicht nur eine Art, sondern eine ganze Gruppe von Rüsselkäfern mit zwei Gattungen, die sich nur mit der Lupe bestimmen lassen.
Raupen verschiedener Schmetterlingsarten spinnen Baumblätter kokonartig zusammen, in denen sie sich verpuppen und schlüpfen. Darin nisten sich manchmal ungebetene Gäste wie sechs Rüsselkäfer dreier verschiedener Arten ein, was Brucklacher mit der Kamera dokumentierte und beim Vortrag zeigen konnte. Von den Marienkäfern gibt es rund 70 Arten in Deutschland und etwa 4500 weltweit, indes ist es sehr schwierig, diese zu bestimmen. Zufällig gelang es dem Förster, ein „Glückskäfer“-Pärchen der Art Zwölffleckiger Pilzmarienkäfer mit weißen Punkten bei der Paarung zu fotografieren. Dieser Marienkäfer frisst übrigens keine Blattläuse, sondern Mehltaupilze.
„Windkraftanlagen sind mit großem Flächenverbrauch und großen Störungen in zuvor ruhigen Waldbereichen verbunden“, aber sie sind „schlicht und einfach notwendig“ und ökologisch „wesentlich besser als Kern- oder Kohlekraftwerke“, verdeutlichte der Referent. Zudem „bilden sie Lichtlücken für wärmeliebende Insektenarten“. So fand er direkt am Mast eines Windrads mit verschiedenen Materialien beklebte Schutzsäckchen von Sackträgermotten mit Puppen und Eiern. Diese Schmetterlingsfamilie geht bei ihrer Fortpflanzung überaus schlau vor: Nachdem die weibliche Sackträgermotte ausgeschlüpft ist, wartet sie auf ein flugfähiges Männchen, das sie befruchtet, dann legt sie ihre Eier in das Säckchen.
Mit einer Kurzbetrachtung von Spuren bekannter Lebewesen rundete Jörg Brucklacher seine Ausführungen ab. Zu den beliebtesten Waldtieren zählt das Eichhörnchen, das sich hauptsächlich von Nüssen, Fichten- und Tannenzapfen ernährt. Die Fichtensamen verspeist es am Boden, weil es da die Zapfenschuppen besser abreißen kann, die Tannenzapfen hingegen oben in den Baumwipfeln, da deren Zapfenschuppen leicht abzupfbar sind. Spechte stecken Zapfen oder Nüsse in Baumlöcher, um sie aufzupicken. Die halbschmarotzende Mistel nutzt eine „geniale Erfindung“ zu ihrer Vermehrung: Ihre Beeren sind in klebrigen Schleim verpackt, sodass sie überall hängen bleiben. Sie wachsen ins Gewebe von Bäumen ein, denen sie Wasser wegnehmen, und schieben unter der Rinde ihre Ausleger weiter. Tiere, die die Beeren fressen, scheiden sie oft rasch wieder aus, da sie offenbar wie Abführmittel wirken.
Die ganz eigene Welt der Schleimpilze
Schleimpilze sind seltsame, einzellige Lebewesen, die seit 600 Millionen Jahren existieren: Sie gehören nicht zu den Pilzen, sondern bilden ein eigenes Reich. In Deutschland gibt es über 370 bekannte Arten, beispielsweise die Gelbe Lohblüte, im Volksmund „Hexenbutter“ genannt, mit intensiv gelber Farbe, die verrottende Pflanzenteile wie Totholz besiedelt. Von ihr, aber auch von echten Pilzen ernährt sich der Schwammkugelkäfer. Schleimpilze können sich fortbewegen und massenhaft vermehren. Eine als „Blob“ bekannte Art scheint sogar „intelligent“ zu sein, obwohl das Wesen kein Gehirn besitzt. Bei Experimenten gelang es Exemplaren, die kürzesten Wege durch Labyrinthe zu finden und sich Standorte von Nahrungsmitteln zu merken.
Abschließend trug Jörg Brucklacher ein Gedicht aus der Sammlung „Irdisches Vergnügen in Gott“ des Barockdichters Barthold Hinrich Brockes vor, in dem dieser die Wunder und Schönheit der Natur als geniale Kunstwerke des Schöpfers lobpreist.
Fortsetzung Der zweite Teil der dreiteiligen Vortragsreihe „Lebensspuren im Wald“ mit Förster Jörg Brucklacher folgt am Mittwoch, 12. Juni, der dritte findet am Mittwoch, 3. Juli, statt. Beide Abende finden im Grabenschulhaus der Volkshochschule Murrhardt statt und laufen von 19 bis 21 Uhr.
Anmeldung Anmeldungen nimmt die VHS Murrhardt persönlich, übers Internet unter www.vhs-murrhardt.de oder per E-Mail an info@vhs-murrhardt.de entgegen. Anfragen werden gerne beantwortet unter Telefon 07192/9358-0.