Erderwärmung kommt schneller
Klima-Turbo: 3 Grad mehr schon in 20 Jahren?
Erwischt uns die Klimakrise noch schneller als bisher angenommen? Auf Künstliche Intelligenz gestützte Analysen zumindest deuten darauf hin.
Von Markus Brauer/dpa
In vielen Regionen der Erde könnte die Erwärmung schon Mitte dieses Jahrhunderts die Drei-Grad-Schwelle erreichen. Weit schneller als bislang vorhergesagt.
Auch Mitteleuropa, das Mittelmeer, Südasien und Teile Afrikas gehören zu diesen Gebieten, wie KI-gestützte Klimaprognosen nahelegen. Demnach überschreiten 31 von 34 untersuchten Regionen schon 2040 die Zwei-Grad-Schwelle und 26 von 34 Regionen erreichen bis 2060 die Drei-Grad-Marke. Die Folgen dürften gravierend sein.
Starke Erwärmung in Europa
Bei weiter steigendem Treibhausgas-Ausstoß könnten die Temperaturen in Europa bereits bis 2060 um mindestens drei Grad verglichen mit den vorindustriellen Werten steigen. Das schließt ein Forscherteam aus einer KI-gestützten Analyse. Europa erwärmt sich schneller als der globale Durchschnitt: 2023 war es bereits 2,3 Grad wärmer. Global waren es nach Daten des Klimadienstes Copernicus rund 1,48 Grad.
Auch in den meisten anderen Regionen der Erde wird die Erderwärmung der neuen Auswertung zufolge wahrscheinlich schneller voranschreiten als vielen bisherigen Simulationen zufolge.
KI – ein leistungsfähiges Instrument
Die für die Analyse genutzte KI lernt anhand zehn globaler Klimamodelle, außerdem verfeinern Messdaten der vergangenen Jahre die Vorhersagen, wie das Team um Elizabeth Barnes von der Colorado State University in Fort Collins im Fachjournal „Environmental Research Letters“ berichtet. „KI entwickelt sich zu einem unglaublich leistungsfähigen Instrument zur Verringerung der Unsicherheit bei Zukunftsprognosen“, sagte Barnes.
“Our research underscores the importance of incorporating innovative AI techniques like....” - Professor Elizabeth Barnes Find the full quote: https://t.co/7lflsFpclB Check out the research: https://t.co/awlyATdawp — CSU Atmos Sci (@CSUAtmosSci) December 10, 2024
SSP-Szenarien des Weltklimarates
Als Grundlage wurde der sozioökonomische Pfad SSP3-7.0 aus dem Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) genommen. Dieses Szenario geht davon aus, dass der Treibhausgas-Ausstoß in einer von Konflikten und Nationalismus geprägten Welt weiter deutlich ansteigen wird. Zur Definition des aktuellen Klimazustands wurden die beobachteten Temperaturanomalien von 2023 herangezogen.
Schnellerer Anstieg als zumeist angenommen?
- Demnach könnte schon 2040 oder früher für alle berücksichtigten 34 Regionen die 1,5-Grad-Schwelle erreicht sein, in 31 Regionen sogar schon zwei Grad.
- Bei der Auswertung für das Erreichen von drei Grad über dem vorindustriellen Mittel überschritten 26 von 34 Regionen im Jahr 2060 die Grenze, darunter die vier Regionen in Europa.
- Bislang lagen Prognosen zu einer globalen Durchschnittstemperatur bei diesem Szenario und zu diesem Zeitpunkt unter drei Grad.
- Auch eine zweite Studie unter KI-Einsatz hat ergeben, dass die Erderwärmung wahrscheinlich schneller voranschreiten wird als in vielen bisherigen Simulationen berechnet. Temperaturen von zwei oder drei Grad über dem Durchschnitt des Zeitraums 1850 bis 1899 werden wahrscheinlich deutlich früher erreicht, als verbreitet angenommen.
Begrenzung auf 1,5 Grad unerreichbar
Das globale Ziel, die Erwärmung möglichst auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, ist der Auswertung zufolge inzwischen praktisch sicher unerreichbar. Zudem bestehe ein hohes Risiko, dass die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Marke überschreitet, selbst wenn die Menschheit eine rasche Verringerung der Treibhausgas-Emissionen auf Null bis zu den 2050er-Jahren erreicht. Was das optimistischste Szenario darstellt, das in der Klimamodellierung weithin verwendet wird.
Frühere Studien waren zu dem Schluss gekommen, dass die Erderwärmung in diesem Fall wahrscheinlich unter zwei Grad gehalten werden könnte.
Gemeinsam mit Noah Diffenbaugh von der Stanford University hatte Barnes für die in den „Geophysical Research Letters“ vorgestellte Studie KI-gestützt untersucht, wie sich verschiedene Wege zu Netto-Null-Emissionen auf den Temperaturanstieg auswirken.
Temperature thresholds will be crossed for global vegetation in 2050/2070 Guess, we will reach it much earlier, as the warming will likely speed up substantially Here what they write: "Temperature extremes exert a significant influence on terrestrial ecosystems, but the… pic.twitter.com/NI6atGrKUE — Thomas Reis (@peakaustria) August 7, 2024
Höchstwahrscheinlich drei Grad wärmer
Wenn die Welt bis 2050 Netto-Null-Emissionen erreicht, wird das wärmste Einzeljahr dieses Jahrhunderts demnach höchstwahrscheinlich mindestens ein halbes Grad heißer sein als 2023, das bisher wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.
Für ein Szenario, in dem die Emissionen zu langsam zurückgehen, um bis 2100 eine Netto-Null-Emission zu erreichen, ermittelten Diffenbaugh und Barnes, dass das wärmste Jahr weltweit höchstwahrscheinlich drei Grad wärmer sein wird als das vorindustrielle Basisszenario.
Dringend mehr Anpassung nötig
Die Forscher betonen, dass der Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten große Auswirkungen haben wird, selbst wenn alle Anstrengungen und Investitionen in eine Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes so erfolgreich wie nur möglich verlaufen.
„Es besteht ein reales Risiko, dass Menschen und Ökosysteme ohne entsprechende Investitionen in die Anpassung Klimabedingungen ausgesetzt werden, die viel extremer sind als das, worauf sie derzeit vorbereitet sind“, erklärt Diffenbaugh.
„Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Erwärmung in vielen Regionen schon in den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten erreicht werden, bringt große Risiken mit sich“, wrnt Barnes. So drohen schwerwiegende Folgen für Wasserressourcen, Nahrungssicherheit, Ökosysteme, die menschliche Gesundheit und Wetterextreme.
Selbstverstärkender Effekt?
Experten sehen es als praktisch sicher an, dass dieses Jahr das vergangene als das wärmste Jahr ablösen wird. Die globalen Durchschnittstemperaturen werden voraussichtlich um mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen, also bevor die Menschen begannen, fossile Brennstoffe in großem Umfang zu verbrennen. Das Pariser 1,5-Grad-Ziel zur Eindämmung der Klimakrise gilt damit aber noch nicht als verfehlt, da dafür auf längerfristige Durchschnittswerte geschaut wird.
Auf der Weltklimakonferenz 2015 in Paris hatten die Staaten weltweit vereinbart, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst aber auf 1,5 Grad. Die Werte haben hohen symbolischen Wert, eine klare Definition für die politisch festgelegten Schwellen gibt es Experten zufolge allerdings bisher nicht.
Recent global temperature surge intensified by record-low planetary albedo | Science https://t.co/QJB39ctRso — Lennart van der Linde (@lennartvdl) December 6, 2024
Welche Auswirkungen der Klimawandel auf Wolken hat
Ein Team um Helge Gößling von Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven erläuterte kürzlich im Fachjournal „Science“, dass es zuletzt ungewöhnlich hohe Werte für die aufgenommene Sonneneinstrahlung gab.
Ein Grund dafür sei, dass weniger reflektierende Wolken in geringer Höhe existierten. Für das vergangene Jahr zeigten Satellitenaufzeichnungen demnach den niedrigsten Wert für niedrige Wolken seit dem Jahr 2000 an.
Derzeit ist den Wissenschaftlern zufolge noch nicht klar, was zur Verringerung der niedrigen Wolken führt. Womöglich könnte der Klimawandel selbst erheblich dazu beitragen, hieß es. In diesem Fall sei mit einer stärkeren zukünftigen Erwärmung zu rechnen als bisher angenommen.
Info: SSPs-Szenarien
SSP Für Simulationen der zukünftigen Klimaentwicklung vergleicht der IPCC im Sechsten Sachstandsbericht fünf unterschiedlichen Szenarien, die auf Englisch Shared Socioeconomic Pathways (SSPs) heißen (auf Deutsch: Gemeinsam genutzte sozioökonomische Pfade). Sie sind eine Weiterentwicklung der Zukunftsszenarien aus dem Fünften Sachstandsbericht des IPCC. Die SSPs unterscheiden sich voneinander unter anderem darin, wie viele Treibhausgasemissionen die Menschheit in Zukunft noch ausstößt, ab wann Klimaschutz betrieben wird und berechnen dann, wann – und ob – Netto-Null-Emissionen erreicht werden können.
Netto-Null Netto-Null heißt: Man geht nicht davon aus, dass tatsächlich der Ausstoß aller Treibhausgase auf Null gesenkt werden kann, etwa in der Landwirtschaft. Ein Rest an Emissionen müsste ausgeglichen werden durch sogenannte negative Emissionen, beispielsweise durch Wiederaufforstung oder die Speicherung von CO2 im Untergrund.
Klimaszenarien Die SSP-Szenarien werden in Klimamodelle eingegeben, und im Bericht wird ausgewertet, was in Zukunft innerhalb dieser Szenarien zu erwarten wäre. Die Spannweite der verschiedenen Szenarien ist im aktuellen Bericht noch etwas größer als zuvor.
• Die Es gibt zwei Szenarien mit niedrigen Treibhausgasemissionen (SSP1-1.9 und SSP1-2.6), die annehmen, dass die Emissionen bis ungefähr 2050 (SSP1-1.9) beziehungsweise 2070 (SSP1-2.6) Netto-Null erreichen.